US-Boys nach Bosnien?

Die Nato bereitet sich schon seit langem auf den Rückzug der UNO-Blauhelme aus Bosnien vor  ■ Aus Zagreb Erich Rathfelder

„Die schlechteste aller Optionen“, so sind sich viele Kommentatoren nach den Ereignissen der letzten Tage einig, sei der Abzug der UNO-Truppen aus Bosnien- Herzegowina. Und in der Tat scheint ein Totalabzug der UNO- Truppen bei den Diskussionen im Weltsicherheitsrat, der in dieser Woche über den Status der UNO- Truppen in Bosnien-Herzegowina zu entscheiden hat, noch keine Rolle zu spielen. Gleichwohl wird und wurde mit dieser Option schon seit längerem Politik gemacht.

So sind die USA und die Nato bereit, zur Sicherung des Rückzugs der UNO-Truppen eine umfassende militärische Unterstützung zu geben. Pläne für diesen Einsatz liegen seit geraumer Zeit in den Schubladen. Sowohl in Italien wie auch in anderen Nato-Ländern wurden Kontingente der Luftstreitkräfte für diese Aktion zur Verfügung gestellt. Auch der Einsatz von Tornadoflugzeugen der deutschen Bundeswehr ist vorgesehen.

Aber auch für den Einsatz von Bodentruppen der US-Armee gibt es inzwischen trotz aller Dementis einige Anzeichen. Sie finden sich vor allem in Kroatien. So beschäftigen sich rund achtzig amerikanische Kommunikationsspezialisten in der kroatischen Hauptstadt Zagreb mit dem Aufbau von Kommunikationssystemen. Auf der Insel Brac ist ein Beobachtungszentrum entstanden; auf Schiffen und Flugzeugträgern in der Adria sollen nach Angaben der kroatischen Presse seit Oktober letzten Jahres mehrere tausend Soldaten der U.S. Army einsatzbereit sein. Fieberhaft wird an einem Flughafen im Tal der Bosna in Zentralbosnien gearbeitet. Die Rollbahn, die für schwere Transportmaschinen ausgelegt ist, wurde bereits in den vergangenen Wochen fertiggestellt.

„Schneller“ oder „umfassender“ Rückzug?

Die wichtigsten logistischen Voraussetzungen für ein Eingreifen der Nato sind schon vor einigen Monaten geschaffen worden, behaupten militärische Beobachter in Kroatien und Bosnien-Herzegowina. Auf die Frage, ob bei einem etwaigen Rückzug der UNO- Truppen ein solcher Aufwand überhaupt notwendig ist, erhält man nur ausweichende Antworten: Die Planungen entsprängen der Notwendigkeit, „alle Eventualitäten“ einzubeziehen. So jedenfalls „erklärte“ General Gunnar Ridderstad, der damalige Befehlshaber der Unprofor-Truppen in Ostbosnien, schon Anfang Februar die „worst case“-Planungen.

Bei der UNO selbst gebe es Pläne für einen „schnellen Rückzug“, der zwei bis drei Tage dauern und alle Installationen der UNO vor Ort belassen würde, und einem „umfassenden Rückzug“, bei dem innerhalb von vier Wochen die gesamte Infrastruktur aus Bosnien- Herzegowina zurückgezogen werden könnte.

Die Abzugspläne der UNO und die dabei entwickelten Szenarien der Bedrohung der Blauhelme wurden von den Offizieren der bosnischen Regierungstruppen anfangs süffisant kommentiert: „Unsere Armee wird den Rückzug der UNO-Truppen schützen, so wie unser 5. Korps in Bihać die UNO- Truppen vor den serbischen Angriffen geschützt hat.“ Eine Truppe, die nicht einmal sich selbst, geschweige denn die Bevölkerung in den „Schutzzonen“ verteidigen konnte, kann eben leicht zum Gespött werden.

Inzwischen sind solche Töne jedoch leiser geworden. Zwar dürfte es für die UNO-Truppen kaum ein Problem sein, sich aus Zentralbosnien zurückzuziehen – die Straßen zur Küste hin stehen offen, Behinderungen durch die Bosnier sind nicht zu erwarten. Problematischer wäre jedoch ein Rückzug aus den Enklaven, denn dabei müßten die Blauhelme serbisch kontrolliertes Gebiet durchqueren. Sollte es dabei zu Zwischenfällen kommen, die ein Eingreifen der Nato erforderlich machten, wäre dies nicht zum Schaden der bosnischen Regierungstruppen. So stärken die „worst case“-Planungen der Nato ebenso wie die Bombenangriffe der letzen Tage die Position der bosnischen Seite.

Andererseits kündigten die britische und die französische Regierung schon mehrmals den Abzug ihrer Truppen aus den Enklaven Goražde und Sarajevo an. Aber auch die Niederlande, deren Truppen in der Enklave Srebrenica stationiert sind, und die Ukraine, die ein Truppenkontingent in der Enklave Zepa unterhalten, wollen unter Umständen ihre Truppen aus diesen Orten zurückgezogen wissen.

Der Rückzug wird zwar mit der durchaus verständlichen Sorge um die Sicherheit dieser Truppen begründet. Warum, so ist zu fragen, ändert die UNO dann jedoch nicht das Mandat ihrer Soldaten und gibt ihnen endlich die Möglichkeit, sich zu verteidigen. Daher muß es aufhorchen lassen, daß ein Abzug der UNO-Truppen aus den Enklaven schon im März 1994 von dem damaligen Oberbefehlshaber der UNO-Truppen in Bosnien-Herzewowina, Michael Rose, gefordert wurde. Mit der Drohung, die UNO-Truppen aus den Enklaven zurückzuziehen, sollte bereits damals die „Demilitarisierung der Enklaven“, das heißt die Entwaffnung der bosnischen Regierungstruppen, erzwungen werden.

Erst kürzlich hat Yasushi Akashi, der Sondergesandte der Vereinten Nationen in Bosnien, diese Forderung bekräftigt. So kristallisieren sich an der Frage des Abzugs der UNO-Truppen schon seit geraumer Zeit die unterschiedlichen politischen Interessen von Mitgliedsländern in der Weltorganisation.