: Stadtrat gesucht für irgendwas
■ Bremerhaven sucht StadträtIn ohne Geschäftsbereich / Wie in Bonn: Fachwissen Nebensache
Bremerhaven sucht frische Kräfte für die Magistratsspitze. Nach der Wahl des Oberbürgermeisters und des Kämmerers nun eine hauptamtliche StadträtIn für – Irgendwas. Die Stelle ist zwar ordnungsgemäß für die Bereiche Umwelt und Gesundheit ausgeschrieben, doch angesichts der politischen Verwerfungen in Bremerhaven und angesichts des eisernen Willens, den Magistrat verkleinern zu wollen, ist heute schon klar, daß es in anderthalb Jahren den Ar-beitsbereich nicht mehr geben wird. Und dann könnte das neue Magistratsmitglied irgendeine andere Aufgabe zugewiesen bekommen. Resultat: Laut Ausschreibung wird eine „dynamische und zielstrebige Persönlichkeit“ gesucht, fachliche Kompetenz ist aber erklärtermaßen Nebensache.
Die Vorgeschichte der neuesten Bremerhavener Wirrnis hat viel mit den flugs durchgeführten Bürgermeisterwahlen zu tun. Ursprünglich hatte die Allianz von CDU und rechter Stadtverordneten-SPD nicht nur die NachfolgerInnen für Oberbürgermeister Karl Willms und den Kämmerer Heinz Brandt noch kurz vor den Wahlen einsetzen wollen. Ein dritter Posten sollte außerdem neubesetzt werden, der von Sozial- und Arbeitsstadtrat Günter Lemke, ohnehin kurz vor der Pensionsgrenze. Doch der hustete dieser Strategie was und ließ seine Amtszeit vom Magistrat um zwei Jahre verlängern. Das wiederum führte bei CDU und rechts-SPD zu nachhaltiger Verstimmung. Dann allerdings warf vor einigen Wochen Umwelt- und Gesund-heitsstadtrat Hermann Renken aus gesundheitlichen Gründen das Handtuch.
Dessen Arbeitsgebiete waren nach der Ausgliederung der Krankenhäuser, der Müllabfuhr, Stadtreinigung und Stadtentwässerung in Eigenbetriebe so geschrumpft, daß sie ganz oben auf der Umstrukturierungsliste für den Magistrat standen. Erklärtes politisches Ziel in Bremerhaven: Die Zahl der hauptamtlichen Stadträte soll von sechs auf fünf reduziert werden. Wenn Renken geht, so der Diskussionsstand, sollte der Baustadtrat das Umweltamt mit übernehmen, und Gesundheit zum Stadtrat für Soziales und Arbeitsmarkt übergehen.
Aber wo ein Posten ist, da ist in Bremerhaven auch ein Wille. Und so wurde Renkens Stelle nicht etwa aufgeteilt und eingespart, wie ursprünglich geplant, sondern bei der letzten Sitzung der Stadtverordnetenversammlung am 17. Mai beschloß die Mehrheit die Neuausschreibung – für eine Stelle, die schon bald abgeschafft werden soll. Dann sollten wenigstens die entsprechenden Fachausschüsse für Umwelt und Gesundheit die Bewerbungskriterien festlegen, forderten die Grünen.
Nicht nötig, fand die Mehrheit, und kaum war die Abstimmung gelaufen, zog auch schon der Stadtverordnetenvorsteher Alfons Tallert einen Ausschreibungstext aus der Tasche. Alles sollte ganz schnell gehen, kein Wunder: Noch vor den Wahlen zur Stadtverordnetenversammlung soll der Posten besetzt sein. Die Bewerbungsfrist läuft noch bis zum 3.Juni, am 22. Juni, in der letzten Sitzung vor der Sommerpause, soll die BewerberIn gekürt werden.
So kam es zu der denkwürdigen Ausschreibung für Gesundheit und Umweltschutz, aber gesucht wird eine BewerberIn, die „in der Lage ist, einen großen Amtsbereich zu führen und zusätzliche Aufgabenbereiche wie etwa Soziales und kommunale Arbeitsmarktpolitik zu übernehmen.“ – dann, wenn in eineinhalb Jahren auch der Sozialstadtrat in Rente geht.
„Das ist wie bei der Bundesregierung“, erklärt Stadtverordnetenvorsteher Tallert. „Mal ist ein Minister für Inneres zuständig, mal für Verteidigung.“ Eine DezernentIn solle managen können „an der Schnittstelle zwischen Politik und Verwaltung. Die fachbezogene Arbeit sollen die Beamten machen.“ Verwaltungs- und Politikerfahrung, das sei nötig, „Fachkompetenz ist zweitrangig“.
Fazit: Bremerhaven sucht eine StadträtIn für Umwelt und Gesundheit, obwohl sie sie nicht braucht, und deshalb braucht die Neue auch gar nicht kompetent zu sein, denn eigentlich sucht Bremerhaven eine StadträtIn für Soziales und Arbeitsmarkt und ein bißchen Gesundheit, aber das darf keiner in eine Ausschreibung schreiben, weil diese Stelle noch nicht frei ist. Aber all das macht gar nichts, weil der Bremerhavener Magistrat, das ist ja wie in der Bundesregierung. Und da können alle alles. J.G.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen