■ Portrait: Aufklärer
Erst am Pfingstsonntag war er noch in der Fernsehtalkshow „Zwei gegen Zwei“ auf Pro 7 zu sehen gewesen. Thema: „Der Untergang der Erotik“. Der Sexualforscher, Autor und Komponist Ernest Borneman wurde gestern tot in seiner Wohnung in dem österreichischen Ort Scharten bei Linz aufgefunden und hat offenbar Selbstmord begangen. Der ORF spekulierte, daß eine „gescheiterte Liebe“ der Grund für den Suizid sein könnte.
Ernest Borneman Foto: Noreen Flynn
Borneman, der im April 80 wurde, hatte in der vergangenen Zeit mit der These auf sich aufmerksam gemacht, daß in der heutigen Zeit so wenig koitiert werde wie noch niemals in der Weltgeschichte. Diese versuchte er auch in der Talkshow zu vertreten. Doch in der Schwenkkamera-Arena hatte er mit seiner traurig-ruhigen Therapeutenstimme gegen die hektischen Quotenfrager kaum Chancen.
Bis zuletzt arbeitete Borneman an einem Buch, in dem er seine düsteren Prognosen für das „ärmliche“ Sexualleben in den westlichen Industriestaaten ausführen wollte: „Wer täglich die Ellenbogen benutzen muß, kann sie im Bett nicht plötzlich einziehen“, sagte er Anfang des Jahres in einem Interview des Stern.
Der Wissenschaftler zählte den Psychologen Wilhelm Reich und die Kommunistin Clara Zetkin zu seinen Vorbildern. Borneman, 1915 in Berlin geboren, emigrierte 1933 aus politischen Gründen nach Großbritannien, wo er unter anderem Sexualwissenschaft studierte. Sein Geld verdiente sich Borneman bei der BBC und schrieb nebenbei Romane. Ab 1949 arbeitete er als Szenarist für den US-Regisseur Orson Welles. Zwischen 1950 und 1960 war er an Hunderten Film- und Fernsehproduktionen in den USA, Kanada und Großbritannien beteiligt. Doch Borneman hatte andere Ziele, konzentrierte sich ganz auf seine Studien zur Sexualforschung und Kinderpsychologie, schlug eine Hochschullaufbahn ein.
Neben anderen Nachschlagwerken verfaßte Borneman das vierbändige „Lexikon der Liebe“, eine psychoanalytische Sexualenzyklopädie. Zu seinen wichtigsten Veröffentlichungen gehören auch die „Studien zur Befreiung des Kindes“ und „Psychoanalyse des Geldes“. Als sein Hauptwerk gilt „Das Patriarchat, Ursprung und Zukunft unseres Gesellschaftssystems“. Borneman widmete das Buch 1975 der Frauenbewegung; doch gerade seitens der Frauen hagelte es Kritik: Feministinnen warfen ihm Anmaßung vor. kotte
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