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Tauziehen um Eingreiftruppe

Kontroverse zwischen Rußland und dem Westen im Fall Bosnien / Moskau beharrt im UN-Sicherheitsrat auf einem eingeschränkten Aufgabenkatalog / Wer bekommt das Kommando?  ■ Von Andreas Zumach

Berlin (taz) – Die Kontroverse zwischen Rußland und dem Westen über das weitere Vorgehen in Bosnien hat sich gestern „einigermaßen beruhigt“. Dies sagte der russische Außenminister Andrej Kosyrew, nachdem sein britischer Amtskollege Douglas Hurd ihm versichert hatte, daß sich der Westen mit seiner Eingreiftruppe innerhalb des Friedensauftrags der UNO bewegen werde.

Zuvor hatte Kosyrew die von Nato- und EU-Staaten beschlossene schnelle Eingreiftruppe von bis zu 10.000 Mann am Montagabend als „unrealistisch“ bezeichnet. Ihr Einsatz bedeute „den endgültigen Abschied vom Friedensplan der Kontaktgruppe“. Der Kontaktgruppe gehören neben Rußland die vier auch im UNO-Sicherheitsrat vertretenen Westmächte USA, Frankreich, Großbritannien und Deutschland an. Künftige militärische Einsätze, so Kosyrew, dürften „nicht über das bestehende Mandat der Unprofor hinausgehen“.

Unter dieses Mandat fällt nach russischer Interpretation von den drei bislang offiziell genannten möglichen Aufgaben für die Eingreiftruppe jedoch allerhöchstens die „Umgruppierung“ von Unprofor-Soldaten aus unsicheren und isolierten Regionen, nicht aber die gewaltsame Befreiung der von den Karadžić-Serben gehaltenen Geiseln oder die Schaffung und Sicherung eines Versorgungskorridors. Noch weit erheblichere Einwände hätte Moskau gegen die Zerstörung serbischer Militäreinrichtungen – eine Aufgabe, auf die sich nach Informationen aus der Brüsseler Nato-Zentrale sowie den Verteidigungsministerien einiger Nato-Staaten manche der für die Eingreiftruppe vorgesehenen militärischen Verbände ebenfalls vorbereiten.

Im UNO-Sicherheitsrat versucht Rußland derzeit, in die Resolution zur Billigung der Eingreiftruppe einen möglichst präzise und enggefaßten Aufgabenkatalog hineinzuschreiben. Dies dürfte mißlingen. Denn die vier Westmächte wollen lediglich eine Generalermächtigung durch den Rat, in der die Eingreiftruppe zwar auf dem Papier als Teil der UNO-Mission in Bosnien ausgewiesen wird. Den Regierungen der an der Truppe beteiligten Staaten – allen voran Frankreich und Großbritannien – sowie den von Paris und London gestellten Unprofor- Kommandeuren vor Ort, Bernard Janvier und Rupert Smith, soll aber ein möglichst uneingeschränkter Handlungsspielraum verbleiben.

Die Regierung in Moskau ließ bei den bisherigen informellen Konsultationen unter den 15 Ratsmitgliedern keinen Zweifel an ihrer Absicht, ein Veto gegen einen ihr nicht genehmen Resolutionstext des Westens einzulegen. China erwägt einen ähnlichen Schritt.

Eine Abstimmungsniederlage des Westens im Sicherheitsrat würde die Konflikte über die Bosnien-Politik öffentlich dokumentieren. Die Handlungsfähigkeit des Westens wäre dann erheblich stärker einschränkt, als wenn im Rat überhaupt keine formale Entscheidung erfolgt. Deshalb spielen Großbritannien und die anderen drei Westmächte im Sicherheitsrat inzwischen auf Zeit. Ein – wie auch immer gearteter – Einsatz der militärischen Verbände aus Nato- und EU-Staaten, die seit der Geiselnahme der Unprofor-Soldaten durch die Karadžić-Serben nach Bosnien und in die umliegende Region ohne einen vorherigen Beschluß des Sicherheitsrates verlegt werden, wird daher immer wahrscheinlicher.

Der Status zumindest einiger dieser Verbände wird bislang offengelassen – möglicherweise bewußt, um Handlungsflexibilität zu behalten. Ob die Montag auf über 500 Mann verstärkten britischen Kampftruppen in Zentralbosnien Kern der künftigen Eingreiftruppe oder nur eine Verstärkung der britischen Unprofor-Kontingente sind, wußten gestern weder Sprecher der Unprofor noch der Londoner Regierung oder der Nato klar zu beantworten.

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