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ArmenierInnen vor Abschiebung

■ Trotz Krankheit muß eine Familie heute vormittag ausreisen

Zwei von drei armenischen Familien, die am Wochenende im niedersächsischen Bruchhausen-Vilsen um ihre für heute geplante Abschiebung bangten (s. taz vom 6.6.), haben vorerst noch einmal eine Gnadenfrist erhalten: Die Familie K. erhielt eine Duldung bis zum 30. Juni, da Seda K., Mutter von zwei Kindern, noch im Krankenhaus liegt. Bleiben darf auch die Familie T. so lange, wie die Nierenbeckenentzündung der einjährigen Tochter nicht ausgeheilt ist. Der Arzt konstatierte „lebensbedrohende Umstände“ für das Kleinkind im Falle der Abschiebung.

Nachdem sich der Amtsarzt dieser Meinung inzwischen angeschlossen hatte, entschied die Vertreterin der Ausländerbehörde in Syke, von einer Abschiebung vorerst abzusehen und die Familien nicht, wie ursprünglich geplant, eventuell zu trennen, um die Gesunden schon mal außer Landes zu bringen.

Damit hätte die Mitarbeiterin der Ausländerbehörde allerdings gegen einen Erlaß des niedersächsischen Innenministeriums verstoßen. Die Abschiebung, heißt es in dem Erlaß vom 7.7.94, sei so lange auszusetzen, bis die gemeinsame Ausreise der ganzen Familie möglich ist. Das Innenministerium beruft sich bei dieser Vorgabe auf den verfassungsrechtlichen Schutz von Ehe und Familie in Art.6 des Grundgesetzes. Einen Ermessenspielraum, davon abzuweichen, gewährt der Erlaß der Ausländerbehörde nur, wenn von dem ausreisepflichtigen Familienmitglied eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgeht. Dieser Fall aber lag weder bei der Familie K. noch bei der Familie T. vor.

Auch die Familie M. ist davon nicht betroffen, und die Ausländerbehörde sieht von einer Trennung ab. Die fünfköpfige Familie wird allerdings heute gemeinsam abgeschoben, obwohl der Vater an Hepatitis B erkrankt ist und eigentlich heute im Krankenhaus hätte punktiert werden müssen. Sein Gesundheitszustand wurde jedoch, anders als bei Seda K. und Agine T., vom Amtsarzt als nicht lebensbedrohlich eingestuft.

Ob er, was unwahrscheinlich ist, die notwendige gesundheitliche Behandlung in Armenien bekommen kann, prüft die Ausländerbehörde nicht. Hauptsache, Vladimir K. ist für die Ausreise gesund genug. Gestern versuchte er mit seiner Frau, ein paar Dinge zu kaufen, die für die Familie in dem bürgerkriegsgeschüttelten Armenien überlebenswichtig sind: Arzneien und Milchpulver für die einjährige Tochter. dah

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