: Weltmeister unter Fahrkartenverkäufern
Der Profi-Boxsport boomt immer neuen Höhepunkten der Publikumsgunst entgegen. Zwei Biographien und ein Sachbuch konkurrieren um die literarische Ausbeutung des gesamtdeutschen Gesamtkunstwerks Henry Maske ■ Von Peter Unfried
Ziemlich weit im Norden der Insel Rügen ist unlängst zu beobachten gewesen, wie der Boxer Henry Maske (31), IBF-Weltmeister im Halbschwergewicht, bei einem Werbetermin in einem Boxsport- Museum sich entschieden weigerte, sein teures Autogramm in ein Buch zu schreiben, das, jüngst erschienen, bemüht ist, seinen Lebenslauf nachzuerzählen. Dem Schreiber einer zweiten Biographie hat Maske, als er ihn telefonisch kontaktierte, beschieden, er habe „kein Interesse an einer Zusammenarbeit“. Worauf der sich unverdrossen und eiligst erst recht ans Werk machte.
Dem Maske behagte das nicht. Als er die zwecks Optimierung des Absatzes mit peinlichen Stasi- & Stöhnbanalitäten angereicherte Lebensgeschichte der Kollegin Witt gelesen hatte, war dem defensiven Boxer klar, daß er solches nie von sich erzählen würde, „vor Ende der Karriere sowieso nicht“.
Nun weiß aber keiner, was morgen sein wird. Jedenfalls stellt der heutige WM-Kampf gegen den Berliner Graciano Rocchigiani einen neuerlichen Höhepunkt in der Vermarktung des Produktes Maske dar und somit auch aller darum kreisenden Satelliten. Das Geschäft brummt. Jedes Geschäft brummt. Aufgemerkt: selbst das mit den Büchern.
Die ersten im Wettrennen waren der ostdeutsche Autor Thomas Braune, dem einige ungenannt bleibende Ost-Sportjournalisten zur Hand gingen, die die Amateurlaufbahn des NVA-Oberleutnants und Olympiasiegers von Seoul seit dessen Anfängen verfolgt haben. Der Verlag „Das Neue Berlin“ war mit – Achtung: Metapher! – „Durchgeboxt“ bereits in Leipzig auf der Buchmesse und hat in der Folge, da noch konkurrenzlos, „wie Sau“ (Maske) verkauft. „Die denken“, hat Maske darauf verärgert gesagt, „sie hätten Rechte auf mich, weil sie Ossis sind und ich auch einer bin.“
Nicht daß „Durchgeboxt“ den ersten gesamtdeutschen Helden schmähen würde. Oder über alle Maßen glorifizieren. Aber es ist ein Beispiel für den Zustand der Sportliteratur, an dem sich ablesen läßt, warum sie als Schmuddelkind der Branche gilt. Fleißig hat man in alten Zeitungen recherchiert und bequemerweise das Gefundene gleich passagenweise abgeschrieben. Das Lesen dieser nachlässigen, fehlerstrotzenden, satzzeichenvergessenen Sprache ist eine fortwährende Qual. Zwischen beispiellosem Blabla und ewigem, aber vergeblichem Kampf mit der indirekten Rede wird („akribisch wie ein Buchhalter“) keine abgenutzte Standardsituation des Sportjargons ausgelassen. Im „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“ wird Journalisten „in die Blöcke diktiert“, der Dativ wird gerettet, wenn es die Grammatik nicht vorsieht, und Töchter werden – wie zu Kaiser Wilhelms Tagen – Männern von ihren Frauen „geschenkt“.
Den Menschen Maske lernt man in dem ganzen Durcheinander nicht recht kennen, allenfalls kann man ihn bisweilen erahnen. Immerhin hat Braune eine Menge Zeitgenossen des Boxers aufgesucht, die manch relevanten Aspekt andeuten. Dann wieder muß man von Leuten wie dem Skisprung-Olympiasieger Weißflog lesen, der „Henry eigentlich persönlich kaum kennt“ und daher und auch sonst nichts zu sagen hat.
Bemerkenswert ist allerdings der Sozialrealismus. In der Prager Straße 34, Frankfurt/Oder, der früheren Adresse des Biographierten, findet sich der Autor ein und konstatiert an der Tür des Hochhauses: „Am Fahrstuhlknopf sind alle Etagen gleichberechtigt. Egal, ob Manfred Wolke, ein Abteilungsleiter des Arbeitsamtes oder gar keiner wartet“ (101). An derselben Stelle hat sich im übrigen auch Klaus Weise, Autor der mit „Auf eigene Faust“ ähnlich findig betitelten anderen Maske-Biographie, eingefunden. Weise, ein Ost- Sportjournalist, befällt beim Blick aufs Klingelbrett allerdings, wie in einigen anderen Momenten, allzu heftig die Emphase („Ein Weltmeister unter Eisenbahnern, Fahrlehrern, Fahrkartenverkäufern...“). Der ökonomische Aspekt, die Vermarktung des Boxers, wird nicht ausgelassen, die handelsüblichen Schnittpunkte zwischen Boxen und Literatur (Brecht, Hemingway, Wondratschek) runtergebetet und der unvermeidliche Box-Essay von Joyce Carol Oates von beiden Biographen an passenden und weniger passenden Stellen eingeflochten. Aber jene künstlerische Dimension, die Oates dem Boxen attestiert und die Maske angeblich darzustellen, gar zu leben weiß, bleibt den Autoren fremd.
Das Hochglanzteil „Auf eigene Faust“ zeigt Maske 169mal auf Fotos, es mögen sogar ein paar mehr sein. Beim Betrachten einiger Bilder erfährt man etwas über den Abgebildeten, der große Rest ist überflüssig. Immerhin, wer sehen will, kann sehen: einen freundlichen, gutmütigen Mann, nicht zu intellektuell, erkennbar (nicht gezwungenermaßen) angepaßt, hauptsächlich: ein bißchen langweilig und ganz zufrieden damit. Das ist für Maske selbst kein Problem, der sich in ruhigeren Momenten, so heißt es, durchaus von jenen medialen Inszenierungen zu distanzieren weiß, die ihn zum Übermenschen aufblasen.
Wer aber möchte Realismus, wenn doch das Aufbauschen gesellschaftlich respektiertes Gewerbe des Sportjournalisten zu sein scheint? Und so präsentiert „Auf eigene Faust“ denn auch frohgemut, wie der Waschzettel betont, Maske „als einen, der über das Seilgeviert weit hinausdenkt“. Schon die latente Grundannahme des Buches, das „nichts ausläßt“, ein überdurchschnittlicher Sportler müsse a priori ein überdurchschnittlicher Mensch sein, ist falsch. „Aber was ist schon üblich an Henry Maske?“ wird rhetorisch gefragt (141), und da drängt es einen, ins Büchlein zurückzuquaken: „Einiges!“
In der Henry-Maske-Literatur liegt die die seltsame Situation vor, daß ausgerechnet der Autor, der auf der Gehaltsliste von Maskes Manager Wilfried Sauerland steht, die größte Distanz und Unaufgeregtheit an den Tag legt. „Henry Maske – Mein Box-Lexikon“ ist von dem Düsseldorfer Journalisten Bertram Job geschrieben worden, der seit einigen Jahren die Pressearbeit für Sauerland und Maske macht. Der kennt den Boxer jenseits aller Inszenierungen und wäre also seiner Position nach der natürliche Jubelknecht. Er hat aber statt einer klassischen spätkapitalistischen Erfolgsgeschichte des vormaligen SED-Mitglieds ein kleines, handwerklich und sprachlich sauberes Sachbuch geschrieben. Bisweilen in der „Ich, Henry“- Form, bisweilen auch aus der neutralen Ecke wird da in Stichworten Boxen erzählt und erklärt, werden jene Regeln, Fakten, Geschichtchen aufbereitet, die einer neuen, mit den wachsenden sportlichen Erfolgen Maskes zum Boxen gekommenen Klientel den Hintergrund vermitteln, dessen es bedarf, um für den Hausgebrauch kapieren und parlieren zu können: Anspruch niedriger, Qualität höher.
Auch dieses Buch wird heftig verlangt und soll, obwohl gerade erst erschienen, schon 10- bis 12.000mal verkauft sein. Eine dritte Auflage ist in Vorbereitung. Im Ring kommt es heute abend dann zum literarischen Showdown: Während das „Box-Lexikon“ in zwei Rundenpausen vom live übertragenden Maske-Rechte-Inhaber RTL beworben wird, wird sich in zwei weiteren Pausen das ebenfalls die RTL-Kennung auf dem Cover tragende „Auf eigene Faust“ präsentieren.
Es muß also auch in diesem Zusammenhang gedeutet werden, daß die „authentische Biographie“ Weises genau mit jenen frohen Worten schließt, mit denen der Sender jüngst sein bestes Produkt zur Wiederholung des Rekords an Werbespot-Aufkommen und Quote aufgefordert hat: „Do it again, Henry!“ Da greift das kleine Rädchen in das große über, und für die gemeinsame Sache schreibt der Weltmeister im übrigen in dieses Werk auch seinen Namen.
Dergestalt ausgeschlossen, bleibt Konkurrenzbiograph Braune wenig mehr, als versonnen zu fragen: „Wo ist die Grenze?“ (184). Seine sehr vorläufige Antwort: „Hinter dem Haus. An der Oder. Sie fließt.“
Thomas Braune: „Henry Maske – Durchgeboxt“. Das Neue Berlin, 29,80 Mark.
Henry Maske: „Mein Box-Lexikon. Aufgezeichnet von Bertram Job“. Eichborn Verlag, 19,80 Mark.
Klaus Weise: „Henry Maske – Auf eigene Faust. Der Weg zum Champion“. Sport Verlag, 39,80 Mark.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen