: „Kein ,Gesinnungs-TÜV‘ bei den Grünen“
■ Krista Sager, Sprecherin von Bündnis 90/Die Grünen, plädiert für deutsche Militärhilfe zur Rettung des UN-Einsatzes in Bosnien / Gegen eine Renaissance nationaler Machtpolitik
Die Eskalationsstrategie der Serben in Bosnien hat die bündnisgrüne Debatte um den Einsatz militärischer Gewalt wieder entfacht. Der Parteivorstand lehnte jegliche Hilfe der Bundeswehr für die UN- Truppen ab – gegen die Stimme von Sprecherin Krista Sager.
taz: Empört Sie die Vorstellung, einzelne Abgeordnete der pazifistischen Partei Bündnis 90/Grüne könnten im Bundestag für die Entsendung von Bundeswehrverbänden nach Bosnien stimmen?
Krista Sager: Nein. Ich halte das nach einer Debatte mit den Abgeordneten für wahrscheinlich. Die Fraktion hat sich aber noch auf keine gemeinsame Haltung geeinigt.
Ihr Kollege Jürgen Trittin hat die Fraktion in barschem Ton zur pazifistischen Ordnung gerufen. Ist das der richtige Umgang mit diesem Problem?
Das kommt darauf an, wie diese Erklärung gemeint ist, ob sie Meinungsäußerung, Empfehlung oder Diktat sein soll. In der Fraktion wurden alle Positionen respektiert. Auch Abgeordnete, die wie die Mehrheit des Bundesvorstandes einen Einsatz ablehnen, haben vor einem „Gesinnungs-TÜV“ gewarnt. Sie sehen das offensichtlich nicht so eng wie Trittin. Man sollte den inhaltlichen Streit nun nicht noch durch einen Verfahrensstreit belasten.
Warum sollen deutsche Soldaten den UN-Truppen in Bosnien helfen?
Wir kommen an eine Grenze, wo eine wohldurchdachte politische Haltung umschlägt in nationalen Egoismus, den andere UN- Staaten nicht mehr nachvollziehen können. Als Grüne müßten wir zeigen, wie sehr uns an transnationalen, kollektiven Konfliktregelungsmechanismen gelegen ist, und dafür arbeiten, daß es keinen Rückfall in die Logik von Militärbündnissen und nationaler Machtpolitik gibt. Die Bundesrepublik könnte dieses Interesse unterstreichen, indem die Bundeswehr den UN logistische oder organisatorische Hilfe gibt. Ich will in Bosnien aber keine deutschen Boden- und Eingreiftruppen oder Tornado- Einsätze.
Unbedingter Pazifismus ist nationaler als die Option für Militär?
Wir haben immer für Systeme kollektiver Sicherheit plädiert. Im Moment entscheidet sich, ob die gegenwärtig wichtigste Organisation dieses Charakters, die Vereinten Nationen, in Ex-Jugoslawien ein Desaster erleben, das ihren transnationalen Politikansatz für ewige Zeiten desavouieren würde. Ein Scheitern würde unweigerlich einen Rückfall in die Logik nationaler Aufrüstung und separater Militärbündnisse bedeuten. In Ex- Jugoslawien massakrieren bosno- serbische Terroristen die Zivilbevölkerung, die UN-Truppen können sich nicht einmal selbst schützen, da müssen Pazifisten jene Mechanismen dort stärken, die auf eine internationale Konfliktregelung zielen.
Der deutsche militärische Beitrag, den Sie vorschlagen, bewegt sich auf der Ebene symbolischer Politik. Tatsächlich geht es um die Gefahr, daß Menschen sterben. Wie wollen Sie gegenüber Franzosen oder Briten begründen, warum nur deren Soldaten Risiken tragen müssen?
Das geht nur sehr schwer, denn die Argumente und den Druck der Entsenderstaaten auf die Bundesregierung verstehe ich gut. Aber Deutschland hat eine Sonderrolle. Die bosno-serbische Propaganda könnte vor dem Hintergrund der deutschen Vergangenheit die Anwesenheit von Bundeswehrsoldaten leicht mißbrauchen.
Die Gefahr, daß deutsche Soldaten den Konflikt verschärfen würden, wiegt schwerer als die Verpflichtung, der UN zu helfen?
Solche Einsätze machen nur Sinn, wenn sie einer politischen Lösung den Weg bahnen. Jeder weiß, daß es letztlich nur eine politische Lösung geben kann und keine militärische. Deutsches Engagement, das sich direkt auf bosnischem Territorium abspielt, bringt die Gefahr weiterer Eskalation mit sich.
Unweigerlich wird der Vorwurf kommen, Sie räumten die letzten Hindernisse vor einer „nicht mehr zu kontrollierenden Militarisierung deutscher Außenpolitik“ beiseite – letzteres ein Zitat von Jürgen Trittin.
Ich halte das für eine schlimme Fehlwahrnehmung. Das deutsche Desinteresse ist doch eher ein Indikator dafür, daß es hier nicht um Großmachtinteresse geht. Im Gegensatz zu Trittin fürchte ich, daß sich nach einem kompletten Scheitern des UN-Einsatzes in Ex-Jugoslawien die Nato als einzige Alternative zu Systemen kollektiver Sicherheit darstellen wird, daß nationale Aufrüstungsstrategien in der Bundesrepublik wieder an Bedeutung gewinnen werden. Die totale Verweigerung gegenüber den UN wird in Deutschland das traditionelle Denken fördern, das in Militärblöcken und nationaler Stärke sein Heil sucht. Auch für andere europäische Staaten sehe ich die Gefahr einer Renaissance alter Militärdoktrinen. Den Wunsch der mittel- und osteuropäischen Staaten, in die Nato aufgenommen zu werden, nehme ich vor dem Hintergrund des jugoslawischen Desasters sehr ernst.
War es falsch, diese Diskussion bei den Grünen nicht früher zu provozieren, als der Handlungsdruck noch nicht so groß war?
Ich habe meine Position immer offen vertreten. Ich habe nun versucht, einen Kompromiß zu finden, der auch für eine pazifistische Grundhaltung tragbar ist, indem ich sagte: Keine Kampfverbände und keine deutschen Tornados in Bosnien, aber auch keinen Rückzug in den nationalen Egoismus und das totale Desinteresse gegenüber dem, was die UN in Bosnien an schweren, auch militärischen Aufgaben vor sich hat. Mit dieser Haltung bin ich allerdings im Bundesvorstand allein geblieben.
Ihre Partei reagiert in diesen Fragen bekanntlich extrem empfindlich. Wie groß ist Ihre Chance, festgefahrene Haltungen aufzubrechen?
Die Meinungen in dieser Sache gehen auch quer durch die Partei. Ich sehe schon Veränderungen. Nur wenige nehmen für sich in Anspruch, eine Patentlösung zu haben. Interview: Hans Monath
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