: Blondes Debakel für Bochum
Uerdingen besiegt Bochum in der Nachspielzeit 2:1 / Der VfL damit abgestiegen, Krefelds ungeliebter Vorortclub so gut wie gerettet ■ Aus Krefeld Bernd Müllender
Auf den Rängen saßen noch etliche hundert der gut 10.000 mitgereisten Bochumer Fans, starrten wie paralysiert vor sich hin oder ließen einfach die Tränen über die blau-weiß geschminkten Wangen kullern. VfL-Manager Klaus Hilpert wollte derweil nichts unversucht lassen. Zusammen mit einem Getreuen ging er die lange Liste der Gelbverwarnten durch, konnte den erhofften Fehler eines doppelverwarnten Uerdingers allerdings nicht entdecken. „Zu viele Blonde bei denen im Team“, da hatte er sich vertan, nein: war nichts mit Protestgrund und Wiederholungsspiel. Den Unwiedernichtabsteigbaren vom VfL war die letzte Chance auf Rettung genommen.
Volle zehn Mal hatte der Schiedsrichter in die Brusttasche gegriffen und mit dieser rekordverdächtigen Gelb-Statistik dokumentiert, was sich 95 Minuten lang beim Abstiegsfinale in Krefeld abgespielt hatte: wilder Kampf mit wütenden Grätschen, reichlich ungeschlachten Attacken und rustikalen Sensen auf beiden Seiten. Und Drama wie Tragödie der bestinszenierten Sorte.
Nach einer weitgehend ereignislosen ersten Hälfte, in der sich beide Teams kampfesfreudig neutralisiert hatten, spielte Bochums Verein für Leibesübungen immer druckvoller – und tat genau das, was man sich in solcher Showdown-Situation nicht erlauben darf: die Abwehr entblößen. Und wenn dann noch zwei Defensivrecken gleichzeitig auf das gleiche Täuschungsmanöver des flinken Uerdinger Blondschopfs Markus Feldhoff hereinfallen und dieser mit elegantem, wiewohl noch unglücklich abgefälschten Schlenzer überraschend die Krefelder Führung erzielen darf (54.), ist der Grund für Bochums Misere auf den Punkt gebracht: Sie haben die schwächste, ordnungsärmste Abwehr der Liga. Da nutzen auch noch so trickreiche Wirbelwinde wie Peschel, Michalke und vor allem Wosz wenig.
Der VfL versuchte nach dem Rückstand alles, dominierte, drückte, drängte, vor allem als der wohlgenährte Wohlfarth ausgewechselt war. Pyrrhuslohn war Peter Peschels schöner Freistoß zum späten Ausgleich (81.). Denn jetzt nahm das Drama erst recht seinen Lauf. Der VfL griff tabellenbedingt weiter an – ein Punkt reichte nur für den Traum vom Klassenerhalt, zwei hätten es für eine begründete Hoffnung schon sein müssen. Bayer wehrte sich mit wilder Leidenschaft und ebensolchem Durcheinander. Die Krefelder Konfusionen eskalierten – aus Bochumer Sicht – zum Strafraum- Handspiel von Libero Peschke und einer Rangelei des blonden Feldhoff, die viele Schiedsrichter als rotwürdige Tätlichkeit ausgelegt hätten. Auch das zweite böse Foul des blonden Bayer-Rüpels Heiko Laessig war nicht mit Gelb-Rot geahndet worden, sondern mit einer finalen Ermahnung. Umgehend ließ sich Laessig auswechseln.
Für ihn kam der ebenso blonde frühere Karlsruher Rainer Krieg, der fast die ganze Saison über gefrustet auf der Bank geschmort hatte. Und stand in der 92. Minute nach einem Konter plötzlich frei vor dem leeren Tor, schoß sich ungelenk mit rechts gegen sein linkes Standbein, der Ball hoppelte davon, gegen den Innenpfosten und von dort ins Tor. Die Inkarnation des Unglücks für den VfL, doch er gab sich immer noch nicht geschlagen. In der 95. Minute schoß Christian Herrmann aus kurzer Entfernung, aber mit einem kaum menschenmöglichen Reflex drehte Bayers blonder Linienpfiffikus Dreher die Kugel um den Pfosten. Schlußpfiff – und alles sank wie vom Schlag getroffen nieder, die einen ermattet vor Glückseligkeit, die anderen verdattert vor soviel Tragik, die nur der Fußball kennt.
Bayer-Trainer Friedhelm Funkel, der die ganze Saison über sehr geschickt aus dem großen Sympathie-Malus seines Graumäuseteams Motivation entfacht und Begeisterung aufgebaut hatte, konnte hinterher leichterdings loben: Bochum sei eine „sehr, sehr gute Mannschaft gewesen“, die Seinen hätten „heute mehr als nur Glück“ gehabt. Und dennoch: Wer sich mit derart bescheidenen Mitteln wie Uerdingen (trotz des großen Chemie-Sponsors, der jetzt aussteigt) und unbekannten Jungkickern wie Rahner, Hahn, Kühn, Feldhoff und dem hochtalentierten Shootingstar Marcus Wedau in aller Ruhe querelenfrei voranarbeitet, hat das Glück des vermutlichen Klassenerhalts über die ganze Saison gesehen auch verdient.
Seit 1983 hat Bochum mit Regelmäßigkeit in Krefeld verloren. Der Abstieg hilft, diese eine sichere Niederlage in der nächsten Saison zu vermeiden. Mag dies ein kleiner Trost für die Untröstbaren vom VfL sein, dem einstmals unabsteigbaren Verein fortschreitender Leidensübungen.
Zuschauer: 23.149; Tore: 1:0 Feldhoff (54.), 1:1 Peschel (81.), 2:1 Krieg (90.)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen