: 128 Dörfer hat der Braunkohletagebau in der Lausitz schon verschluckt, alle lagen im Siedlungsgebiet der Sorben. Heute legt die Minderheit Verfassungsbeschwerde ein: ein Präzedenzfall in der deutschen Rechtsgeschichte. Aus Horno Detlef Krell
Horno läßt sich nicht anbaggern
Ein buckliger Feldweg führt um Horno herum. Wer sich für einen Spaziergang unter üppigen Obstbäumen ein bißchen Zeit läßt, an den kleinbäuerlichen Höfen vorbei mit ihren schnatternden Gänseherden und schattigen Klinkermauern, braucht doch nicht länger als eine Stunde. 113 Gehöfte haben sich um den Dorfplatz niedergelassen. An Horno vorbei lärmt die Bundesstraße von Guben nach Forst. Über der Wiese, am Horizont, qualmen die Schlote des Braunkohlekraftwerks Jänschwalde. Hinter dem Wäldchen fließt breit die Neiße. Aber das Dorf ruht ganz in sich.
Wer nach Horno kommt, hat keine Eile.
Seit 18 Jahren gehört Horno zum Bergbauschutzgebiet. Schon damals hieß es, der Ort werde „umgesiedelt“, müsse Platz machen für die Kohlebagger. Im Herbst 1989 gründet sich eine Bürgerinitiative gegen die Zerstörung des Dorfes. Bernd Siegert, einer der Aktiven, wird 1990 zum parteilosen Bürgermeister gewählt; 1994 bestätigen ihn die Hornoer, diesmal auf der Liste des Bürgerbündnisses. Im Januar 1993 rät Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) den DörflerInnen: „Verfallt nicht in Panik, wenn von Umsiedlung die Rede ist!“
Daran halten sich die Hornoer, nur anders, als es sich der Landesvater vorstellt. Im Gemeinderat, wo seit 1977 keine öffentliche Mark für Investitionen eingetroffen ist, wird ein „Dorferneuerungsprogramm“ aufgelegt. Horno putzt sich. Ein Dorf, das sich alles Dörfliche bewahrt, die bäuerliche Wirtschaft, Krämerladen und Bäcker, Kirche und Gesangverein, Kindergarten und Freiwillige Feuerwehr, Klatsch am Gartenzaun und Kneipe am Eck. Manfred Stolpe, der im Superwahljahr ganz Brandenburg abklappert, schlägt um Horno einen großen Bogen. Einen sehr großen Bogen: denn westlich von Horno klaffen Tagebaue, und östlich liegt Polen.
Die Hornoer verfallen auch nicht in Panik, als der Braunkohleausschuß des Landes und die Landesregierung den Braunkohleplan des Tagebaus Jänschwalde für verbindlich erklären und den Abbau auf 4.699 Hektar freigeben. Demnach darf die Lausitzer Braunkohle AG (Laubag) bis zum Jahr 2019 Kohle schaufeln, 432 Millionen Tonnen.
Horno wäre im Jahr 2000 „umgesiedelt“, das Dorf zwei Jahre darauf in der Grube.
Die Gemeinde schließt sich mit zehn anderen zusammen, die von der Expansion der Laubag zwar nicht verschluckt, aber existentiell bedroht würden; und beim Verfassungsgericht des Landes Brandenburg erheben sie Verfassungsbeschwerde gegen die Verordnung über die Verbindlichkeit des Tagebauplanes von Jänschwalde. Diesen Schritt gehen auch der sorbische Dachverband Domowina sowie der Hornoer Gemeindevertreter und Bauhandwerker Günther Noack. Er ist Sorbe. 115 der 380 EinwohnerInnen von Rogow, wie das seit 600 Jahren zum sorbischen Siedlungsgebiet gehörende Dorf auf sorbisch heißt, haben sorbische Eltern. Damit beruft sich zum ersten Mal in der deutschen Geschichte eine Minderheit vor Gericht auf ihre Verfassungsrechte.
Heute wird zunächst der Prozeß zur Horno-Beschwerde eröffnet, der von dem zur Verfassungsbeschwerde der anderen Gemeinden abgetrennt wurde. Wann das Domowina-Verfahren eröffnet wird, ist noch nicht entschieden. Möglicherweise erübrigt es sich. Auch die Gemeinden berufen sich auf Artikel 25 der Landesverfassung: „Rechte der Sorben“.
Nicht die Energiepolitik steht also zur Prüfung an, sondern das Verfassungsrecht des sorbischen Volkes auf Schutz seines Siedlungsraumes sowie das Recht auf kommunale Selbstverwaltung und Mitbestimmung.
In Potsdam wird zu klären sein, ob im kurzsichtig-maximalen Interesse der Kohlepolitik gegen Normen der Landesverfassung verstoßen wurde.
Für die im Vorjahr an die Kölner Rheinbraun und acht westdeutsche Stromverbund-Unternehmen privatisierte Laubag geht es um Sinn oder Unsinn eines Unternehmenskonzepts. Konzern und Gewerkschaft haben gegen Horno hoch gepokert und schon für den Fall, daß Horno siegt, dem Dorf die Schuld am Kumpeltod zugeschoben.
5.000 Arbeitsplätze im Kraftwerk Jänschwalde stünden auf dem Spiel. Das jetzt der Veag (Vereinigte Energiewerke AG) gehörende 3.000-Megawatt-Kraftwerk und der Laubag-Tagebau bildeten immer eine logistische Einheit. Der modernste und größte ostdeutsche Energieerzeuger wird derzeit für 4,5 Milliarden Mark mit Rauchgasentschwefelungsanlagen nachgerüstet. Bleibe Horno, müsse dieses Kraftwerk in drei Jahren geschlossen werden.
Die Veag verschweigt, daß sie schon heute Not hat, ihren Strom zu verkaufen. Das ostdeutsche Energieverbund-Unternehmen schreibt rote Zahlen, nach eigenen Angaben „entgegen den Erwartungen“. 1994 fehlen 130 Millionen Mark. Sinkender Stromabsatz habe das Ergebnis verschlechtert, erklärt Finanzvorstand Karl-Heinz Steiner bei der Vorlage der 94er Bilanz. Der Negativtrend hält an. Einbußen bis zu 10 Prozent befürchtet Vorstandssprecher Jürgen Stotz. Zwar meint er, der Absatz werde ab 1997 wieder steigen. Ob die „Erwartungen“ erneut trügen, bleibt jedoch abzuwarten. Denn, so heißt es im Geschäftsbericht der Laubag fürs erste Halbjahr 1994: „Anhaltende Umstellungen in der Wärmeversorgung kommunaler und gewerblicher Verbraucher auf andere Energieträger und der sich fortsetzende Rückgang des Strombedarfes führten zu einer weiteren Verringerung beim Absatz der Rohbraunkohle.“
Anderen Stromverkäufern ergeht es nicht besser. Anfang April dieses Jahres stoppte die Bayernwerk AG endlich den seit zehn Jahren umstrittenen Bau des 3. Blocks im Kraftwerk Franken. Nicht etwa der Proteste gegen die Kohlendioxid-Schleuder wegen, sondern als Reaktion auf sinkenden Stromabsatz.
In Südbrandenburg leben noch etwa 14.000 Sorben. Seit Beginn der industriellen Braunkohleförderung vor hundert Jahren sind auf dem Gebiet des heutigen Landes Brandenburg 128 sorbische Dörfer von der Karte getilgt worden. Artikel 25, Absatz 1 der Verfassung des Landes Brandenburg schreibt vor: „Das Recht des sorbischen Volkes auf Schutz, Erhaltung und Pflege seiner nationalen Identität und seines angestammten Siedlungsgebietes wird gewährleistet“ (siehe unten). Strittig ist die Frage, ob damit einklagbares Grundrecht oder nur allgemeines Staatsziel beschrieben ist.
Horno und die umliegenden vom Bagger bedrohten bikulturellen Dörfer sind Restinseln sorbischen Landes, wo Sorben und Deutsche zusammenleben, mit Bräuchen, Festen und Feiern; ein einmaliges, kulturelles Kleinod am Rande Deutschlands, das sich in kein „Neu-Horno“ verpflanzen läßt. „Der Schutz der Lausitzer Erde ist der Schutz unserer sorbischen Heimat“, heißt es im Programm der Domowina. Es wirbt für eine „wirtschaftliche Entwicklung der Lausitz, die insbesondere sorbischen und weiteren einheimischen Unternehmern, Handwerkern und Gewerbetreibenden zugute kommt“. Die Domowina „wehrt sich gegen die Vernichtung von Orten im Siedlungsgebiet der Sorben“.
Die Gemeinden beklagen zudem verfassungswidrige Unterlassungen in den Braunkohleplanungsverfahren. In einem Rechtsgutachten für das brandenburgische Umweltministerium kommen die Rechtsanwälte Fritz von Hammerstein und Christopher Frantzen zu dem Schluß, daß es sich beim Tagebau Jänschwalde um ein „UVP-pflichtiges“ Vorhaben handle. Die nach Landesparagraphen erteilte Genehmigung ersetze nicht das im Bundesbergbaugesetz vorgeschriebene Planfeststellungsverfahren mit Umweltverträglichkeitsprüfung, eben das Genehmigungsverfahren mit dem höchstmöglichen Maß an Öffentlichkeit.
Gegen den Abbauplan hatten nahezu alle Hornoer GrundstückseigentümerInnen Widerspruch eingelegt. Die Stadt Guben, die polnische Nachbarstadt Gubin, die Synode der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg und das Amt für Forstwirtschaft Peitz stehen ebenso hinter ihnen wie die Grüne Liga und die Aktionsgruppe der Gubener Jugend. Sie demonstrieren mit der Parole: „Geil auf Horno!“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen