: Schöne geschichtslose Tage
Whit Stillman, Meister des Understatements und der Achtziger, filmte in der weiten Welt: „Barcelona“ ■ Von Jörg Lau
Bringen wir es hinter uns: Es ist unmöglich, über Whit Stillmans Filme zu schreiben, ohne Worte wie (subtile) Lakonik, (leise) Ironie, (spröde) Eleganz oder irgendwelche ähnlich feinsinnigen Prägungen zu verwenden. Was hiermit geschehen wäre. Wir können also zum Thema kommen.
Während die neunziger Jahre sich immer mehr verrätseln, nehmen die Achtziger langsam Gestalt an. Whit Stillmans zweiter Film „Barcelona“ ist, um mit dem Geringsten zu beginnen, ein Beitrag zu einer Geschichte dieses Jahrzehnts, wenn auch gleich in mehrfacher Hinsicht von den Rändern her.
Disco-Hedonismus, Wunderfrauen
Seine Zeit sind die frühen bis mittleren achtziger Jahre, und die sind in dem von Stillman aufgespannten Universum von zwei Leidenschaften geprägt: von einem vor allem als Antiamerikanismus auftretenden Linksradikalismus im Politischen, von Disco-Hedonismus und anhängigen Geschichten mit undurchsichtigen Frauen im Privaten. Das ist zunächst schon einmal gut gesehen. Aber man muß es erzählen können. Stillman kann es, und es ist ihm nach „Metropolitan“ wieder eine Komödie gelungen, deren spröde Lakonik, leise Eleganz, subtile Ironie ... Dieser Regisseur ist ein Freund des Understatements, wie jeder weiß, der seinen Erstling „Metropolitan“ gesehen hat. Auch sein neuer Film kommt so nett daher, daß einem ganz bange werden kann, er könnte am Ende nicht ernst genug genommen werden. Man möchte sich breitbeinig vor einem imaginären Kartenschalter aufbauen und unter Aufbietung zeitgemäßen Angebervokabulars schwersten Kalibers Reklame machen. Aber solche zweifelhaften fürsorglichen Regungen blamieren sich vor diesem Film, dessen Komik nicht zuletzt aus der Demontage einer älteren Sorte Angebervokabulars entspringt.
Einmal geraten die beiden Helden bei einem Ausflug mit ihren spanischen Bekannten in ein politisches Gespräch. Wir sind in Barcelona zu Beginn der achtziger Jahre, die Vettern Ted (Taylor Nichols) und Fred (Chris Eigeman) – der eine Repräsentant einer Motorfirma, der andere Navy-Offizier – finden sich unversehens mit jener Sorte Antiamerikanismus konfrontiert, die damals noch, wie man in den späteren achtziger Jahren zu sagen pflegte, „mega-in“ war. Man hält ihnen Reden über den teuflischen US-Imperialismus und seine widerlichsten Auswüchse: den Hamburger und die Nato. Ted und Fred ist das Erstaunen anzumerken; sie hatten sich bislang nicht als Repräsentanten eines Schweinesystems gesehen, als die sie nun dastehen. Das Erstaunen wird auch auf der Seite vieler Zuschauer sein: Ja, genau so redete man damals daher, in jenen schönen geschichtslosen Tagen unter dem Patt der Blöcke, in denen wir recht sorglos lebten – wenn man einmal vom atomaren Holocaust absieht, auf den die verbrecherische Rüstungspolitik der Pentagon-Faschisten hinauszulaufen schien. Those were the days. The days of wine and demos.
Politisch-erotische Verwirrung mit Folgen
Fred nimmt Wohnung bei seinem Vetter Ted, der ihn aufnimmt, ohne zu ahnen, wie der Gast schon bald sein Leben durcheinanderwirbeln wird. Die beiden werden von einer Gruppe einheimischer Vergnügungsfanatiker adoptiert, und lernen dabei eine Reihe entschlossen drauflos lebender Frauen kennen. Teds erotische Erziehung nimmt ihren Lauf, nachdem der Vetter frei erfundene Geschichten über seine speziellen sexuellen Vorlieben ventiliert hat. Der brave Nachwuchsmanager gilt von da an als „dangerous stranger“, was ihm Frauen zutreibt, an die er auf seine übliche linkische Art wohl nicht herangekommen wäre.
Wie schon in seinem ersten Film erzählt Stillman auch diesmal wieder eine Geschichte, deren freundliche Lehre lautet, daß Liebe bildet. In „Metropolitan“ verliebt sich der junge Tom Townsend, ein Bildungsaufsteiger aus ärmlichen Verhältnissen, der die New Yorker Bourgeoisie mit seinem snobistischen Radikalismus („Nein, Kommunist bin ich eigentlich nicht, ich neige mehr zum agrarischen Sozialismus Fouriers“) für sich einnimmt, in ein Mädchen eben jener Klasse, deren Privilegien er wortreich bekämpft. In „Barcelona“ sind die Rollen umgekehrt verteilt. Ted und Fred, unpolitische, im Zweifelsfall loyale US-Bürger, geraten durch die schönen Spanierinnen in eine politisch-erotische Verwirrung mit dramatischen Folgen.
Die beiden Hauptfiguren hat Stillman gewissermaßen aus seinem Erstling hinüberkopiert: Taylor Nichols (Ted) ist unvergessen als Partyphilosoph, der in „Metropolitan“ über den Einfluß der „abwärtsgerichteten sozialen Mobilität“ auf die Mentalität der „Urban Haute Bourgeoisie“ theoretisiert; Chris Eigeman (Fred) war der charmante Zyniker Nick, dem das verstaubte Ritual des Chachacha- Tanzens kaum lächerlicher schien als das Leben selbst. Stillman versetzt die beiden mit leicht veränderter Identität aus dem Mikrokosmos des Establishments von Manhattan in die bewegte Welt jenes Barcelona, in dem die junge Generation die Franco-Zeit mit Sex, Drogen und Linksradikalismus exorziert.
Vom Kammerspiel ins große Kino
Es mag ganz schlichte Gründe haben, daß an die Stelle der Innenwelt der Manhattaner Appartments jetzt die Außenwelt der Straßen, Plätze, Discos und Kneipen von Barcelona getreten sind. Stillman hatte mit seiner ersten Low-Budget Produktion einen großen Erfolg bei der Kritik und einen leidlichen beim Publikum, was ihm das Vertrauen der Produktionsfirma und etwas verbesserte Ressourcen bescherte. Aber ganz allein auf solche äußeren Faktoren läßt sich der Sprung von „Metropolitan“ zu „Barcelona“ nicht zurückführen. Es ist ein Sprung vom Kammerspiel ins „große Kino“, so bescheiden es hier auch des Weges kommt, ein Sprung in die Außenwelt. Stillman löst seine Helden aus den Konstellationen der peer group, die am Ende von „Metropolitan“ bereits zu zerfallen begann, und läßt sie sich ein wenig in der Welt umschauen. Dementsprechend verändert ist die Weltsicht, die dem zweiten Film seine Tönung gibt. In „Metropolitan“ war das Leben der Protagonisten eine im Kern ereignislose Angelegenheit, eine Wartezeit. „Barcelona“ steckt voller melodramatischer Wendungen, selbst der Tod lauert, und die Frauen sind flüchtige Wesen, die oft nur mit einem Zauber zu fixieren sind.
Ted hatte sich nach einer unglücklichen Liaison mit einer unnahbaren Frau eigentlich vorgenommen, sich nur noch mit einer für ihn sexuell völlig Unattraktiven einzulassen (was soviel heißt, wie sich eben nicht einzulassen). Freilich wird nichts daraus, dank der schönen Montserrat (Tushka Bergen), die seinen Widerstand im Handumdrehen bricht. Mit der Entdeckung einer gemeinsamen Liebe zu Donna Summer nimmt die Liebe ihren Lauf, um an unterschiedlichen Haltungen zur Nato ein vorläufiges Ende zu finden. Die Schöne entzieht sich, und als Ted sich in eben der Abhängigkeit wiederfindet, die er vermeiden wollte, greift er zur Magie. Er nennt es „Manöver X“: Mache dich unsichtbar, schaffe einen leeren Raum, dessen Sog sie dir zurückbringt. Daß das nicht funktioniert, muß wohl kaum erklärt werden. In Szenen wie dieser hat der wunderbare Taylor Nichols einen Charme, der an Jean-Pierre Léaud in seinen besten Jahren erinnert; Nichols, der aus dem tiefen Mittelwesten der USA stammt, hat das Zeug zu einem sehr amerikanischen Antoine Doinel. Man möchte ihm gerne in vielen weiteren Filmen begegnen, um zu sehen, was aus seiner puritanischen Mischung von Aufrichtigkeit und Lebensfremdheit wird, diesem unauffällig sonderlingshaften Habitus, der sicher nicht allein seiner schauspielerischen Brillanz zu verdanken ist.
„Barcelona“. Regie: Whit Stillman. USA 1994, 101 Min. Mit Taylor Nichols, Chris Eigeman, Tushka Bergen, Mira Sorvino.
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