: Es könnte ein Traumjob sein
Nach den Regeln der Marktwirtschaft müßten ÜbersetzerInnen von Literatur gefragte, also gutbezahlte Fachkräfte sein – sind sie aber nicht ■ Von Otto Bayer
Morgens gegen zehn Uhr aufstehen, duschen, frühstücken, die Zeitung lesen, gegen zwölf Uhr an den Schreibtisch und dort etwas wirklich Kreatives tun dürfen – ein Traumjob? Welche Frage!
Mit zwei kurzen Pausen für Kaffee und Abendessen bis gegen zwei, manchmal vier Uhr nachts durcharbeiten, siebenmal die Woche, 50 Wochen im Jahr, und dafür ein Leben lang weniger verdienen als ein lediger Junglehrer. Ständig Zeitdruck, kaum Privatleben. Kein bezahlter Urlaub, kein Geld bei Krankheit oder Arbeitslosigkeit, Kündigungsfrist drei Sekunden – ein Traumjob? Wir werden sehen.
Die Rede ist von der Spezies LiterarischeR ÜbersetzerIn. Von den rund 60.000 Büchern, die in Deutschland jährlich neu erscheinen, sind zwischen acht- und neuntausend, also etwa 14 Prozent, aus anderen Sprachen übersetzt. In der Belletristik sind es sogar 40 Prozent, das meiste davon (27 Prozent) aus dem Englischen. Nicht mal halb so viele Titel gehen den umgekehrten Weg. Deutschland ist ein Literaturimportland, übertroffen nur von „kleinen“ Nachbarn wie den Niederlanden, Dänemark oder Schweden. „Große“ Völker wie Franzosen, Engländer, US-Amerikaner gar, sind auf fremde Literaturen weit weniger neugierig. Deutschland also ein Eldorado für LiteraturübersetzerInnen? Wir werden sehen.
Nimmt man an, daß eine VollzeitübersetzerIn im Schnitt vier Bücher im Jahr schafft, müßte es gut 2.000 von ihnen geben, um die Nachfrage zu befriedigen. Es gibt aber höchstens 600. Rechnet man noch einmal ebenso viele hinzu, die ernährungshalber einem Zweitberuf nachgehen und darum nur halb so viele Bücher schaffen, bleibt immer noch ein erklecklicher Rest von Titeln, die auch übersetzt werden wollen. Nach den Regeln der Marktwirtschaft müßten ÜbersetzerInnen von Literatur also gefragte Leute und gut bezahlt sein. Sie sind es nicht.
Der Grund: Gar manchen lockt der schöne Beruf, und da es dafür keines Qualifikationsnachweises bedarf, kann jede/r ihn ergreifen, was denn auch so viele versuchen, daß die Verlage sich vor BewerberInnen kaum retten können. Zwar werden die meisten abgewimmelt, aber mit der einen oder dem anderen wird, nicht zuletzt wegen der bescheidenen Honoraransprüche von Anfängern, eben doch ein Versuch gewagt. Manchmal geht das gut. Oft genug bleibt es aber bei diesem ersten Versuch, meist weil der hoffnungsvolle Nachwuchs sich, dem Armutsgelübde abhold, eines besseren besinnt. Manchmal auch, weil das Ergebnis so katastrophal ist, daß es den Lesern und vielleicht sogar den Kritikern auffallen könnte, was einem Verlag dann doch nicht so lieb wäre. Allerdings ist das Risiko, mit Fehlleistungen unangenehm aufzufallen, so klein, daß Verleger bedenkenlos auf die AspirantInnenschar zurückgreifen und es sich sparen können, nach Leistung zu bezahlen.
Was wird denn so gezahlt? Nach der letzten Honorarumfrage der IG Medien lagen die meistgezahlten Honorare 1994 zwischen 25 und 35 Mark pro Normseite, der Durchschnitt bei knapp 30 Mark. Bedenkt man, daß ein rundes Drittel davon für Arbeitszimmer und Arbeitsmittel draufgeht und eine Normseite – je nach Schwierigkeit des Textes – kaum in weniger als eineinhalb bis zwei Stunden zu schaffen ist, kann man sich ausrechnen, daß diese Freiberufler es nur knapp auf den Stundenlohn eines Müllwerkers bringen. Wer ein Buch also nicht, und sei es mit Bauchschmerzen, in kürzestmöglicher Zeit herunterhackt, tut sich mit dem Überleben schwer.
Kein Wunder, daß von den vielen, die gut sein könnten, nur wenige Besessene der Literatur treu bleiben. Kein Wunder auch, daß die bundesdeutsche Literaturkritik in unschöner Regelmäßigkeit den Niedergang der Übersetzungskunst als solcher beklagt; daß „übersetzt“ für viele LeserInnen sogar gleichbedeutend mit „zweitklassig“ “ist – sie haben ja alle scheinbar recht: Die Zahl der übersetzten Bücher, die in der literarischen Qualität nicht annähernd an ihre Vorlage heranreichen, nimmt zu. Das liegt aber nicht daran, daß es nicht genug Blattlöhner gibt, die es besser machen könnten, sondern daß deren Dienste nicht gefragt sind – nicht bei den Lesern (die ja selten durch Vergleich feststellen können, was ihnen entgeht), nicht bei den RezensentInnen (die von Berufs wegen dazu eigentlich in der Lage sein sollten, es aber selten sind und sich noch seltener die Mühe machen), und eben deshalb schon gar nicht bei den meisten Verlegern. Ein Traumjob? Es könnte einer sein.
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