: Frankreichs UN-Soldaten schießen zurück
■ Paris will sich von den Serben nicht länger demütigen lassen / Bosniens Außenminister Irfan Ljubijankić bei Bihác im Hubschrauber abgeschossen
Sarajevo (AP/AFP/rtr/taz) – Frankreich scheint entschlossen, sich nicht länger von den bosnischen Serben vorführen zu lassen. Zum erstenmal seit Beginn des UNO-Mandats in Bosnien haben sich französische Blauhelme massiv gegen einen Angriff gewehrt. Dabei gelang es ihnen, die in der Nacht zum Samstag von den Serben eroberte Vrbanja-Brücke in Sarajevo wieder unter Kontrolle der UNO zu bringen. Bei den einstündigen Kämpfen starben zwei Franzosen und vier Serben, drei Serben wurden gefangengenommen. Für den Angriff auf den UN-Kontrollposten an der Brücke hatten die Serben ein französisches UNO-Fahrzeug verwendet.
Ob der Gegenangriff der Franzosen ein „Paradebeispiel“ für das künftige Vorgehen der Blauhelme in Bosnien sein könnte, darüber diskutierte der Sicherheitsrat der UNO am Samstag. Der französische UN-Botschafter Jean-Bernard Mérimée sagte: „Die Glaubwürdigkeit der UNO hängt nicht nur von Luftangriffen ab. Es gibt noch viele andere Maßnahmen, die ergriffen werden können.“ Bereits am Freitag hatte Frankreichs Präsident Jacques Chirac eine Neudefinition des UN-Mandats gefordert. In einer nach einer Sondersitzung der Regierung in Paris veröffentlichten Erklärung hieß es, die gegenwärtigen Ereignisse seien „das Ergebnis der Zweideutigkeit, die das UN-Mandat umgibt, der unangepaßten Mittel und einer unzureichenden Entschlossenheit der internationalen Gemeinschaft“. Die Blauhelme sollten die Möglichkeit erhalten, sich zu verteidigen, ansonsten werde Paris seine 3.800 Soldaten zurückziehen. Für eine Erweiterung des UN-Mandats sprach sich auch Bundesverteidigungsminister Volker Rühe aus.
Unklar ist jedoch weiterhin, was die UNO für die von den Serben gefangengenommenen 277 Blauhelme und Militärbeobachter zu tun gedenkt. Acht von ihnen blieben auch am Wochenende an dem von der Nato am Freitag bombardierten Munitionslager der Serben bei Pale angekettet. Verhindern konnte die UNO auch nicht, daß die Serben in Sarajevo inzwischen 200 schwere Waffen aus UNO-Depots entfernten und die Verbindungsstraße zum Flughafen in Sarajevo verminten. Der UN-Sicherheitsrat verurteilte die Geiselnahme zwar zweimal in scharfer Form, die verabschiedeten Erklärungen enthielten jedoch keine weiteren Drohungen, Nato- Flugzeuge einzusetzen. UN-Sprecher Chris Gunness sagte: „Wir denken immer noch ernsthaft an Luftangriffe. Die diplomatischen Kanäle zu den bosnischen Serben bleiben aber weiterhin offen.“ Einräumen mußte der Sprecher jedoch, daß es bisher keine Verhandlungen über die Freilassung der Geiseln gibt. Auch eine von Rußland angekündigte Vermittlungsmission von Außenminister Andrej Kosyrew und Verteidigungsminister Pawel Gratschow kam zunächst nicht zustande. Am Sonntag beschossen die bosnischen Serben Nato-Flugzeuge, die über ihre „Hauptstadt“ Pale flogen; erneut angegriffen wurde das ostbosnische Tuzla. Beim Abschuß seines Hubschraubers bei Bihać kam der 43jährige Außenminister Bosniens, Irfan Ljubijankić, ums Leben. Über das weitere Vorgehen in Bosnien sollen heute abend die Außenminister der internationalen Kontaktgruppe beraten. Seiten 8 und 10
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