piwik no script img

Geschlecht in Plastikeinkaufstüten

„Die Nibelungen – Born Bad“: Frank Castorf und die Volksbühne wagen sich an die „Nibelungen“  ■ Von Sabine Seifert

Die angekündigte Mammuttour quer durch die Jahrhunderte und die von Friedrich Hebbel dramatisierte Nibelungengeschichte schien mit fast sieben Stunden Aufführungsdauer selbst für ein sitzfleischfestes, wohlwollendes Volksbühnen-Publikum zu lang geraten. Einen Tag vor der Premiere wurde entschieden, „Kriemhilds Rache“, den dritten Teil, einen Abend später zum Zuge kommen zu lassen.

Frank Castorf hat sich für seine Version der „Nibelungen“ von zwei Filmen beeindrucken lassen: der berühmten Fritz-Lang-Verfilmung sowie Oliver Stones „Natural Born Killers“ aus dem vergangenen Jahr. Wie schon in den „Räubern“ oder – auf andere Weise – in „Dantons Tod“ entwirft Castorf hier das Bild einer Männergesellschaft; die Burgunder, die Siegfried auf dem Gewissen haben, segeln umher wie eine Gruppe von Outcasts, ein loser Haufen, der nichts mehr zu verlieren hat, aber saufen und raufen und grölen kann, was das geflickte Zeug hält. „Good-bye, Johnny!“ singen sie das alte Albers-Lied: „und die Bombe machte bumm, da fiel mein Johnny um...“ Frei von Robin- Hood- oder Westernromantik ist diese Szene nicht, da spielen Jungensphantasien mit hinein, die dann vom Regisseur selbst als müder Altmännerwitz entlarvt werden. Später zieht die Herrenriege in König Etzels Schloß ein: frisch geduscht und ohne die Langhaarperücken, die sie zu den ersten Hippies erklärt hatten, werden sie in ausgeleierten Unterhosen der Lächerlichkeit preisgegeben. Man läßt ihnen eine jener modernen Errungenschaften angedeihen und fönt sie trocken („der kleine Bruder des großen Sturms“ heißt es an dieser Stelle bei Hebbel). Dann schlüpfen sie in Plastikeinkaufstüten, die eben mal ihr Geschlechts- und Hinterteil verbergen.

Die kurioserweise spanisch sprechenden Damen des Hauses, Gudrun und Götelinde (zwei Tänzerinnen aus dem Kresnik-Ensemble), studieren mit ethnologischem Eifer die Tütenaufschriften (Eduscho und ähnliches), während die Herren sich neugierig an ihren Bikini-Etiketten zu schaffen machen: „60 Grad Buntwäsche, und was bedeutet das Dreieck? – Nicht schleudern!“ Die Situation der Wende ist mit Hilfe der Einkaufstütenparade unschwer wiederzuerkennen, hier ist Castorf bei seinem Thema und in seinem Element. König Etzels Burg repräsentiert die westliche Wirtschaftswunderwelt – wobei der König selbst charmanterweise von einem Russen (Michael Bulatov) gespielt wird. Hier die Aussteigergesellschaft, die den Anschluß an die neue Zeit verpaßt hat, dort die Aufsteigergesellschaft, die sich gnadenlos mit Russenfolklore über das Motorsägenmassaker rettet.

Castorf läßt die verschiedenen Welten aufeinanderprallen. Die nur mit Hilfe von Siegfrieds Tarnkappe bezwungene Brunhild, von Sophie Rois als eine wilde Mischung aus Jeanne d'Arc und Pippi Langstrumpf dargestellt, stammt aus dem Norden und kann sich an das helle Burgunder Tageslicht kaum gewöhnen. Siegfried aus den Niederlanden redet manchmal wie Otto, nämlich ostfriesisch. Dem schönen Siggi steht ein Amazonenheer zur Seite, das ebenfalls mit Tänzerinnen aus dem Kresnik- Ensemble international besetzt ist. Siegfried selbst wird abwechselnd von einem Tänzer (Christian Schwaan) und einem Schauspieler (Birol Ünel) dargestellt; ein Regieeinfall, der nur einmal einleuchtet, als Kriemhild von Siegfried verlangt, nicht mit ihren Brüdern auf die Jagd zu gehen (wo sie ihn hinterrücks an seiner verwundbaren Stelle treffen werden). Beim „Bleib daheim!“ verfällt er in ein nervöses Steptänzeln, dann beginnt sein Bein zu zittern, und er bekommt das Zittern nicht wieder in den Griff. Wenn aber die Amazonen den Hebbel-Text sprechen, wünscht man sich, sie hätten nicht nur Tanz, sondern auch Schauspiel studiert.

Die Nibelungensage durchstreift die Jahrhunderte. So ist der erste Teil („Der gehörnte Siegfried“) noch im sechsten Jahrhundert angesiedelt und auch am geschlossensten inszeniert. Peter Schubert hat einen fast alterslosen, hohen Raum mit länglichen Fensternischen entworfen, irgendwas zwischen Schloßsaal und Fabrikhalle. Dann beginnt sich das Räderwerk der Geschichte zu drehen, die Bühnenmaschinerie setzt sich mit lautem Knarren in Bewegung. Gemalte Bühnenprospekte weisen den weiteren Weg durch die Geschichte, Etzels Burg besteht schließlich nur noch aus Wänden von Packpapier, die regelrecht aufgeschlitzt werden.

Die Welt geht nicht in Flammen auf, sondern in Fetzen. Bloß Kriemhild geistert unbeirrbar durch die Zeit. Silvia Rieger spielt sie mit stets verzücktem Gesicht, das bei seitwärts gedrehtem Oberkörper und Kopf mit schwarzumrandeten, aufgerissenen Augen immer ins Leere starrt. Eine Stummfilmfigur, die mit leiernder Stimme und vorgeschobener Kinnlade spricht. Brunhild kommt in dieser Männerballade besser weg: ein wildes Weib, das von der Amme mit Blutsuppe genährt wird und der Widerspenstigen Zähmung erfahren muß. Doch auch wenn aus dem Sarg, in dem sie sich lebend einsperrt, wilde Schreie einer Megäre ertönen, bleibt auch sie eher der – wenn auch eindrucksvolle – Typus Nervensäge.

„Die Nibelungen – Born Bad“: Drama des deutschen Mannes, eines Ritters von sehr trauriger Gestalt? Auch wenn dieser Abgesang auf die Männlichkeit, die verlorengegangene Jugendlichkeit, auf Rebellion und Stagnation auf Dauer monoton wirkt, gelingen Castorf einige Male stimmige Bilder – vor allem zu Anfang und im letzten Teil der Trilogie, wenn er seinem Thema, seiner Obsession nachgeht. Aber es gibt keine siebenstündige Aufführung, in der ein Highlight an das andere gereiht wird. Dazwischen herrschen über lange Strecken: Wiederholung, Leerlauf, Klamauk, Langeweile. Die Geschichte dieser Nibelungen läßt sich sehr viel flotter erzählen als anschauen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen