: Das Versprechen wurde nur halb eingelöst
■ Heute wird die neue Verfassung verabschiedet / Mehr Rechte für Frauen und direkte Demokratie / Vieles blieb nur Absicht
Versprochen war die Reform den Ostberliner Abgeordneten. Sie hatten sich vor der Vereinigung im Herbst 1990 mit viel Mühe und großem Zeitdruck eine eigene Verfassung gezimmert. Diese Arbeit sollte nicht vergebens sein. Eine neue Verfassung für das vereinigte Berlin sollte es geben und nicht nur die Westversion dem Osten übergestülpt werden. Doch was heute nach fast fünfjähriger Arbeit im Abgeordnetenhaus verabschiedet wird, ist doch die alte Westberliner Verfassung geblieben – mit neuen Passagen.
Ende des vergangenen Jahres stellte die Enquetekommission ihren sehr weit reichenden Entwurf vor. Den haben die Regierungsfraktionen von CDU und SPD dann noch einmal überarbeitet. Aber mit der heutigen Verabschiedung gelten die neuen Artikel noch nicht in Berlin. Denn diesmal soll alle Gewalt vom Volke ausgehen: Erst wenn die BerlinerInnen am 22. Oktober neben ihre Kreuzchen zur Bezirks- und Abgeordnetenhauswahl mehrheitlich ein „Ja“-Votum für das nahezu einhundert Artikel starke Werk abgegeben haben, tritt das höchste Gesetz in Kraft. Und davon profitieren erst einmal die Frauen. Sie erhalten mehr Rechte.
„Die Gleichstellungspassagen sind unser absolutes Highlight“, freut sich die Abgeordnete Renate Künast (Bündnis 90/Die Grünen). Danach ist das Land Berlin verpflichtet, die Gleichstellung von Frau und Mann auf allen Gebieten des gesellschaftlichen Lebens herzustellen. Zum Abbau bestehender Ungleichheiten sind Maßnahmen zur Förderung der Frauen zulässig. Mit dieser Formulierung ist Berlin klarer und weitgreifender als das kürzlich reformierte Grundgesetz und hat die im Bundesgebiet weitestgehende Regelung zur Frauenförderung.
Berliner Frauen, die ihr öffentlich-rechtlicher Arbeitgeber beispielsweise dadurch benachteiligt, daß er keinen Frauenförderplan aufstellt, können künftig dagegen klagen, und ihren Chef dazu verpflichten, aktiv zu werden. „Wir sind auch endlich die Diskussionen los, ob Quoten oder Förderpläne verfassungswidrig sind, weil sie gegen das Recht des Mannes auf Gleichbehandlung verstoßen“, meint Künast. Die CDU lehnte diese Frauenförderung per ranghöchstes Gesetz im Land ab, blieb aber in der Minderheit. Begründung: „Die [...] völlige Gleichstellung ist utopisch“ – und deswegen in einer Verfassung nicht erwünscht.
Durchsetzen konnten sich die Christdemokraten an etlichen anderen Stellen. Die Diskriminierung ethnischer Minderheiten zu verbieten, wie es von der Fraktion der Bündnisgrünen gefordert worden war, dazu konnten sich die Politiker nicht durchringen.
Benachteiligungs- und Diskriminierungsverbote gibt es dafür in der Verfassung an anderer Stelle: Behinderte und Homosexeuelle dürfen künftig nicht mehr benachteiligt oder ungleich behandelt werden.
Mehr gewollt haben die Bündnisgrünen auch in puncto Bildung. Zwar steht in dem Entwurf: „Jeder Mensch hat das Recht auf Bildung. Das Land ermöglicht [...] insbesondere die berufliche Erstausbildung.“ Aber ob Jugendliche damit tatsächlich ein einklagbares Recht haben, werden bei dieser unklaren Formulierung wohl erst noch die Verfassungsrichter auslegen müssen.
Dafür gibt es mit der neuen Verfassung ein bißchen mehr direkte Demokratie: Durch Volksinitiative können alle BerlinerInnen, und zwar auch die hier lebenden Ausländer, ihre Abgeordneten zwingen, sich mit brisanten Themen zu befassen. Notwendig sind dafür 90.000 Unterschriften. Weitergehende Beteiligung gibt's dann aber nur für das deutsche Volk. Per Volksbegehren (10 Prozent der Wahlberechtigten müssen mittun) und Volksentscheid (ein Drittel der Wahlberechtigten) dürfen nur Deutsche Gesetzgeber spielen oder eine Wahlperiode vorzeitig beenden. „Zündende Themen in Berlin könnten sein die Verkehrsplanung in der Stadt oder der Anspruch auf einen Kindergartenplatz“, meint Renate Künast.
Diese basisdemokratischen Elemente, in den meisten Bundesländern übrigens schon lange Verfassungsrealität, sind die Überreste eines umfassenden Reformvorschlags der Enquetekommission für mehr Basisdemokratie. Nach diesem ursprünglichen Entwurf hätte jeder Bürger in Umweltfragen ein Akteneinsichtsrecht gehabt. Außerdem sollten Umweltschutzverbände klagen können, so daß das finanzielle Prozeßrisiko nicht mehr auf einer einzigen Person liegen würde. Doch die gute Absicht, die BerlinerInnen durch mehr Information und Handlungsmöglichkeiten zu mehr Engagement anzuregen, blieb auf der Strecke.
Aber was jetzt nicht ist, kann mit Brandenburg werden: In der Brandenburger Verfassung gibt es nämlich all diese basisdemokratischen Elemente: Verbandsklage, Akteneinsichtsrecht und Volksentscheide.
Überhaupt ist die Brandenburger Verfassung der überarbeiteten Berliner Version in vielen Punkten voraus: In einem ganzen Kapitel wird der Natur- und Umweltschutz konkret und klar festgelegt. Das ist mehr als der eine dürre Satz des Berliner Gesetzes, wonach Umwelt und natürliche Lebensgrundlagen unter dem Schutz des Staates stehen. Selbst zu der lapidaren Floskel, daß sozial und ökologisch verträgliches Wirtschaftswachstum zu verwirklichen sei, konnten sich die Berliner SPD und CDU am Ende nicht durchringen.
Anders im benachbarten Bundesland. Die Brandenburger versprechen in ihrer Verfassung nicht nur, ökologisch zu wirtschaften, sondern sind sind per Verfassung auch zu sparsamem Gebrauch von Energie und zur Wiederverwertung von Rohstoffen verpflichtet.
Wenn Berlin und Brandenburg sich irgendwann zusammenschließen, braucht das neue Bundesland wieder eine neue Verfassung. Fällt die geleistete Arbeit der Enquetekommission dann unter die Rubrik „Verschwendung öffentlicher Gelder“? Nein, meint Renate Künast. „Es ist eine strategische Überlegung: Die Berliner Verfassung war schon lange reformreif. Zwar haben wir jetzt auch nicht alles erreicht, was wir wollten. Aber wenn wir jetzt auf der Basis der neuen Berliner und der Brandenburger Verfasung ein gemeinsames Gesetz entwerfen, dann ist die Mitte, in der wir uns treffen, besser als auf der Grundlage der alten Berliner Verfassung.“ Mit jeder Verfassung also ein bißchen mehr Reform. Nina Kaden
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