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Pathologischer Ringelreihen

■ Das Leid schlägt Purzelbäume: "Funny Bones" von Peter Chelson: Komikerbusineß von Las Vegas bis Blackpool

Die Wände zwischen Kino, Vaudeville-Theater und Zirkus wirken manchmal sehr dünn. Von Buster Keaton gibt es noch dieses wunderschöne Familienfoto, auf dem der kaum Zwölfjährige im chinesischen Kostüm, die Haare zum Zopf geflochten, nur auf sein schmächtiges Ärmchen gestützt für eine Varieté-Nummer querlängs über einem Tisch zu schweben scheint. Und auch Charlie Chaplin und Stan Laurel hatten an englischen Volksbühnen das freie Fallen gelernt, bevor sie in Hollywood kopfüber stolpern konnten.

Alle guten Comedy- und Slapstick-Einlagen in „Funny Bones“ sind von eben jener schweren Traurigkeit durchzogen, die Keatons, Laurels oder Chaplins Filmauftritten anhaftet – so wie auch grelle Expressionismus-Bilder schwarz vom Grund her strahlen. Meistens taucht sie ganz versteckt in der Sekunde einer Unachtsamkeit auf, da man noch über ein lustig arrangiertes Mißgeschick vom Augenblick zuvor lachte. Und plötzlich spiegelt sich im hilflosen Lächeln der unseligen Kreatur, die eben erst zum allgemeinen Vergnügen kochend heiße Milch über die Hose verschüttet hatte, die schnürende Gewißheit wider, daß das Leben nur unter Schmerzen zu ertragen sei. Wenn Lee Evans, derzeit wohl die perfekteste Stand- Up-Comedian-Neuentdeckung seit Steve Martin, mit der Eisenstange ausholt und doch bloß den eigenen Kopf trifft, dann wirkt der unmittelbare Schrecken ungleich tiefer als die Vorstellung, daß alles nur zum Spaß geschieht. Regisseur Peter Chelson hat sehr genau auf diese Momente geachtet, vielleicht ist „Funny Bones“ deshalb grausam und komisch.

Nach Freud beruhen Witz, Komik und Humor auf einem Abwehrvorgang. Die leidvolle Realitätserfahrung des Ich im Horror des Alltäglichen löst sich übersteigert als ein Lachen auf. Deshalb auch die vielen Tode, die ein Komiker bis hin zum steppenden Hitler bei Mel Brooks symbolisch durchleben muß. Entsprechend beginnt „Funny Bones“ mit einem splatterhaften Massaker auf See: Französische und englische Fischersleute geraten bei einer Transaktion um irgendwelchen wundersamen Verjüngungspuder in Streit miteinander. Das Boot der Briten steuert bei, ein Franzose fällt ins Wasser, seine Füße verheddern sich bei dem Malheur in der Schiffsschraube, und es schabt laut. Erst Sekunden danach steigt eine rote Pfütze gemächlich aus dem nun wieder ruhigen Ozean auf. Zuletzt landen die abgetrennten Dinge herrenlos in der Leichenhalle von Blackpool, nachdem Kinder damit am Strand Fußball gespielt haben. Screwball-Comedy als pathologischer Ringelreihen an Stelle quietschender Gummihühner (später tanzen dann tatsächlich die Leichen).

In Las Vegas stehen derweil echte Komiker auf der Bühne und mühen sich mit Witzen ab, die nicht lustig sind. Tommy Fawkes soll als Alleinunterhalter die Lacherfolge seines Vaters (Jerry Lewis) fortsetzen. Doch er grübelt, wo andere längst freimütig in die Torte gefallen wären. Das Gesicht nicht mit Sahne, sondern durch falsche Fröhlichkeit entstellt, die Angst vor dem mächtigen Humor des Vaters im Nacken, endet seine Premiere als Desaster. Tommy redet düster über die Unwirtlichkeit des Witzemachens und schickt dem verlegen schweigenden Publikum ein herzhaftes „Fuck you“ hinterher. Dann flüchtet er ins englische Blackpool, um bei Komikern alter Schule Witze einzukaufen.

Der britische Humor ist für den verbitterten Amerikaner zunächst eine arge Strafe. Der obskure Irrsinn ist zwar ungebändigt, aber bodenlos: Den Menschen ist ihre Verrücktheit eine feste Burg. Jeder hier hat einen echten Knacks. Wirre Kriegsveteranen defilieren mit Keksdosen als Schuhwerk an ihm vorbei, spleenige Damen begleiten bellende Hunde am Klavier. Sie sind zwar nett, doch allesamt von Grund auf gescheitert, und ihre freundlichen Verdrehtheiten für das Showbusineß kaum brauchbar.

Dann aber begegnet Tommy einem stummen Trottel namens Jack, der sonntags im Pub geräuschlos Radiosendungen parodiert. Er fletscht die Zähne, rollt mit den Augen, zieht die Stirn in Falten und verrenkt seine Glieder, als hätte Chuck Jones ihn gezeichnet und Bugs Bunny zur Seite gestellt. Jack wirkt, als wären tausend Wesen in ihm eingesperrt. Manchmal macht er einfach die Käfigtür seiner armseligen Existenz auf und läßt einige von ihnen heraus. Doch Jack ist immer abwesend, selbst wenn er mit dem eigenen Hemdzipfel Versteck spielt und dabei um die eigene Achse rotiert, irrt sein Blick weit weg vom Geschehen ziellos umher. Während Tommy der Bezug zum Körper fehlt, hat er den Verstand verloren.

Daß sie Halbbrüder sind, paßt zum traumwandlerischen Reigen, den Peter Chelsom als Parabel auf ungemeistertes Seelenleid zeigt. Irgendwann greifen alle Traumata, Verfehlungen und gerade eben noch mit Leichtigkeit erlittenen Mißgeschicke ineinander, indem der Film sie einfach wiederholt: Auch Fawkes, der Vater, hatte sein komödiantisches Talent bei den Zirkusleuten von Blackpool abgeguckt. Schließlich war er nach Amerika gegangen, und eine schwangere Sängerin blieb zurück (eine Moritat, die Leslie Caron voller Melancholie singend aus dem Ärmel schüttelt. Nun versucht sich ein jüngerer Fawkes am gleichen Ort, ausgerechnet bei Jack, an dessem Innersten das Elend des unehelichen und alleingelassenen Sohnes zehrt. Immerhin hat er aus Verzweiflung über den Verlust einen Mitclown erschlagen.

Trotzdem muß man selbst über solche Abgründe schmunzeln, was nicht nur an dem im Alter stoisch komisch gewordenen Jerry Lewis liegt, der seit Scorseses „King of Comedy“ offensichtlich nur mehr Rollen spielt, in denen er mit sich selbst abrechnen darf. Auch bei ihm hat scheinbar immer ein anderer geblödelt. Manchmal winken einem aus „Funny Bones“ aber auch Kafkas Gestalten entgegen, die noch im Fallen Purzelbäume schlagen. Harald Fricke

„Funny Bones“, Regie: Peter Chelson. Mit: Jerry Lewis, Lee Evans, Leslie Caron, u.a.

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