Inakzeptable Begriffe

Nach dem Friedensabkommen mit Israel müssen in Jordanien Schulbücher und Lehrpläne neu geschrieben werden – und nicht nur die  ■ Von Stephanie Genkin

Die Unterzeichnung des historischen Friedensabkommens zwischen Israel und Jordanien am 26. Oktober letzten Jahres öffnete eine Pandorabüchse im Haschemitischen Königreich. Was muß in Schulbüchern und Lehrplänen geändert werden, um die neue Ära des Friedens angemessen zu vermitteln? Denn das Friedensabkommen verpflichtet beide Seiten, feindliche Propaganda einzuschränken. Nur weiß keiner so genau, wo damit anfangen und wo aufhören.

In einem Interview mit der Jordan Times sagte Mustafa Hamarneh, Direktor des Zentrums für Strategische Studien an der Universität von Jordanien: „Soweit es die Araber angeht, dürfen wir keine Revision unserer Geschichte zulassen. Inakzeptable Begriffe im Zusammenhang mit den Juden zu streichen ist das eine. Etwas anderes dagegen ist es, uns für die zu entschuldigen, die für Palästina gekämpft haben.“

Dara Taher, Direktorin der Amman-National-Schule, erinnert sich an den ersten Verunsicherungsschub ihrer Gesellschaftskundelehrer, als die Nachricht kam, Israel und Jordanien würden ein Friedensabkommen unterzeichnen. „Vom Bildungsministerium gab es keinerlei Vorgaben. Als die Lehrer zu mir kamen und mich fragten, was sie nun unterrichten sollten, sagte ich ihnen, wir werden Geschichte unterrichten. Wir können die Fakten nicht ändern.“

Zumindest zur Zeit besteht das Ziel weniger darin, „die Geschichte umzuschreiben“, als sie weniger emotional zu vermitteln. Jordaniens Informationsministerium instruierte inzwischen die Redaktionen von Zeitungen und Zeitschriften des Landes, von Israel nicht länger als dem Feind zu sprechen. Für das Bildungsministerium heißt das, den mühsamen Weg einer detaillierten Revision dessen zu beschreiten, was Lehrbücher bis heute als Geschichte vermitteln. In einem Gemeinschaftskundebuch für die vierte Klasse mit dem Titel „Unser Land“ heißt es derzeit noch: „Schüler, denkt immer daran, daß es ein Land gibt, das gestohlen wurde und das der israelische Feind besetzt hält! Dieses Land ist Palästina. Es ist unsere Pflicht, für seine Befreiung zu arbeiten.“

Wie die Dinge stehen, durchzieht dieses Motto die gesamte jordanische Gesetzgebung – weshalb speziell viele Bildungsgesetze ebenfalls geändert werden müssen. Zu Palästina heißt es in einem der maßgeblichen Paragraphen: „Das Palästinaproblem bedeutet für das jordanische Volk eine Verpflichtung. Die israelische Aggression gegen Palästina ist ein politisches, militärisches und kulturelles Verbrechen an der gesamten arabischen Nation.“

Der Direktor des Königlichen Kulturzentrums, Iyad Qattan, ist Mitglied des Pädagogenteams, das die Aufgabe hat, die Bildungspolitik Jordaniens zu ändern. Ihm zufolge genügt es nicht, aggressive Hinweise auf Israel zu unterlassen, vielmehr müsse die gesamte Darstellung jüdischer Geschichte überdacht werden.

Denn obwohl es nicht die Norm ist, gehen doch viele Schulbücher nicht nur auf den aktuellen politischen Kontext des arabisch-israelischen Konflikts ein, sondern benutzen zur Rechtfertigung heutiger Politik auch alte antisemitische Stereotype. In einer Ausgabe von 1993 heißt es in „Der Fall Palästina“ über die Juden: „Ihr Umgang mit und ihre Liebe zum Geld machte sie bei den Menschen verhaßt. Und das brachte sie wiederum dazu, die Gesellschaften zu hassen, in denen sie lebten.“

Fast noch schwieriger als die Revision der arabisch-israelischen Geschichte für die Schulen sind Veränderungen im Religionsunterricht. Iyad Qattan ist der Meinung, daß Koranverse, die als beleidigend empfunden werden können, durch andere ersetzt werden sollten. Dieser Vorschlag stieß jedoch auf heftige Kritik, und ein Religionspädagoge meinte: „Darf das wirklich zugelassen werden? Hat man je davon gehört, daß die Bibel oder die Thora geändert wurde?“

Die Änderungen in Schulbüchern und Lehrplänen sind insgesamt nur ein Teil der Auseinandersetzungen. Die wichtigere Frage ist: Können Jordaniens Pädagogen ihre politische Haltung ändern? Viele geben immerhin zu, daß das nicht einfach wird. „Als Gesellschaftskundelehrer stehen wir wirklich im Zentrum des Problems“, sagte einer. „Wer seit 25 Jahren Israel als Feind gelehrt hat, kann nicht plötzlich damit aufhören. So einfach ist das nicht.“

Aber nicht jeder findet die psychologischen Schwierigkeiten im Übergang zu Friedenszeiten so unüberwindlich. Viele, wie auch Khairi Janbek, früher Geschichtslehrer am Baccalauréat-Institut in Amman, sind im Gegenteil froh, endlich die Möglichkeit zu tiefgreifenden Änderungen zu haben. „Das ist eine große Chance, uns einmal ernsthaft mit uns und unserer jüngsten Geschichte auseinanderzusetzen und mit ein paar Mythen aufzuräumen. Wir sollten endlich damit aufhören, immer anderen die Schuld zu geben.“

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Schon vor dem jordanisch-israelischen Friedensabkommen begannen zwei berühmte Komiker – Nabil Sawalha und Hisham Yaness – damit, die moderne arabische Geschichte zu revidieren. Einer ihrer großen Erfolge war eine Show mit dem Titel „Willkommen zum arabischen Gipfeltreffen!“, in der sie die Jahrzehnte arabischer Gipfeltreffen Revue passieren ließen und sich besonders um die Zeit unmittelbar vor dem Sechstagekrieg 1967 kümmerten. Ihre Neuinterpretation der Geschichte beinhaltete auch die Entmystifizierung des damaligen ägyptischen Präsidenten Gamal Abdul Nasser – wobei die Vorstellung, daß der so lange unkritisch bewunderte arabisch- nationalistische Politiker Fehler gemacht haben könnte, selbst für einige ihrer treuesten Verehrer zu starker Tobak war.

Khairi Janbek, ein Berater des Ökumenischen Rates des Königreichs, unterstützt wortreich alle Versuche, die arabische Geschichte gründlich zu revidieren. „Wir haben jetzt die Gelegenheit, einen langen historischen Kampf objektiv neu zu bewerten. Wir müssen eine neue Philosophie formulieren, ohne daß Geschichte entwertet und ohne daß der Friedensprozeß gefährdet wird.“ Und er warnt: „Wenn das alles nur zu kosmetischen Veränderungen reicht, wäre das eine große Enttäuschung.“

Sicher scheint, daß feindselige Bemerkungen mehr und mehr aus dem öffentlichen Leben verschwinden werden; wie man aber mit der Gründung des Staates Israel und der frühen zionistischen Bewegung umgehen wird, ist weniger klar. Bisher steht in einem Schulbuch für die zehnte Klasse mit dem Titel „Moderne Geschichte der arabischen Nation und ihrer neueren Zusammenschlüsse“, Ausgabe 1994, zur Balfour-Erklärung: „Das oberste Ziel der Erklärung von Balfour war, die arabische Nation zu spalten und zu schwächen, die Juden der Vereinigten Staaten für sich zu gewinnen [...] und Kredite für Großbritannien zu sichern.“

Amin Mahmoud, Historiker und Präsident der Al-Zeitunah- Universität, ist der Meinung, daß alle Hinweise auf Zionismus und Zionisten als Agenten des Imperialismus und Vorreiter expansionistischer Gelüste geändert werden müssen. „Das ganze Kapitel ,Zionismus‘ muß bei uns völlig neu geschrieben werden.“ Bisher erklärt das Gesellschaftslehrbuch für die zehnte Klasse zum Thema „zionistische Expansion“: „Die Führer der zionistischen Expansion waren sich einig, daß das von ihnen geforderte Land Israel nicht auf Palästina beschränkt sein sollte, wie wir es heute kennen, sondern daß auch andere arabische Gebiete dazukommen sollten.“

Auf einer nebenstehenden Landkarte sind Gebiete eingezeichnet, auf die sich die zionistische Bewegung durchaus niemals geeinigt hat: das gesamte heutige Syrien, der gesamte Libanon, Israel, Sinai und das Nildelta, ein großer Teil Iraks, die südliche Türkei und ein großes Stück von Saudi-Arabien – entschieden mehr Land, als selbst die ideologischen Falken der zionistischen Bewegung je zu träumen gewagt haben.

Das Gezerre zwischen denen, die die arabische Geschichtsschreibung gründlich revidieren wollen, und anderen, denen oberflächliche Änderungen genug sind, geht weiter, und das Ausmaß der fälligen Geschichtsrevision ist daher ungewiß. Am Ende wird Jordanien jedoch einen klaren Weg finden müssen, seine Vergangenheit einer zukünftigen Generation glaubwürdig zu präsentieren.

Stephanie Genkin ist freie Journalistin besonders für den Nahen Osten.