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Trüffelschwein

■ Ausstellung „Essen“ in der Galerie Hertz

Wer zu jenen Unermüdlichen zählte, die selbst an Pfingsten pflichtschuldig im Dienste der Kunst in die Galerie Hertz pilgerten, um sich dort zu nachtschlafener Zeit (12 Uhr) ein fast dreistündiges Performance-Programm „reinzuziehen“, wurde von Ausstellungsmacher Bob Lens gleich gebührend empfangen: Mit schrillendem Wecker und anschließender Verteilung von Obstschnitzen und Vitamintabletten. Und schon war man fit für den „Essenssonntag“, in dessen weiterem Verlauf man von „Bremer Pfeffersäcken“ in Plätzchenform über handgequetschten Erdbeer-Bananen-Brei bis zum eßbaren Stöckelschuh direkt vom Fuß einer reizenden Dame so ziemlich alles zu genießen bekam, was man von einer fluxusbewegten Ausstellung zum Thema „Essen“ erwartet.

Natürlich durfte bei einem derart kultivierten Brunch auch die begleitende Kammermusik nicht fehlen. Also gaben Marc Pira und Christoph Riedlberger eine „Fantasie Alimentaire“ zum besten, für die sie anstelle der üblichen Streichinstrumente aus ihren Geigenkästen Möhren, Knäckebrot, Birnen und Wasserflaschen holten, um die Audienz mit einer raffinierten Komposition aus Schlürfen, Schmatzen, Schneiden und Schlucken zu beglücken. Streng nach Partitur, versteht sich, unter so präzisen Angaben wie „Knäckebrot, Möhre, Chips“ oder „M&M's, Birne“ auf den Seiten der Notenblätter. Eine überzeugende Aufführung, die dank der kunstvoll eingesetzten Echo-Technik von Andreas Plaß an die Klanginstallationen eines Julius erinnerte und so den dramaturgischen Höhepunkt der Performance-Reihe markierte.

Dem zunehmend gelöster mitagierenden Publikum präsentierte Bob Lens dann noch drei „imaginäre“ Performances von Ken Friedman, bei denen er seine pantomimischen Fähigkeiten unter Beweis stellte, und gab zwischendurch in lockerer Folge eine kunstgeschichtliche Einführung in die Beweggründe und Prinzipien fluxusartiger Kunst, um dafür zu sorgen, daß Kopf und Bauch gleich viel Nahrung erhielten.

Die Ausstellung selber präsentiert sich als ein lockeres Konglomerat, das wie schon die beiden vorangegangenen Teile der Trilogie – „Spiegel“ und „Haut“ – ganz bewußt heterogen und offen gehalten ist. Neben den obligatorischen Tellergericht-Installationen und allerhand Variationen zum Thema „Dose“, trifft man in einigen Arbeiten tatsächlich jenes „kunsthistorische Trüffelschwein“ an, das laut Eröffnungsrede von Rainer B. Schossig „unter der Oberfläche jeglicher Eat-Art“ nach kulturkritischen Positionen gräbt.

Etwa in Georg Dietzlers Siebdruck „Austernpilz frißt Altlast“, in dem das „Wer frißt wen?“ zwischen Natur und Mensch einmal umgekehrt wird, in Jakob Gautels Papierservietten, die in gänzlich unspektakulärer Manier das Gift auf dem Teller hinterfragen oder in Holger Trülzschs Fax-Skizze für die Installation „Deutsche Stammtischgespräche“ aus 84 Weißbiergläsern und 84 Brezeln.

Andere Werke tragen dagegen mehr dem Bedürfnis nach reiner Ästhetik Rechnung, wie Marie Kawazus Lakritzbild „Nourriture“, Franz von der Grintens Glaskästen mit Spültüchern und Käfern (“Seltene Besucher in der Küche“) oder eine Neonwurst in Bild und Schrift, von Ohannes Tapyuli „Hablamos Aleman“ getauft.

Durchsetzt ist das Ganze von unzähligen ironischen Nettigkeiten, manchmal etwas platt wie bei Marion Bösen, die im assoziativen Wortspiel ein Foto vom Landkreis Essen bei Asendorf aufhängt, manchmal spielerisch wie Mechtild Bögers Ei, das Worte ißt, und manchmal rätselhaft wie Heini Linkshänders Spielzeugbollerwagen mit „Künstlerbrot“. Alles in allem wird jedenfalls genug geboten, um sich mal wieder so richtig satt zu sehen.

Moritz Wecker

„Essen“ in der Galerie Cornelius Hertz, bis 16. Juni.

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