piwik no script img

Nüchterne Lobbyisten

■ Die Werbewirtschaft kämpft mutig gegen die Bürokratie der Fernsehkontrolleure

„Wer die gegenwärtige Vielfalt von Prognosen über interaktive Medien betrachtet, kann immerhin einen roten Faden erkennen: Der überwiegende Teil der Voraussagen ist durch parteiliche Absichten bestimmt. Viele Äußerungen über Medien, Werbeträger und Marktkommunikation sollen dem Absender und nicht der Sache dienen“ – so stand es auf der Einladung zum „Plenum der Werbung“. Bei dieser Veranstaltung würde es freilich ganz anders werden, erfuhr man gleich im nächsten Satz. Der Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft (ZAW) hatte für Mittwoch dieser Woche eingeladen, um „nüchterne Antworten“ auf Fragen nach der multimedialen Zukunft zu geben. Na ja, wenn die wichtigste Lobbygruppe der deutschen Werbewirtschaft bekanntgibt, wie sie sich so die Zukunft der Medien vorstellt: Nichts wie hin!

Werbung in den On-line-Diensten

Auf nüchterne Antworten konnte man bei der Veranstaltung im edlen Spiegelsaal des Bonner Schlößchens Redoute freilich lange warten: Der ZAW wäre keine Lobbygruppe, wenn er nicht die Veranstaltung dafür benutzen würde, seine Forderungen an die Politik hinauszuposaunen. Und die sind zur Zeit besonders drängend: In letzter Zeit sind das Internet und andere On-line-Dienste auch in Deutschland immer populärer geworden, und eine wachsende Zahl von Firmen und Agenturen will im Cyberspace nun auch werben.

Das allerdings mißfällt nicht nur den Hackern, die ihr bislang wildes, gesetzfreies Territorium zu einem riesigen Einkaufszentrum werden sehen. Die Erfahrung mit Werbung und Versandhandel über vernetzte Computer hat schon in den Vereinigten Staaten zu Problemen geführt: Zum einen ist das Internet chronisch unsicher. Ein gewitzter Hacker kann bei Bestellungen zum Beispiel Kreditkartennummern erhacken. Und die Fälle von Minderjährigen, die plötzlich Pornographie über das Modem auf dem Computerbildschirm hatten, haben auch in Deutschland für Schlagzeilen gesorgt. Niemand kann wirklich verifizieren, wer am anderen Ende der Leitung sitzt.

Werbung in den Computernetzen ist also nicht ohne Probleme. So stellt sich die Frage, ob die Kommunikation im Cyberspace in irgendeiner Form geregelt werden sollte. Wenn es nach dem ZAW geht, lautet die Antwort: auf gar keinen Fall! ZAW-Präsident Hans-Dietrich Winkhaus machte klar, daß eigentlich nur eine Institution Multimedia-Werbung kontrollieren sollte: der ZAW selbst, dessen Arbeit in der Vergangenheit ja „enorm erfolgreich“ gewesen sei. Für die Zukunft wünscht sich die Branche beides – einerseits ihre Werbebotschaften über die Massenmedien zu verbreiten, zum anderen die „leisere und individuellere Ansprache“ via On-line- Dienste. Vor allem in Branchen, in denen der Beratungsbedarf besonders groß ist, etwa beim Tourismus oder bei Autos, will man sich der neuen Medien bedienen.

Als Festrednerin sekundierte Staatssekretärin Cornelia Yzer vom Bonner Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie, die den kurzfristig verhinderten „Zukunfts“-Minister Jürgen Rüttgers vertrat: Zwar ist für sie die Medienentwicklung auch „Anlaß zur Sorge“, sagte sie, doch gleich darauf erklärte sie „sozialen Ausgleich“, „Erhalt der Umwelt“ und „politische Konfliktlösung“ durch Multimedia zur Zukunftshoffnung. Nicht fehlen durfte in ihrem Vortrag auch die Mär von den zehn Millionen Arbeitsplätzen, die die neuen Medien angeblich in den Ländern der Europäischen Gemeinschaft schaffen werden.

So sahen also die „nüchternen Antworten“ des ZAW aus. Das Vorgehen der Werbelobbyisten ist natürlich nicht uneigennützig: Schon bevor irgend jemand auch nur auf die Idee gekommen ist, etwa die Werbung im Internet zu regulieren, steht für den Deutschen Werberat bereits fest, daß nicht sein kann, was nicht sein darf: „Der wachsende Bereich individuellen Kommunizierens, der nicht mehr unter den Blicken der Öffentlichkeit stattfindet, entzieht die Möglichkeit zur regulativen Medienpolitik. Bürokratische Bevormundungssysteme werden an Bedeutung verlieren“, stand in einem Thesenpapier, das ZAW-Geschäftsführer Volker Nickel bereits vor der Veranstaltung an die Presse verschickt hatte.

„Bürokratische Bevormundungssysteme“ – damit sind im Sprachgebrauch des Deutschen Werberats solche schikanösen Einrichtungen wie die Landesmedienanstalten oder das Werbeverbot für Alkohol und Tabak im Fernsehen gemeint. Als Interessenvertretung der deutschen Werber ist der Lobbygruppe jede Art von Reklamekontrolle lästig. Wer anderer Meinung ist, gilt dem ZAW als „fortschrittsfeindlicher Kulturpessimist“, der die mündigen Bürger und Bürgerinnen unterschätzt.

Mündige Bürger sind werbeskeptischer

Deren Mündigkeit macht dem ZAW allerdings auch Sorgen. Wie aus der Jahresbilanz für 1994, die in Bonn vorgestellt wurde, hervorgeht, nimmt die Werbeakzeptanz in Deutschland immer weiter ab: Bei einer Umfrage stimmten nur noch 52,7 Prozent der Befragten der Aussage „Werbung gibt manchmal recht nützliche Hinweise über neue Produkte“ zu. Im Vorjahr waren es noch 58 Prozent. Das dürfte paradoxerweise am finanziellen Erfolg der Branche liegen: 1994 stiegen die Werbeinvestitionen in Deutschland um 4,5 Prozent auf 50,8 Milliarden Mark, für dieses Jahr wird mit einer weiteren Steigerung gerechnet.

Fast ein Fünftel dieser Ausgaben gehen ins Fernsehen. Der Sender RTL2 konnte seine Werbeeinnahmen in einem Jahr fast verdreifachen. Die endlosen Werbeblöcke bei den Privatsendern dürften zur Werbeverdrossenheit der Deutschen beigetragen haben. Tilman Baumgärtel

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen