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Die Polizei steht bereit

Sechs Jahre nach Tiananmen: Um jeden Preis will Chinas KP Debatte über Militäreinsatz verhindern  ■ Aus Peking Sheila Tefft

Der ehemalige Pekinger Polizist erinnert sich sehr genau an die 1989er Proteste auf dem Tiananmen-Platz und an ihr brutales Ende: Er sieht sich noch in der Polizeikette stehen, Aug in Aug mit den DemonstrantInnen. Er erinnert sich, wie er zum erstenmal Waffen getragen – und abgedrückt – hat. Wie sie Maschinengewehre auf den Dächern der Polizeistationen anbrachten, weil sie Angriffe der Demonstanten fürchteten. „Wenn ich an Stelle der Regierung gewesen wäre, hätte ich auch so gehandelt“, sagt der Ex-Polizist über das von der Armee verübte Massaker, bei dem Hunderte unbewaffnete StudentInnen und andere BürgerInnen in der Nacht vom 3. auf den 4. Juni starben.

Manchmal, wenn er zurückdenkt, fragt er sich aber auch, was aus den Männern und Frauen geworden ist, den Studentenführern und Dissidenten, die aus China geflohen sind – besonders aus dem Astrophysiker Fang Lizhi, der sich zunächt in die US-Botschaft geflüchtet hatte und später ins amerikanische Exil gehen durfte. „Er war sehr mutig, hat kein Blatt vor den Mund genommen und die Wahrheit gesagt“, sagt der Mann, der nach fünfzehn Jahren bei der Polizei seinen Job gekündigt hat, mit Hochachtung in der Stimme. Sechs Jahre nachdem sie den Befehl erhielten, auf die eigene Bevölkerung zu schießen, gibt es innerhalb der Sicherheitskräfte (Volksbefreiungsarmee, paramilitärische bewaffnete Volkspolizei und Amt für öffentliche Sicherheit/Polizei) genausoviel Unruhe und Unsicherheit wie draußen in der Gesellschaft. Die Korruption vergiftet die Beziehungen von Polizei und Bevölkerung. Immer häufiger berichten chinesische und Hongkonger Zeitungen davon, daß die Armee gerufen werden mußte, um in Dispute zwischen BürgerInnen und der lokalen Polizei einzugreifen.

Während in der Kommunistischen Partei um die Nachfolge Deng Xiaopings gerungen wird, halten sich die Sicherheitskräfte bereit, als entscheidende Vermittler im Kampf zwischen den Rivalen zu fungieren – und sind doch selbst gespalten in ihrer Loyalität zu verschiedenen Politikern.

Innerhalb der Sicherheitskräfte gibt es vielfältige Reibungspunkte: „Da sind sowohl Rivalitäten um die Pfründe als auch professionelle Rivalitäten“, sagt ein westlicher Militärexperte in Peking. Im Vorfeld des sechsten Jahrestags des Tiananmen-Massakers am Sonntag ist die Polizei wieder einmal aufgerufen, die Opposition zu unterdrücken. Die Befürworter einer Demokratisierung sind so aktiv wie lange nicht mehr. Es gab mehrere Petitionen, in denen die Unterzeichner eine politische Öffnung und Neubewertung der Ereignisse von 1989 fordern. Dutzende prominente Dissidenten in ganz China sind verhört oder verhaftet worden.

Doch die Führung wird sich wohl hüten, eine Diskussion über 1989 zuzulassen, wenn sie eine geschlossene Front auch innerhalb des Militärs wahren will. Denn jene schwarzen Tage nach dem Kriegsrecht hat die chinesische Armee selbst schwer erschüttert. Beobachtern zufolge kam es zu zahlreichen Militärprozessen, mehrere hundert Offiziere sollen hingerichtet worden sein – ein heute im Militär immer noch extrem heikles Thema.

Eine Konsequenz der Unruhen von 1989 war die Wiederbelebung der Bewaffneten Polizei als vorrangiger Teil der Sicherheitskräfte. Die Paramilitärs werden auf 800.000 bis eine Million geschätzt, und sie erhalten die besten Rekruten, das beste Training und die beste Ausrüstung. Die Bewaffnete Polizei „wird mit aller Kraft die Stabilität der Nation verteidigen“, sagt Ba Zhongtan, Kommandant der Bewaffneten Polizei. Westliche Beobachter meinen, daß die Bewaffnete Polizei ein Schlüsselfaktor in den Bemühungen von Präsident Jiang Zemin sind, seine Macht zu konsolidieren. Jiang hat die Armee und Paramilitärs in den vergangenen Jahren durch Gehaltserhöhungen, Beförderungen und regelmäßige Besuche umworben.

Im April und Mai hat Paramilitärchef Ba die Antikorruptionskampagne gegen hochrangige Pekinger Parteiführer gesteuert. Möglicherweise wird er noch in diesem Monat in die von Jiang geleitete allmächtige Zentrale Militärkommission befördert. Experten erwarten wichtige Veränderungen in der Militärführung, bei der Jiang weitere Protégés an die Spitze der Kommission plaziert. Dann könnte sich auch erweisen, wie stark der Einfluß des sterbenden Deng Xiaoping noch ist. Dessen wichtigster Mann im Militär, Wang Ruilin, hält sich für seine Berufung in die Militärkommission bereit. Wenn aber Jiang aggressiv versucht, die korrupte Familie Dengs auszuschalten, wird auch aus Wangs Zukunftsplänen nichts. Schon heißt es, Dengs Schwiegersohn, Rüstungsbeschaffer He Ping, könnte nächstes Opfer der Antikorruptionskampagne werden. Gegen ihn werde bereits ermittelt.

Gegenwärtig diskutieren Partei- und Militärführer darüber, wer künftig den Oberbefehl über die mächtigen Paramilitärs haben wird. Angesichts der entscheidenden Rolle, die der Bewaffneten Polizei nach dem Tode Dengs zugeschrieben wird, ist dies eine weitreichende Entscheidung. Da hat Jiang gegenwärtig offenbar die besten Chancen, meint ein europäischer Militärexperte.

Den meisten PekingerInnen liegen diese politischen Fragen fern. Ihnen macht vielmehr die wachsende Kriminalität und Gewalt im Alltag zu schaffen. Unkorrupte Beamte fallen auf: Als im März der Sarg des geachteten Cui Daqing, einem bei der Jagd auf einen Räuber getöteten Polizisten, zur Bestattung gefahren wurde, säumten 30.000 BewohnerInnen des Viertels die Straßen, um ihm die letzte Ehre zu erweisen.

Aber einige seiner ehemaligen Kollegen finden den „Helden“ ganz schön blöd. Zwar sind die Polizistengehälter im vergangenen Jahr verdoppelt worden. In Peking, wo es 60.000 Polizeibeamte gibt, verdient ein Berufsanfänger weniger als 150 Mark im Monat. Üblicherweise verdient man da hinzu, indem man regelmäßig umsonst in Restaurants ißt, sich teure Geschenke machen läßt und billige Wohnungen sichert.

Frühere Polizisten berichten, daß die Kollegen oft dafür bezahlt werden, bei Mafia-Verbrechen wegzusehen. „Der Drogen- und Waffenhandel kann nicht ohne Beteiligung eines hochrangigen Polizeifunktionärs laufen“, sagt ein Ex-Polizist. „In China haben wir ein Sprichwort: Wenn du Macht hast, nutze sie – oder sie zerrinnt dir unter den Fingern.“

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