: Terra sclavorum, qui dicuntur sorabi
■ Die Sorben, ein slawisches Volk, leben mindestens ebenso lange wie die Deutschen in dem Gebiet zwischen Struga und Spree, Malxe und Neiße
Seit eineinhalb Jahrtausenden lebt das kleine slawische Volk der Sorben in der Lausitz, dem heutigen Südbrandenburg und Osten Sachsens. Die heute noch rund 80.000 Sorben, auch Wenden genannt, sind nicht „Minderheit“ eines größeren Volkes, wie es zum Beispiel die Dänen in Norddeutschland sind oder die Deutschen im rumänischen Siebenbürgen. Minderheiten haben ja irgendwo auch ihre „Mehrheit“, wie eben die Deutschen in Deutschland und die Dänen in Dänemark.
Sorben leben ausschließlich und mindestens ebenso lange wie die Deutschen in dem Gebiet zwischen Struga und Spree, Malxe und Neiße. Die Fränkischen Reichsannalen notieren 806 das „terra sclavorum, qui dicuntur sorabi, qui sedent super albim fluvium“, das „Land der Slawen, die Sorben heißen und am Fluß Elbe siedeln“.
Die bedeutendsten sorbischen Stämme waren die Lusizer, die in der heutigen Spreewaldgegend lebten, und die Milzener, die in der heutigen Bautzener Region siedelten. Aus dem Altsorbischen entstanden die bis heute lebendigen Schriftsprachen Niedersorbisch, das von den protestantischen Sorben um Cottbus (und in Horno) gesprochen wird, und Obersorbisch im katholischen Gebiet um Bautzen und Kamenz. Dazwischen werden ausgeprägt eigenständige Dialekte im Gebiet um Hoyerswerda und Schleife gesprochen.
Allen Versuchen der deutschen „Mitbürger“, die sorbische Kultur, und das hieß immer zuerst die Sprachen, zu unterdrücken, haben sich die Sorben zäh widersetzt. Trotz dieses Drucks brachte das sorbische Volk eine reichhaltige Literatur und Musikkultur hervor, und bis heute leben in den sorbischen Dörfern viele Bräuche und Traditionen fort.
1912 wurde in Hoyerswerda die Domowina gegründet, als Dachverband für Vereine und Organisationen der damals noch 200.000 Sorben. Von den Nazis verboten, wurde die sorbische Interessenvertreterin 1945 wiedergegründet. Der DDR-Staat förderte eine „Vorzeigekultur“ mit Verlagen, Vereinen, Ensembles, zugleich verheizte er für seine Energiepolitik das Lausitzer Land. 1987 protestierte der sorbische Autor Jurij Koch vor dem DDR-Schriftstellerkongreß gegen die Verwüstung der Lausitz. 1991 konstituierte sich die Domowina neu, als „Dachverband der Sorben und sorbischen Vereinigungen“. Die Straßen- und Ortsbeschilderungen im sorbischen Siedlungsraum werden zweisprachig beschriftet, in vielen Dörfern ist Sorbisch Hauptsprache.
Die Landesverfassungen von Sachsen und Brandenburg sprechen von einer „nationalen Identität“ der Sorben, wo von „kultureller Identität“ die Rede sein müßte. Die „sorbische Nation“ gibt es nicht, aber eine autonome Kultur des sorbischen Volkes und eine regionale Identität der Menschen in der Ober- und Niederlausitz, die sich aus der Geschichte und dem bikulturellen Alltag von Sorben und Deutschen nährt. Diese Kultur und regionale Identität wird mit jedem „umgesiedelten“, das heißt vertriebenen sorbischen Dorf an ihren Wurzeln zerstört.
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