: Erdbeeren und Knoblaucheis
Von Frisco auf den Gleisen der alten Southern Pacific nach Salinas, Ca. ■ Von Hans-Joachim Vormann
Wer auf die verwegene Idee kommt, von San Francisco mit dem Zug Richtung Los Angeles zu fahren, der kann einiges erleben. Daß am Anfang die Suche nach dem Hauptbahnhof steht, entspringt unserem rückständigen europäischen Verkehrsdenken. Es gibt keinen Hauptbahnhof in der nordkalifornischen Metropole. Wer dennoch weiter darauf besteht, den antiquierten Transport von Menschen auf Schienen zu wählen, und das zu allem Überfluß noch in eine für den Autoverkehr maßgeschneiderte Stadt, der wird von den amerikanischen Freunden nur mitleidig belächelt. Vielleicht geht es von Oakland auf der anderen Seite der San Francisco Bay, man hatte mal so etwas gehört.
Oakland hat tatsächlich einen Bahnhof. Er liegt unweit des Viertels, wo 1966 Eldridge Cleaver, Bobby Seale und einige andere die Black-Panther-Partei gegründet hatten. Heute sind die Schwarzen Panther längst erlegt. In dieser immer noch trostlosen Gegend blüht seit einigen Jahren der Handel mit Crack, jenem teuflischen Gemisch aus Kokain und Backpulver, das die Süchtigen noch schneller in den Junkieabgrund hinunterzieht.
Als das Auto die Herrschaft antrat
Die alte Bahnhofshalle steht verloren mitten in verlassener Gegend. Sie hat bessere Zeiten gesehen. Von hier ging es hinüber nach San Francisco, zehn- bis fünfzehnmal täglich. Seit den Tagen der Goldgräber vom Sacramento River dampften die Loks nach San Francisco und machten aus dem verschlafenen Nest am Golden Gate eine Eisenbahnmetropole. Das endete, als das Auto längst seine Herrschaft angetreten hatte und auch die zweite Etage der doppelstöckigen Bay Bridge forderte – und erhielt. Nun ist die Stadt eisenbahnerisches Niemandsland – und keinen stört es. Die Bay Area gehört den Autofahrern.
Die wenigen Ewiggestrigen, die trotzig auf Bahnfahren bestehen, müssen sich mit einem einzigen Zug am Tag begnügen. Dem „Coast Starlight“, wie er so hochtrabend heißt, ist es überlassen, die Nostalgiker unter den Reisenden von Seattle nach Los Angeles zu bringen oder umgekehrt. Von Oakland kann ein deutscher Passagier dann das Gefühl genießen, auf den alten Gleisen der Southern Pacific Railroad Company zu fahren, die damals bei Alfred Krupp in Essen Schienen und Räder aus bestem Kruppstahl gekauft hatte.
Kaum hat sich der Zug langsam in Bewegung gesetzt, wird der Reisende über Lautsprecher gebildet, auf amerikanische Art. Wir fahren am Jack London Square vorbei. Dort hatte der fotogene Abenteurer und Bestsellerautor seine berühmte Yacht „Snark“ festgemacht, auf der der erste sozialistische Yuppie den sensationsgierigen Kameras entgegenlächelte. Daß er sich im Frühjahr 1905 als sozialistischer Bürgermeisterkandidat in Oakland aufstellen ließ, erfährt man natürlich nicht. Man möchte ihn lieber als Alaska Kid oder Seewolf in gereinigter Erinnerung behalten. Viele Amerikaner halten es gar für östliche Propaganda, daß einer ihrer großen Frontier-Männer und tough guys mit diesem Bazillus behaftet gewesen sein soll. Dabei könnten sie sich nördlich von San Francisco selbst davon überzeugen. In Glenn Allen, ein paar Meilen abseits vom Highway One, liegt sein Parteibuch öffentlich aus, im Jack London Museum.
Solche Gedanken kommen im Zug gar nicht erst auf, denn schon erscheint das Silicon Valley durch die getönten Scheiben des Starlight, jenes fruchtbare Tal, in dem sogar Chips im Megaformat wachsen. Hier liegt die Zukunft Amerikas. Rund um die Eliteuniversität Stanford in Palo Alto soll der technologische Rückstand zu Europa und vor allem zum unberechenbaren Japan aufgeholt werden, von den neuen frontier people. Die alte Mentalität, die den Westen mit ihren wilden Mitteln von den Ureinwohnern „befreite“, ist immer noch in den Köpfen der Männer, die nun in klimatisierten Räumen die Grenzen für Hard- und Softwareproduktion ständig neu hinausschieben, im unerbittlichen Kampf um Marktanteile.
In den frühen Fünfzigern war hier in der Gegend von San José auf den Gleisen der Southern Pacific der Teufel los. Unendliche Mengen von Güterwagen, beladen mit den köstlichsten Früchten und Säften aus dem „Garten Eden Kalifornien“, konserviert in Dosen, bestimmt für den Rest der zahlenden Welt, kamen hier an. Der Meilenstein 46,9 in San José ging sogar in die neuere amerikanische Literatur ein. Ein junger Bremser, im Nebenberuf Beatnik und Trinker im Literatenviertel North Beach in San Francisco, sprang dort auf rollende Waggons und bremste, was der Arm hergab. Die Kollegen und die wenigen verbliebenen Indianer hatten allerdings Schwierigkeiten mit seinem Namen. Wenn er bremsend vorbeikam, riefen sie ihm zu und machten aus dem Kerouac ein langgezogenes Kerouuuuueeee, was Jack schmunzelnd hinnahm. Schließlich konnte er es den schrägen, eigenwilligen Typen von der Bahn nach Feierabend literarisch heimzahlen, mit seinem berühmt gewordenen speedwriting. In atemberaubendem Tempo, ohne zensierende Korrektur, schrieb er zwischen einem einflammigen Kocher und einem Glas seiner geliebten Peanutbutter „Railroad Earth“ und andere Geschichten von Leuten, die on the road waren, um ein besseres Amerika zu finden.
On the Road. Auch heute noch scheint das für viele Amerikaner so notwendig wie Essen oder Atmen zu sein. Nur: Die Road ist heute der Highway. An der Westküste zieht er sich oft entlang der alten Bahnlinie. Während der Coast Starlight sich rumpelnd über alte Gleise und Weichen quält, gleiten klimatisierte Individualfahrzeuge trotz eingehaltenen Tempolimits am Zug vorbei.
Wo Janis ihrem Bobby hinterherheulte
Plötzlich beginnt es über den Hügeln hinter dem Highway zu glitzern. Ein wahres Feuerwerk von Sonnenstrahlen dringt durch die getönten Scheiben des Starlight. Strawberry fields forever! So weit das Auge reicht. Die Folie ist es, die zwischen den empfindlichen Pflanzen die Sonnenstrahlen in alle Richtungen reflektiert. Sie ist die moderne Version vom Stroh, die das Unkraut von den Pflanzen fernhalten soll. So blinkt und blitzt es zwischen den illegalen mexikanischen Wanderarbeitern, die gebückt die Früchte des Garten Eden ernten. Anders als in den zwanziger Jahren versucht heutzutage allerdings kein engagierter Gewerkschaftsfunktionär die Armen zu agitieren, zum Streik für höhere Löhne zu bewegen. So brauchen die Großgrundbesitzer, die ihre Büroetagen irgendwo in einem Wolkenkratzer von San José oder San Francisco haben, auch keine Privatarmee zur Vertreibung der Agitatoren. Diesen unschönen Job übernahmen damals die berüchtigten Pinkertons, von denen einer ausbrach und ein berühmter Schriftsteller wurde: Dashiell Hammett. Der bekam Skrupel, als er mit anderen Angestellten Allen Pinkertons einen Gewerkschaftsfunktionär umbringen sollte. Seine Abrechnung mit den Gesetzlosen beschreibt er in seinem Roman „Rote Erde“. Das ist sie tatsächlich an vielen Landstrichen. Der Coast Starlight läßt die Erdbeeren hinter sich und taucht in sattgrüne Knoblauchfelder, vorbei an Castroville, der „capital of garlic“, wo jung und alt jedes Jahr zum Knoblauchfestival Knoblaucheis schleckt.
Einen Pappbecher voll dünnen Kaffees im Bordimbiß weiter: Artischockenfelder und Birnenplantagen, so weit das Auge sehen will. Mittendrin Salinas, der magische Ort am Salinas River, wo Janis Joplin ihrem Bobby McGee hinterherheulte und John Steinbeck sich unweit seiner Heimatstadt Monterey ein Haus aus bestem Redwood zimmern ließ.
Der Coast Starlight hat schon längst seine Fahrt verlangsamt, aus dem Lautsprecher kommt der Hinweis auf John Steinbeck und seine Beschreibung der Cannery Row von Monterey. Wer dorthin möchte, muß aussteigen. Der Westküsten-Expreß hält schließlich an einem Schuppen, der sich durch das Schild „Salinas“ als Bahnhofsgebäude zu erkennen gibt. Und mitten auf dem, was man Bahnsteig nennt, steht mein Freund Dennis, seit zwei Stunden schon. Der Starlight hat Verspätung. Wegen eines Erdbebens. Aber wie gesagt, wer im Land der Autos mit dem Zug fährt, der muß schon ein bißchen verrückt sein – oder Europäer.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen