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Haben die Zehen von Ingrid Stahmer Ohren?

■ Sozialsenatorin im Prenzlauer Berg: Viele Korbstühle, aber wenig „echte Bürger“

„Das sind noch richtige Fassaden“, schwärmt Wolfang Thierse. Sozialsenatorin Ingrid Stahmer (SPD) zieht die Stirn in Falten angesichts der maroden Altbausubstanz im Prenzlauer Berg. Den Blick nach oben, überqueren sie die Straße. Ein Kleinbus kann gerade noch bremsen – ganz im Gegensatz zu Stahmer, die auf Wahlkampftour ist.

Fast hätte der Kiezspaziergang, zu dem der stellvertretende SPD- Chef Thierse die Sozialsenatorin eingeladen hatte, ein jähes Ende gefunden. „Das wäre gar nicht schlecht gewesen“, witzelt Thierse. „Stimmt“, sagt Stahmer, „ein Krankenhaus ist auch in der Nähe.“ „Dann könnten wir eine Mitleidswelle organisieren“, spinnt Thierse weiter.

In einer Mischung aus Sonntagsspaziergang und Pflichtbesuch bei Tantchen zeigt Thierse der Bürgermeisterkandidatin „seinen“ Kiez, der auch sein Wahlkreis ist. Bei einem kurzen Plausch mit dem Korbmacher in der Senefelder Straße bekommt Stahmer keinen Korb, sondern den Tip, daß es ausreiche, Korbstühle einmal im Monat feucht abzuwischen. In der Begegnungsstätte für ältere Menschen in der Dunckerstraße geht Stahmer dann zur Sache: „Wenn ich sage, ich möchte Bürgermeisterin werden, heißt das, mehr mit den Köpfen, der Seele und Gefühlen beieinander zu sein.“ Das kommt an bei den Alten. Als Stahmer von einer Rentnerin ein Täschlein geschenkt bekommt, das sie aus dem Rest ihres Rote-Falken-Kleides genäht hat, ist sie sichtlich gerührt. Jeansblau sei „ganz modisch“ und ihre Lieblingsfarbe. „Rot natürlich auch“, schiebt sie schnell nach. Bevor Thierse sie an seinem Wohnhaus am Kollwitzplatz vorbeiführt, verspricht sie noch fix, sich den Wunsch der Renterinnen nach einer gemeinsamen Busfahrt zu notieren. Kritischer wird's auf dem Kollwitzplatz, wo sich Stahmer den Kiezbewohnern stellt. „Das mit den echten Bürgern ist offensichtlich unsere Schwierigkeit“, sagt sie und blickt auf den „bürgerlosen“ SPD-Stand. Als dann doch einer kommt, tröstet Stahmer ihn mit den Worten, daß Rechtsstaat nicht immer Recht für jeden persönlich heißen müsse. Sie versichert aber, daß sie dafür bekannt sei, „daß ich Leuten auf die Füße trete, wenn was Sinnvolles dabei rauskommt“. Als hätten ihre Zehen das gehört, wackeln sie in den Sandaletten wie wild hin und her.

Thierse posiert unterdessen für die Fotografen vor der Kollwitz-Figur. Als er genug belichtet ist, weist er die Fotografen zurecht: „Ingrid Stahmer ist die Spitzenkandidatin.“ Barbara Bollwahn

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