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Ausnahmslos kluge Frauen

■ Dokumentarfilm als Gegenschuß aus einer Damenflak mit Elfenbeingriff: Die weitgereiste Filmemacherin und Theoretikerin Trinh T. Minh-Ha zu Gast in Berlin

Vietnamesin, erfolgreiche Filmemacherin, feministische Theoretikerin, studiert auf den Philippinen und in Frankreich, hat viele Jahre in Afrika gearbeitet und lebt in Berkeley: Allein die Kurzbiographie macht Trinh T. Minh-Ha zur idealen pc-Teilnehmerin für Podiumsdiskussionen, wo immer es um Frauen und/oder Film bzw. „Dritte Welt“ geht. In ihrem Aufsatz „Cotton and Iron“ beschreibt Trinh T. Minh-Ha, wie die durchaus verlockenden Einladungen, als die authentisch Andere auftreten zu dürfen, eine neokoloniale Geste sind. Sie muß die Rolle als ewige Ausländerin oder Migrantin akzeptieren und erhält „einen Status, dessen eindeutige Verortung für die Erhaltung der zentralen Macht notwendig ist“.

Als Filmemacherin und Theoretikerin ist Trinh T. Minh-Ha eine nicht verortbare Radikale. „Reassamblage“ heißt ihr erster Film aus dem Jahr 1982, im Senegal gedreht, 40 Minuten lang. Eine Mischung aus Dokumentation, Ethnologie und Tagebuch – die so ziemlich alle Regeln des „professionellen“ Filmschaffens verletzt. Nach dem Vorspann hört man etwa eine Minute lang afrikanische Joola-Trommeln, bis beim ersten Bild – ein Holz hobelnder Mann – das erste „Tonloch“ beginnt. Was folgt, sind 16 mm-Aufnahmen aus einem entlegenen Dorf, Alltagsszenen ausschließlich. Frauen bei der Arbeit, Sitzende, Gehende. „Kaum zwanzig Jahre haben ausgereicht, damit sich zwei Milliarden Menschen als ,unterentwickelt‘ definieren“, sagt die „Kommentarstimme“ von Trinh T. Minh-Ha wenig später, ein elaboriertes Englisch mit feinem, undefinierbarem Akzent: „Ich habe nicht vor, darüber zu sprechen. Nur über etwas in der Nähe.“ Die Kamera folgt den Dorfbewohnern mal sehr diskret, dann extrem nah. Sie schwenkt an Mauern entlang, bis die Montage ruckartig die Bewegung unterbricht und mit einem „Jump-cut“ an einer etwas verrutschten Stelle wieder ansetzt. Auch Personen sieht man aus solchen verschiedenen, nah beieinander liegenden Blickwinkeln. In klassischen Dokumentarfilmen wird stets nur eine solcher Aufnahmen ausgewählt oder durch Zwischenschnitte unterbrochen, denn alles andere macht beim Sehen die Arbeit und Gegenwart des Kameramanns/der Kamerafrau bewußt. Das genau bezweckt Trinh T. Minh-Ha: Sie läßt einen nie das beobachtende Filmteam vergessen. Dabei spielt sie auf mehreren Ebenen mit den Erwartungen eines Zuschauers: bunte Bilder, nackte Brüste, exotische Tänze – das Ungewöhnliche.

Die Doppelung übt eine merkwürdige Sogwirkung aus, man möchte mehr von diesen Brüsten sehen, die so irrsinnig nackt auf- und abbaumeln, aber man schämt sich zugleich. Mit diesem Gefühl entläßt sie den Zuschauer auch am Ende: gänzlich unpädagogisch. Über „die anderen“ hat man nichts Konkretes gelernt. Aber es bleibt ein Verdacht, daß es dort Wissenswertes gibt, was sich nicht einfach als filmisches Kondensat zur Bereicherung in die eigene Welt importieren läßt.

Wieso sie als Vietnamesin Filme über Afrika drehe, wurde sie im Anschluß an eine Vorführung von einem Zuschauer gefragt. Wenn weiße Filmemacher in Afrika drehen, fragt niemand, warum sie nicht in Amerika oder Europa geblieben sind. In ihrem Buch „When the Moon waxes red“, schreibt Trinh: „Seit Jahren wird mit patriarchalischer Fürsorge gefordert: ,Afrika den Afrikanern!‘; ,Wir wollten die Dritte Welt ermutigen, Filme über ihre Leute zu machen!‘; ,Wir möchten Asien aus Sicht der Asiaten sehen!‘...Dies ist eine Art zu sagen, daß die nicht- weiße Sicht erstrebenswert ist, weil sie eine Lücke füllt, die die Weißen heutzutage freiwillig offen lassen, um die Kritiker zu schwächen und die Illusion einer gewissen Unvollständigkeit herzustellen, die nur mit Hilfe der Eingeborenen vervollständigt werden kann [...] Trotz der vielen Veränderung in seiner Erscheinungsform ist das Bild des weißen kolonialen Retters heute bösartiger denn je, weil es auf das Prinzip des gegenseitigen Einverständnisses baut.“

„Naked Spaces – Living is Round“ ist nicht nur wegen der Länge von 135 Minuten viel komplexer als die vergleichweise geradlinige Provokation von „Reassamblage“. Trinh T. Minh-Ha hat an sehr vielen verschiedenen Orten in Westafrika gedreht, die in Einblendungen am unteren Bildrand beiläufig erwähnt werden. Drei Frauen sprechen zu den Bildern einen Text, der – bei genauem Hinhören – eine Montage aus einer subjektiven, einer westlich- analytischen und einer afrikanischen Stimme ist. „Viele Wirklichkeiten, die ihm unverständlich bleiben, bezeichnet das zivilisierte Denken als unwahr, abergläubisch, übernatürlich.“ An vielen Stellen ergänzen die zumeist kurzen Sätze die Bilder – es sind zum Teil Zitate von Gaston Bachelard, Paul Eluard und anderen, aber auch Gebete der Dogon oder afrikanische Sprichwörter.

Wer versucht, ihre Quintessenz zusammenzufassen, der kommt ins Stocken, denn Trinh streut verbale Verlockungen, die ins Nichts führen, wenn man seinen Augen nicht traut. Ihre Bilder indes kreisen – wie die afrikanische Vorstellung, daß das Leben rund ist – um die eine runde Weltmetapher: die Kalebasse, die kreisförmigen Ornamente, die runden Häuser. Die Architektur spielt die eigentliche Hauptrolle in diesem Film. Das Drinnen/Draußen ist in diesen zumeist fensterlosen Häusern ein viel größerer Kontrast als in unserer Architektur. Wenn man afrikanische Häuser aus gleißendem Sonnenlicht kommend betritt, ist man oft für einen Moment so geblendet, daß man nichts sieht. Trinh gelingt es, mit der Kamera diesen Effekt zu filmen, wenn sie aus dem Inneren heraus zum Beispiel spielende Kinder, eine eintretende Frau aufnimmt, die das Geisterhafte einer Lichtgestalt hat. Diese kurze Blindheit bezeichnet in den Ritualen vieler Kulturen den Übergang zu einem anderen, höheren Bewußtsein.

Dokumentarfilmemacher zählen im Medienzeitalter zu den prominentesten Übersetzern oder Kulturmittlern, vor allem wenn sie im Ausland Bauern, Taxifahrer, Lehrerinnen oder Mütter interviewen. „Surname Viet, Given Name Nam“ ist ein Film über vietnamesische Frauen, zugleich eine Abhandlung über das Phänomen von Übersetzung und die gängigen Gepflogenheiten des Dokumentarfilms. Trinh mischt in diesem Film historische Schwarz-Weiß-Materialien aus Vietnam mit echten und inszenierten Interviews. In den echten Interviews sprechen Exil- Vietnamesinnen über ihr Leben in den USA: auf vietnamesisch, in selbstgewählten „Kostümen“ und vor selbstgewählten „Kulissen“, beispielsweise vor einem luxuriösen Goldfischteich. In den inszenierten Interviews sprechen Exil- Vietnamesinnen ins Englisch übersetzte Originalinterviews vietnamesischer Frauen nach, vor farbig beleuchtetem schwarzen Hintergrund. Zuweilen erscheinen einzelne Sätze auch noch als Schrift eingeblendet, manchmal hört man mehrere Stimmen gleichzeitig und versteht nichts mehr. Wenngleich sich die Beschreibung nach einem bis zur Nervigkeit potenzierten Brechtschem V-Effekt anhört: Die Wirkung im Film ist eine andere – angenehm, unaufdringlich. Nicht zuletzt, weil in diesem Film ausnahmslos kluge Frauen interessante Geschichten erzählen – über den Alltag in einer vietnamesischen Arztpraxis, über die Begegnung zweier Schwestern in Saigon nach Jahren der Trennung oder auch, warum ihre Ehemänner dafür waren, daß sie als „Schauspielerinnen“ in einem Dokumentarfilm auftreten. Zumal in diesen Wochen, wo die deutschen Medien verbissen am Bild „der Vietnamesen“ als ein krankhaft kriminelles Volk von Vietcong-gesteuerten Mafiosi stricken, wirkt „Surname Viet, Given Name Nam“ wie ein präziser Gegenschuß aus einer Damenflak mit Elfenbeingriff. Dorothee Wenner

Die Filme laufen vom 3. bis 7. Juni im fsk-Kino. Am 7. Juni um 19 Uhr hält Trinh T. Minh-Ha einen Vortrag im Künstlerhaus Bethanien.

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