: Sie werfen keine Bomben
Für das republikweit einmalige Berliner Modell der musikbetonten Grundschulen fehlen LehrerInnen / Studie: Musik macht Kinder sanfter ■ Von Lars Klaaßen
Mit Musik geht alles besser – dieses Schlagwort haben sich die Verantwortlichen in Berlins Bildungsbereich zu Herzen genommen und ein Modell ins Leben gerufen, das bislang einmalig ist in Deutschland: An zwölf Grundschulen wird Instrumentalunterricht in Kleingruppen als reguläres Fach angeboten.
Dieses Angebot soll jedoch nicht bloß den Privatunterricht für Kinder des Bildungsbürgertums unterfüttern: „Wir haben uns bei diesem Programm bewußt Schulen ausgesucht, in denen musische Bildung erwartungsgemäß nicht zum Erziehungsideal der Eltern gehört“, erläutert Oberschulrat Johannes Mackensen, der für das Modell der musikbetonten Schulen zuständig ist.
So sind die musikbetonten Grundschulen unter anderem in den Bezirken Kreuzberg, Neukölln und Lichtenberg angesiedelt. In nobleren Wohngegenden wie Zehlendorf sucht man sie noch vergebens.
Der Instrumentalunterricht kann von den SchülerInnen freiwillig gewählt werden, gilt dann allerdings als reguläres Schulfach. Damit der Unterricht auch Sinn hat, sollen die Gruppen, so sieht es der Rahmenplan vor, möglichst klein gehalten werden: „Die Zahl von etwa drei Schülern gilt als Richtwert“, berichtet Schulrat Mackensen.
Die Praxis sieht aber zum Teil anders aus. Christiane Jahnkow, Musiklehrerin an der musikbetonten Lemgo-Grundschule in Kreuzberg: „Weil Lehrer ausfielen, die nicht ersetzt wurden, mußten die Gruppen erheblich vergrößert werden.“
Statt drei würden bis zu zehn SchülerInnen im Flötenkurs unterrichtet. Der Grund: „Wir haben Probleme, entsprechend ausgebildete Musiklehrer für unseren Schultyp zu bekommen“, berichtet Fritz Wachholz, Rektor der Lemgo-Schule.
Die Lemgo-Schule bietet Musizieren in zwei ihrer fünf Klassenzüge an. Für die zwölf Musikklassen sieht der Plan eigentlich acht zusätzliche LehrerInnenstellen vor. Doch nur sechs davon sind besetzt, so daß rund 25 Prozent der Stunden ausfallen. Die Kapazitäten reichten für ein breiteres Angebot nicht aus, obwohl weit mehr Kinder Interesse an den Musikkursen bekundeten.
Dank der schlechten personellen Ausstattung kommt nicht nur der individuelle Lerneffekt für die einzelnen SchülerInnen zu kurz. Auch die sozialen Früchte fallen weniger üppig aus. Schließlich leidet neben dem Unterricht in Kleingruppen das gemeinsame Rocken in Band-AGs ebenso wie die Vorbereitung auf kleine Konzerte.
Gerade im Hinblick auf die besänftigende Wirkung der Musik für ellbogenbewehrte Großstadtkinder erreichte den Berliner Schulversuch jetzt unerwartete Unterstützung aus der Ferne. Von 1992 bis 1995 befragte Hans Günther Bastian, Professor für Musikpädagogik an der Universität Paderborn, Kinder, Eltern und LehrerInnen an musikbetonten und an normalen Schulen ohne speziellen Musikunterricht.
Sein Ergebnis: Rhythmen, Melodie und Gesang förderten die soziale Kompetenz der Kinder, ihre Kontaktfähigkeit, und stärkten die Verantwortung für die MitschülerInnen. „Unser Appell für mehr Musik kann in dem Slogan gipfeln, daß musizierende Kinder und Jugendliche keine Brandbomben werfen“, faßt der Wissenschaftler zusammen. Außerdem wirke sich die Musikbetonung keinesfalls nachteilig auf die Leistungen in Mathematik, Naturwissenschaften und Sprachen aus.
Auf den sozialen Aspekt musischer Bildung legt auch Regina Fiedler, Rektorin des Händel- Gymnasiums in Friedrichshain, großen Wert. Der Ansatz der musikbetonten Oberschulen Berlins unterscheidet sich aber grundsätzlich von dem der Grundschulen: „Unser Gymnasium steht zwar für alle Musikbegabten offen“, so Fiedler, „doch die Schüler müssen eine gewisse Leistungsbereitschaft mitbringen.“
Viele der Händel-SchülerInnen strebten nach dem Abitur eine Karriere als MusikerInnen an. Während hier der professionelle Aspekt stärker hervortritt, ist es an den Grundschulen die soziale Komponente.
„Die Tatsache, daß ein Schüler von einer musikbetonten Grundschule kommt, ist kein hinreichendes Kriterium für die Aufnahme bei uns“, betont denn auch die Rektorin aus Friedrichshain. Damit die Ausbildung am Gymnasium sinnvoll sei, müßten Begabung und Engagement gegeben sein. So leben die beiden Schultypen in einer Stadt bislang ohne intensive Kontakte aneinander vorbei.
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