: Ohne Arbeit und dann auch noch kein Geld
■ Die Zahl der mittellosen Arbeitslosen steigt / DGB fordert Sozialhilfereform
Bonn (taz) – Immer mehr Arbeitslose geraten in die Armutszone. Jeder siebte Arbeitslose in der alten Bundesrepublik ist auf ergänzende Sozialhilfe angewiesen, 700.000 bekommen überhaupt keine Unterstützung mehr vom Arbeitsamt, sondern leben nur noch von der „Stütze“. Im Westen müssen 156.000 Arbeitslose mit weniger als 600 Mark über die Runde kommen, in den neuen Bundesländern sind es 112.000 Menschen. Rund 17 Prozent der Arbeitslosen müssen Sozialhilfe beziehen.
Diese Zahlen legte gestern der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) in Bonn vor und forderte eine grundlegende Reform der Sozialhilfe. Gleichzeitig lehnte die stellvertretende DGB-Vorsitzende Ursula Engelen-Kefer die Eckpunkte von Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer (CSU) zur Sozialhilfereform ab. Seine Vorschläge zur Wiedereingliederung ins Arbeitsleben seien zwar ein „zaghafter Schritt in die richtige Richtung“, jedoch „nicht ausreichend“.
Mit einem Vierstufenplan will der Gewerkschaftsbund verhindern, daß noch mehr Arbeitslose in die Sozialhilfe abrutschen. Das Konzept sieht vor, auf die von der Bundesregierung angestrebte Begrenzung der Sozialhilfe auf zwei Jahre zu verzichten und statt dessen die Zusammenarbeit von Arbeits- und Sozialämtern zu verbessern. Wenn die Arbeitslosenhilfe ab Oktober auf zwei Jahre befristet werde, würden weitere 300.000 Langzeitarbeitslose in die Armut gedrängt, warnte Engelen-Kefer.
Sie warf der Bundesregierung vor, ein besseres Zusammenwirkung von Arbeits- und Sozialämtern zu blockieren. Der DGB setzt sich weiter dafür ein, daß die Arbeitsämter im Auftrag des Bundes Sozialhilfe auszahlen, wenn Arbeitslosengeld oder -hilfe unter den Sozialhilfesatz sinkt, um die Arbeitslosenunterstützung automatisch auf das Existenzminimum aufzustocken. Gleichzeitig müßten Sozialhilfeempfänger grundsätzlich über das Arbeitsförderungsgesetz gestützt werden, hieß es gestern. Die Gewerkschaftsvertreter plädieren für die Einführung einer bedarfsorientierten Mindestsicherung für alle Arbeitslosen, die voll vom Arbeitsamt gezahlt werden und damit zu einer Entlastung der von den Gemeinden finanzierten Sozialhilfe führen soll.
Im Rahmen der Diskussion um die Sozialhilfereform fordert die SPD-Bundestagsfraktion einen Armutsbericht der Bundesregierung. „Seit Jahren verweigert die Regierung die Einführung einer Armutsberichterstattung“, kritisierte die SPD-Abgeordnete Ulrike Mascher. Die Sozialdemokraten wollen nun mit einer großen Anfrage einen Überblick über die soziale Not in Deutschland bekommen. „Die Debatte um die Neuordnung des Bundessozialhilfegesetzes kann nicht ohne das Wissen um die Lebenslage der betroffenen Menschen geführt werden. Deswegen erwarten wir von der Bundesregierung noch vor der Sommerpause eine Antwort“, sagte der Bundestagsabgeordnete Konrad Gilges (SPD). Karin Nink
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