: In Burundi herrscht Panik. Seit Monaten tobt Bürgerkrieg. Nach Vertreibung der Hutu-Mehrheit sind die Tutsi in der Hauptstadt jetzt unter sich, Hutu-Milizen verbünden sich mit den Völkermördern aus Ruanda Aus Bujumbura Bettina Gaus
Morde aus Angst vor Morden
Jimi Hendrix singt ohrenbetäubend laut. „Tut mir leid, aber das muß sein. Stecken Sie sich etwas in die Ohren“, hatte John Le Point vom UNO-Flüchtlingswerk UNHCR gesagt, bevor er die Kassette ins Autoradio schob und die Fenster weit öffnete. „Man hat mir erklärt, daß man die Musik in den Hügeln in zwei Kilometern Entfernung hören kann. Dann wissen die Leute, daß es keine Militärs sind, die da kommen.“
Musik kann Leben retten. Armeefahrzeuge sind seit einigen Monaten die bevorzugten Angriffsziele der Maquisards, der burundischen Guerillakämpfer. Die Landschaft ist ideal für einen Hinterhalt: meterhohes, dichtes Gras in der Ebene, unübersichtliche Paßstraßen mit engen Kurven auf den steilen, grün überwucherten Hügeln. Fast niemand ist hier, im Nordwesten Burundis unweit der Grenze zu Zaire, noch unterwegs. Keine Kinder spielen am Straßenrand, keine Frauen bringen Gemüse zum Markt. Nur an wenigen Orten sind Bauern zu sehen, die ihre Felder bestellen.
42 Kilometer nördlich der Hauptstadt Bujumbura steht abseits der Straße ein weißer Kleinlaster. Daneben liegt der Fahrer, tot. „Ein Unfall“, erklärt ein Soldat, der die Stelle absichert. So kann man es auch nennen: Eine Granate ist auf das Auto geworfen worden. „Die Maquisards haben ihre Taktik geändert“, sagt ein Beobachter. „Um die Verkehrsverbindungen in die Hauptstadt abzuschneiden, greifen sie jetzt auch nichtmilitärische Ziele an. Sie operieren in kleinen Gruppen, überall, auch dort, wo man sie nicht erwartet. Damit sind ihre Aktionen praktisch nicht zu verhindern.“
Bauernhäuser und Geschäftszentren entlang der Straße liegen verlassen da. Aus dem Ort Buganda haben sich in den letzten Tagen Hunderte von Bewohnern in die Kleinstadt Cibitoke geflüchtet. „Es herrscht Panik“, sagt ein Priester, der vielen der Hifesuchenden Zuflucht gewährt. Der Gouverneur von Cibitoke hat das UNHCR um Nothilfe gebeten – wenigstens um ein paar Bohnen. John Le Point verspricht, sein Möglichstes zu tun. Wird er die Straße am folgenden Tag überhaupt noch passieren können?
Der Bürgerkrieg, über dessen möglichen Ausbruch internationale Medien und auch Beobachter in der Hauptstadt Bujumbura noch immer spekulieren, ist in weiten Teilen des Landes längst blutige Realität. Da das Militär die Verstecke der Guerilla kaum aufspüren kann, nimmt es Rache an der Zivilbevölkerung.
Kein Bauer, keine Marktfrau, kein Lehrer, die nicht von Greueln zu berichten wissen: Vor einer Woche sollen elf Schüler aus Kibiri im Wald von Soldaten getötet worden sein. In Ruseseka sei im März systematisch jeden Tag ein anderes Haus von der Armee zerstört worden. Vor zwei Wochen hätten Militärs eine evangelische Kirche in Buganda während des Gottesdienstes überfallen – alle 61 Gläubigen seien ermordet worden.
Die meisten Erzählungen lassen sich kaum auf ihren Wahrheitsgehalt überprüfen. Niemand will sich zitieren lassen: „Wenn bekannt wird, daß ich mit einer Journalistin gesprochen habe, werde ich umgebracht“, sagt ein Lehrer. „Die Militärs finden mich überall.“ Er hat auch Angst vor den Maquisards, die sich Nahrungsmittel und Geld mit Gewalt von der Landbevölkerung holen. Dennoch steht der 45jährige auf ihrer Seite: „Ich selbst bin zu alt, um zu kämpfen. Aber wenn mein 18jähriger Sohn zu ihnen ginge, fände ich das gut. Ich würde ihn ermutigen. Wir haben kein anderes Mittel. Wir haben keine Armee.“
Das Militär in Burundi wird von der Bevölkerungsminderheit der Tutsi dominiert. Mehr als neunzig Prozent der Offiziere gehören zu dieser Ethnie. „Alles, was wir brauchen, ist eine Armeereform“, meint ein Beamter, der zur Hutu- Mehrheit gehört und vor wenigen Tagen aus dem umkämpften Stadtviertel Kamenge in Bujumbura geflohen ist. Mit seiner Familie und etwa sechzig weiteren Flüchtlingen ist er jetzt in einem kleinen Bauernhaus inmitten von Maniokfeldern untergekommen.
Erschöpfung und Wut stehen ihm ins Gesicht geschrieben: „Wir sind nicht einmmal hier sicher vor dem Militär. Ohne Armee bist du in Afrika nichts.“ Offen bekennt sich der Mann als Anhänger von Ex-Minister Leopold Nyangoma, dem geistigen Führer der Maquisards, der vom Ausland aus für eine Verschmelzung der Streitkräfte mit den burundischen Rebellen kämpft.
Die Notwendigkeit einer Reform der Armee wird auch von Offizieren nicht bestritten. „Aber was sich über 25 Jahre entwickelt hat, läßt sich nicht über Nacht ändern“, meint der Leiter der Militärakademie in Bujumbura, Oberstleutnant Isaic Nibizi. „Das Militär hat eine sehr traditionelle Struktur, ein rascher Wandel, von außen aufgezwungen, könnte auch zu Bürgerkrieg führen.“ Seit Monaten verstummen die Putschgerüchte nicht.
Im Mai sind 2.000 neue Rekruten angeworben worden. Wieder sind die Hutu darunter nur eine verschwindende Minderheit: „In den letzten Jahren waren wegen der schlechten Sicherheitslage auf dem Land viele Schulen lange geschlossen. Deshalb haben viele Hutu-Bewerber die Tests nicht bestanden“, erklärt Nibizi. Der Teufelskreis ist fest geschlossen.
Bis zu den Parlamentswahlen vor zwei Jahren, die mit Melchior Ndadaye erstmals einen Hutu an die Spitze des Staates brachten, hielten die Tutsi auch die politische Macht in Händen.
Hier liegt der Unterschied zur Situation im Nachbarland Ruanda: Dort regierten bereits seit der Unabhängigkeit 1962 Hutu-Präsidenten, die auch die Armee kontrollierten. Die Tutsi waren dem vom alten ruandischen Regime im letzten Jahr organisierten Völkermord wehrlos ausgeliefert.
In Burundi haben seither Extremisten unter den Tutsi Zulauf gewonnen: „Wir, die Tutsi – alle Tutsi –, sind überzeugt, daß die Hutu einen Völkermord vorbereiten“, sagt Andre Birabuza, einer der engsten Berater des ehemaligen Militärherrschers Jean-Baptiste Bagaza, der immer wieder mit Putschgerüchten der Armee in Verbindung gebracht wird. Diplomaten legen ihm die Finanzierung militanter Tutsi-Jugendbanden zur Last, die in Bujumbura regelmäßig Überfälle und Morde verüben. Birabuza bleibt den Beweis für seine Behauptungen schuldig. „Bei Ministern und hochrangigen Beamten“ seien Waffen gefunden worden. An die Namen kann er sich leider nicht besinnen.
Aber im allgemeinen Klima der Angst wird nach Beweisen nur selten gefragt. Selbst Oberstleutnant Nicodeme Nduhirubusa, Sicherheitsberater von Premierminister Antoine Nduwayo, der die Notwendigkeit der Chancengleichheit für alle Ethnien betont, sagt nach zweistündigem Gespräch zögernd: „Ich glaube, daß die Hutu wirklich alle Tutsi in der Region ausrotten wollen.“ Und dann beeilt er sich hinzufügen: „Selbstverständlich nicht alle Hutu.“
Welche denn genau? Politische Feindschaften und Allianzen in Burundi haben viele Facetten. Den Hutu-Guerillas werden Verbindungen zum gestürzten ruandischen Regime und zu dessen mörderischen Milizen nachgesagt. Sie sollen aus Zaire mit Waffen versorgt werden. Ruandas neue Armee, die aus der dort siegreichen Rebellenbewegung hervorgegangen ist, unterhält enge Beziehungen zum burundischen Militär. Der Konflikt bleibt nicht auf die Landesgrenzen beschränkt.
Mittlere Offiziersränge in Burundi gelten als anfällig für Extremismus, während dem Oberkommando der Armee weitgehende Loyalität gegenüber der Regierung nachgesagt wird.
Aber wer ist die Regierung?
Seit Melchior Nadadaye im Oktober 1993 bei einem Putschversuch der Armee ums Leben kam, haben sich die verschiedenen Parteien des Landes auf ein kompliziertes System zur Verteilung der Macht geeinigt. 45 Prozent aller wichtigen Posten darf jetzt die Opposition besetzen, darunter auch Politiker von Parteien, die nicht einmal im Parlament vertreten sind.
Das Abkommen entspricht nicht dem Ergebnis der Wahlen von 1993, bei denen die Regierungspartei über siebzig Prozent der Stimmen errang, aber es sollte den Frieden sichern. Davon jedoch ist Burundi weiter entfernt denn je.
Dabei ist im Zentrum von Bumjumbura, von einer nächtlichen Ausgangssperre abgesehen, auf den ersten Blick von der Krise wenig zu merken. Die Supermärkte in der Hauptstadt sind ebenso geöffnet wie französische Restaurants. Hier wie in anderen Städten des Landes leben fast nur noch Tutsi. Die meisten Hutu sind vertrieben. „Ethnische Säuberungen“ sind seit Monaten an der Tagesordnung.
Von Zeit zu Zeit explodiert auch hier eine Granate. Politiker verstecken sich aus Angst vor Attentaten nachts an geheimen Orten. Keine Nacht ohne Schüsse.
Gloriose Nahimana gehört zu den wenigen, die noch immer nicht glauben mögen, daß ethnische Probleme die Wurzel der Krise in Burundi sind. „Wir unterscheiden uns in nichts voneinander“, sagt die Leiterin eines Projekts für Straßenkinder in Bujumbura. „Nicht in der Sprache, nicht in der Geschichte, nicht in der Kultur.“ Machtstreben einzelner Politiker, Hunger und Armut und vor allem Angst seien die Ursache allen Übels. „Viele denken: Ich habe Angst, man wird mich töten, also muß ich mich verteidigen. Mit Angst ist alles möglich, und sie herrscht unter Hutu und Tutsi.“
Wie läßt sich Angst in einem Alltag der Gewalt bekämpfen? „Das Problem ist, daß jeder gute Argumente für seinen Standpunkt hat“, meint der US-Diplomat Gordon Duiguid. „Die Hutu verweisen auf eine Geschichte der Unterdrückung, während die Tutsi den Völkermord in Ruanda ins Feld führen. Alle können sagen, daß ihnen Unrecht geschehen ist. Und niemand sagt: Ich bin zur Vergebung bereit.“
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