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Plastische Sittengemälde

Die fiktive Geschichte einer Maurenfamilie unter christlicher Herrschaft und ein historischer Stadtrundgang durch Córdoba  ■ Von Anne Winter

Wenn Onkel Miguel zu Besuch kommt, rümpft seine Familie die Nase. Seitdem er seine Seele verkauft hat und Bilder von blutenden Männern an Holzkreuzen anbetet, riecht er wie ein Pferdestall. Dabei war er früher der reinlichste Mensch auf Erden. Fünf Bäder täglich im Sommer. Fünfmal frische Kleider. Dann wurde aus dem Muselman Meekal Miguel der Bischof von Córdoba, ein stinkender Katholik. „Denn“, so erklärt die alte Amme dem kleinen Yasid, „die Priester fürchten das Wasser.“

Yasid ist der Jüngste in der Familie der Banu Hudayl, die seit Jahrhunderten auf einem Landgut in der Nähe Granadas lebt. Nun, im Jahre 1500, geht die islamische Epoche Andalusiens zu Ende. Acht Jahre zuvor haben die Christen Granada erobert. Wer nicht zum Christentum konvertiert, wird jetzt enteignet und vertrieben.

Der pakistanische Autor und Filmregisseur Tariq Ali beschreibt in seinem historischen Roman „Im Schatten des Granatapfelbaums“ die Vernichtung der arabischen Kultur auf der Iberischen Halbinsel am Beispiel einer maurischen Familie. Acht Jahrhunderte haben die Muslime, Christen und Juden unter maurischer Herrschaft friedlich zusammengelebt. Niemand wurde gezwungen, zum Islam überzutreten. Die katholische Kirche und ihre Inquisitoren halten nichts von Toleranz und multikultureller Gesellschaft. Seit der Erzbischof Jiménez de Cisneros alle arabischen Bücher in Granada verbrennen ließ, hat Umar, das Oberhaupt der Familie Hudayl, keinen Zweifel mehr an den Absichten der christlichen Herrscher. Die arabische Kultur soll ausgerottet werden.

Während Umar mit der Entscheidung ringt, ob seine Familie besser konvertiert, auswandert oder den Widerstand wagt, läßt der Erzähler die maurische Lebensart wie ein plastisches Sittengemälde noch einmal auferstehen. Die Banu Hudayl sind eine wohlhabende, aufgeschlossene Familie. Die vorwitzige Tochter Hind darf sich ihren Gatten selbst aussuchen. Zuvor testet sie ihn jedoch auf seine Ehetauglichkeit und läßt „den Saft seiner Palme ihren Garten wässern“. Erotik ist kein Tabu, weder für Frauen noch für Männer. Die manchmal blumige Sprache, die der Erzähler seinen Protagonisten in den Mund legt, wirkt nie gekünstelt. Sie unterstreicht vielmehr die Sinnlichkeit der andalusischen Kultur. Ob Körperpflege, Kleidung, Essen oder Erotik, dem menschlichen Wohlbefinden wird unter dem Halbmond große Wichtigkeit beigemessen.

Anders das Christentum. Dem Erzbischof sind schon die arabischen Bäder ein Greuel. Im Gegensatz zu seinen Vorgängern ist Jiménez jeglicher fleischlicher Begierde abhold. Um so größer sein Entsetzen, als er eines Morgens mit einem feuchten Fleck auf dem Nachthemd erwacht und, o Frevel: „Die nasse Stelle wies eine unheimliche Ähnlichkeit mit der Landkarte von Kastilien und Aragon auf.“ Der spitzbübische Humor, die sensiblen Beschreibungen und vor allem die lebendigen Charaktere bringen dem Leser ein Stück spanischer Geschichte auf spannende Weise nahe.

Córdoba unter der Dynastie der Omaijaden ist Thema des Buches „Stadt der Kalifen“. Der spanische Schriftsteller Antonio Muñoz Molina rekonstruiert die Zeit zwischen dem 8. und 11. Jahrhundert als eine Art Bericht. Dabei wird der Autor zum fiktiven Reisenden auf „historischen Streifzügen durch Córdoba“. Muñoz Molina stützt sich auf zahlreiche Quellen, die er allerdings selten direkt zitiert. So wird sein Buch zu einer etwas problematischen Mischung aus Fakten und Legenden.

Es beschreibt den Aufstieg Córdobas zur Hauptstadt des Abendlandes und ihre Zerstörung. Etwas von der anschaulich geschilderten Atmosphäre des alten Córdobas mag man heute noch in marokkanischen Städten nachempfinden. Sehr einfühlsam ist auch das Kapitel über die „Mezquita“, die Moschee, der später „in verbrecherischer Weise“ eine christliche Kathedrale übergestülpt wurde. Anhand der „Mezquita“ wird der religiöse Symbolcharakter islamischer Architektur besonders deutlich. Während die Beschreibung der labyrinthischen Stadt und der Moschee ein eindringliches Bild vermittelt, hinterlassen die Emire und Kalifen, an deren Biographien sich der Schriftsteller entlanghangelt, einen blassen Eindruck. Von der vielbeschworenen Toleranz in Al-Andalus ist in diesem Buch nur wenig die Rede. Die Omaijadenherrscher, denen Córdoba seinen einstigen Reichtum und seine architektonische Pracht verdankte, waren blutrünstige Despoten, die selbst die eigenen Söhne enthaupten ließen. Der angeblich höfliche, gutmütige, großzügige und scharfsinnige Abd al- Rahman III hatte immer einen Henker dabei, der die willkürlichen Todesurteile auf der Stelle vollstreckte.

Die abgeschlagenen Köpfe, in Salzlake konserviert oder öffentlich zur Schau gestellt, ziehen sich wie ein blutroter Faden durch die Erzählung. Unter der Tyrannenherrschaft des Emporkömmlings al-Mansur wird das Gemetzel zur Gewohnheit. Unermüdlich zieht dieser arabische Attila gegen den christlichen Norden in den Krieg. Die Heimkehr seines Heeres bietet ein grausiges Schauspiel: „Die Soldaten brachten endlose Menschenschlangen von christlichen Sklaven sowie Lasttiere mit, deren Körbe voller Christenköpfe waren.“ Ob solche Beschreibungen alten Chroniken oder der Phantasie des Autors entstammen, bleibt unklar. Muñoz Molina bemüht sich nicht um eine Einschätzung der Epoche; Widersprüche löst er gern mit dem Hinweis auf, daß es nicht mehr möglich sei, Genaueres über die Personen zu erfahren.

Das Buch leidet unter dem ständigen Schwanken zwischen einem halbherzigen wissenschaftlichen Ansatz und der gebremsten schriftstellerischen Freiheit des preisgekrönten Autors. Statt den Leser auf einen imaginären Streifzug mitzunehmen, rückt er die Stadt in unerreichbare Ferne.

Tariq Ali: „Im Schatten des Granatapfelbaums“, München 1993, 14,90 Mark.

Antonio Muñoz Molina: „Stadt der Kalifen. Historische Streifzüge durch Córdoba“, Reinbek 1993, 14,90 Mark.

Weitere historische Bücher:

Amin Maalouf: „Leo Africanus. Der Sklave des Papstes“, München 1988, 48 Mark.

Eberhard Cyran: „Abend über der Alhambra“, Salzer Verlag 1991, 49,80 Mark.

Zu den Alpujarras:

Gerald Brenan: „Südlich von Granada“, Jenior & Preßler 1990, 34 Mark.

Allgemeines:

„Andalusische Ansichten. Lesebuch nicht nur für Reisende“, Jenior & Preßler 1990, 24 Mark.

Wandern in den Alpujarras:

„Richtig Wandern. Andalusien“, DuMont 1993, 29,80 Mark.

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