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Wie der Kultur eins übergezogen wird

Über die harmonische Verteilung von Falten oder: Von den Strategien der Christos, zweier nomadischer Zeltbau- und Bekleidungskünstler  ■ Von Heidi Helmhold

Eines scheint seit der Bundestagsentscheidung am 25. Februar 1994 über den Gelingensfall der Verpackung des Reichstages durch das Ehepaar Christo fast zur opinio communis geworden zu sein:

Es wird schön werden. Das Material des metallicfarbenen Stoffes wird das Licht-Schatten-Spiel der Umgebung aufnehmen und wird es verstärken. Es wird korrespondieren mit dem „Himmel über Berlin“, von dem Christo sagt, daß dieser entweder stahlblau oder grau sei. „Die Falten werden harmonisch verteilt sein, und das Gewebe wird die Konturen des Gebäudes energisch hervorheben ..., die Falten werden viel steifer und eckiger, fast wie bei gotischen Skulpturen.“ Unserem Anmutungsbedarf wird entsprochen werden. Nach der still gewordenen Erhabenen-Diskussion werden wir jetzt vielleicht diese Kategorie rückenrieselnd erleben – so groß, so fremd, so überwältigend. Oder uns kurz an eine Ästhetik erinnern, die „im Sinne einer Karriere des Schönen als Instanz der Versöhnung“ (Wolfgang Welsch) in Erscheinung tritt. Hier ist alles mit allem in Versöhnung: die Polypropylenfolie mit dem Himmel (oder, wie Christo an anderer Stelle sagt: Die silberglänzende Farbe des Verhüllungsgewebes wird eher sein „wie das mattierte Metall, das wir von Autos kennen“), die Falten mit der gotischen Kathedrale, die Vergangenheit mit der Zukunft und die Christos mit den Leuten des incommoden Sternpavillons. „Das Ergebnis“, so Christo in einem Interview, „wird wunderschön sein.“

Christo verfolgt seit 22 Jahren die Umsetzung dieses Projekts, und sein Interesse zeigt sich nicht zuletzt darin, daß er die Kosten von 10 Millionen Mark selbst tragen wird. Das tatsächliche Produkt, der 14tägig verhüllte Reichstag mit all seiner Ver- und Enthüllungssymbolik, täuscht in seinem glatten Schönheitsbegriff möglicherweise über das hinweg, was man die nomadische Strategie dieses Projektes nennen könnte. Diese folgt einem anderen Verständnis von Territorium, Grenze und Raum. Sie bricht mit künstlerischer Willkür in bestehende Ordnungen ein, und sie zeigt sehr präzise und mit sublimer Kritik die Konfliktlinien zweier Kulturen: die eine Kultur der Grenzbewahrer und Grenzverwalter und die andere Kultur der Grenzbrecher und Grenzvernichter.

Christo und seine Frau sind mit 22jähriger Hartnäckigkeit in das geschichtsverwalterische Selbstverständnis der Deutschen eingedrungen und annektieren es: 14 Tage lang mit silberfarbener Folie. Dem ging, mit Deleuze & Guattari gesprochen, ein „nomadischer Kampf“ voraus: „Gegen die seßhaft-despotischen Administrationsmaschinen, mit denen sie [die Seßhaften] alles anhalten und unterwerfen wie übercodieren, setzen die Nomaden die Bewegung im Sinne einer Kriegsmaschine gegen die Administrationsmaschine“. Der „runnig fence“ 1976 in Kalifornien war gegen die verhärteten Grundstücksgrenzen der Rancher im Kopf wie auf den Feldern gerichtet. Ein 5,5 Meter hoher textiler Zaun aus 150.000 Quadratmeter weißem Nylongewebe zog sich – an 2.050 Stahlpfosten gespannt – 39,5 Kilometer nördlich von San Francisco zur Bodega Bay in den Pazifischen Ozean hinein.

Den Territorialansprüchen der Rancher ließ Christo seinen Zaun querlaufen. Das Projekt erforderte Verhandlungen, es brauchte 18 öffentliche Hearings, einen Umweltbericht und drei Verhandlungen am Obersten Gerichtshof von Kalifornien – eine künstlerische Kriegsmaschine gegen die Administrationsmaschinen.

Durch Christos Projekte entstehen neue Netzwerke. Das sind: Bauingenieure, Textilingenieure, Webereien, Zuschnitt- und Nähbetriebe, Sicherungsingenieure (Wind-, Blitz- und Materialgutachten) Seillieferanten, Feuerwehrleute (zum Falten der Gewebeteile), Gewerbekletterer und die „Verhüllter Reichstag GmbH“, denen außer den oben Genannten neben Christo und Jeanne-Claude noch architektonische und juristische Berater, Projekthistoriker, Archivare, Kustoden, Kunsthändler, Bauleiter, Geschäftsführer und die Exklusivfotografen Wolfgang und Sylvia Volz angehören. Ein weiteres Netzwerk entsteht in der Zeit vom 17. Juni bis zum 6. Juli: Aufsichtspersonal, Gewebestückverteiler und Besuchererklärungspersonal – genannt „Monitore“. Meist Studenten, die sich um die Mitarbeit beworben haben und denen die „Verhüllter Reichstag GmbH“ im Namen der Christos in einem Formschreiben für ihren Enthusiasmus dankt. Es wird ihnen eine „umfangreiche Schulung“ in Aussicht gestellt, bei der die Helfer auch die Möglichkeit hätten, so das Formschreiben, den Künstlern Fragen zu stellen.

Es war der Architekt Gottfried Semper, der 1851 in seiner Schrift „Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten oder Praktische Ästhetik – ein Handbuch für Techniker, Künstler und Kunstfreunde“, die für seine Zunft ärgerliche These aufstellte, daß sich alle (feste, gebaute) Architektur aus dem textilen Bedürfnis der Bekleidung heraus entwickelte. Alle architektonischen Bauteile – die Wand, die Decke, das Dach, die Mauer – ahmen nur die textilen Raumabschlüsse wie Teppiche, Vorhang, Schirm und Flechtzaun nach. Die „Idee“ des Bauwerkes entspringt für ihn an der Schnittstelle vom Menschen, der unterwegs ist und demjenigen, der zur Ruhe gekommen ist: Die Kunst der Wandbereiter wird zunächst beherrscht von den Mattenflechtern und Teppichwirkern. Diese Matten und (vertikalen) Teppiche gingen, wie Semper 1851 schreibt, „der ... gemauerten Wand lang voraus“. Die Brisanz dieser These von 1851 ist auch 1995 noch spürbar: Nicht die kunstgeschichtlich gepriesenen steinernen Bauwerke der Hochkulturen sind das geistige Substrat kultureller Bemühungen, sondern die flagranten und wenig beständigen textilen Baumetaphern nomadischer Kulturen. (Das könnte in einer Zeit der verschärften Migrantengesetzgebung ein Politikum sein, sind es doch zumeist die ambulanten „Notunterkünfte“ der Migranten, die Anlaß zu Unmut und Gewalt geben).

In der künstlerischen Arbeit der Christos erfährt diese Textilmetapher von „Primärarchitektur“ eine Radikalisierung: Sie packen Objekte ein (Packages). Sie ziehen einen Teilvorhang (Valley Curtain, Colorado, 1979). Sie belegen Parkwege mit 12.660 qm goldgelbem Nylongewebe wie mit einem überdimensionalen Teppich (Wrapped Walk Ways, Kansas City, 1978). Sie umsäumen elf Inseln (Surrounded Islands, Miami Beach, 1983), und sie stellen 3.100 Schirme auf (The Umbrellas, Japan-USA, 1991).

Nach Gottfried Semper sind dies allesamt raumerzeugende Bauelemente – die Wand, der Teppich, der Saum und der Schirm. Und dies ganz im Gegensatz zur herrschenden Vorstellung in unserer Kultur der Immobilien, daß erst der architektonische Raum, dann die „wohnlichen“ Textilien kommen. Christo selbst spricht in bezug auf seine Projekte davon, daß es ihm um eine Feier des Raumes und der Menschen im Raum gehe. „In all meinen Arbeiten geht es um das Erlebnis des Raums.“

Bei aller Kolossalität der Projekte sind es neben einem ausgeprägten Bekleidungsdrang sehr frühe, textile Raumbedürfnisse, die von Christo vorgeführt werden und die zeigen, wie die Mechanik von Raumerzeugung funktioniert. Darin stecken auch sublime Verheißungen („what is behind that curtain?“) und eine Form von ambulantem Tapetenwechsel in freier Landschaft. Die „Surrounded Islands“ wurden von Christo in Analogie zu den Seerosenbildern von Monet verstanden; der textile Saum hatte die Freizeitinseln aber auch zu einer unberührbaren Zone gemacht. Und beim Projekt der Umbrellas waren es nun endgültig flüchtige, minimalisierte Primärbehausungen, die es erlauben, sehr schnell den einmal aufgespannten Raum wieder verschwinden zu lassen. Nach Semper ist der Schirm eines der vier Grundelemente der Raumerzeugung, und Vilém Flusser, dem Medienphilosophen des 20. Jahrhunderts, galt der Schirm als Zeichen für die Wandlosigkeit des im Kern nomadischen Medienzeitalters. Christo selbst sagt über die Schirme des Umbrella-Projekts: „Wir haben nicht Schirme in die Landschaft gestellt, sondern Häuser ohne Wände, jedes so groß wie ein Junggesellenappartement. Wir haben Dörfer gebaut.“

Nicht allein die Tatsache, daß Christo mit textilen Geweben arbeitet, markiert seine architektonische Subversität, sondern es sind darüber hinaus diese textilen Primärobjekte, mit denen wir fast alltäglich unseren Raum „bauen“. Umso erstaunlicher ist das ausgeprägte Bemühen der beiden Künstler, auf dem Zusammenhang mit der festen Architektur schon rein terminologisch zu bestehen. Fast rührend, mit welcher Militanz die Christos selbst bei Näherinnen der Spreewald Planen GmbH in Vetschau, die die Gewandstücke für den Reichstag maßschneidern, darauf bestehen, daß die genähten Stücke nicht Gewandstücke, sondern „Paneele“ heißen und auch so genannt werden (taz 20./21. Mai). Ersteres könnte vielleicht textilanrüchig oder präkulturell sein, während die terminologische Zwangsverordnung der „Paneele“ sofort zeigt: Hier wird gebaut (nämlich Wandvertäfelungen), und das hat seinen Stellenwert in der Kultur der Präzis-Architektur. Wenn die Christos den Reichstag mit 100.000 Quadratmeter aluminiumbeschichteter Polypropylen-Folie umgeben, dann ist das jedoch auch ein Einpacken von ihrem Selbstverständnis nach „ewiger“ Architektur: steinern, geschichtsträchtig, hierarchisch und territorial.

Vielleicht muß man Christo gegen sich selbst anwenden, wenn man seine Betonung der Kurzlebigkeit des Projektes als Botschaft der Vergänglichkeit an die Menschen ernst nimmt. Das ist im Zusammenhang mit den textilen Bauten auch eine Konnotation, die der Zeltarchitektur entstammt. Dabei ist nicht so entscheidend, daß die Verhüllungshülle des Reichstages von einer Zeltfertigungsfirma genäht wird und von deren Know- how der „Textilarchitektur“ profitiert; mit der Kurzlebigkeit textiler Bauten ist aber existentiell die Lebensweise von Menschen verbunden, die unterwegs sind, die sich nicht auf Dauer eingerichtet haben, die nicht vom Bedürfnis der Abschottung geprägt sind, sondern die innerhalb textiler Wände (der gewebten Wände der black tents oder der gefilzten Wände der Jurten) den Außenraum akustisch mitleben. Die immer an intensiv vernetzte Sozialfelder gebunden sind – dies nicht nur im Auf- und Abbau der Zelte – deren Bauten nicht für die Ewigkeit fundamentiert, sondern dem Boden nur angeheftet sind.

Wenn dem Reichstag, dieser architektonischen Kolossalarchitektur, die dünne Hülle „angeheftet“ wird (und sie soll nach den Wünschen Christos eben nicht, wie bei architektonischen Leichtbaukonstruktionen üblich, zur statischen Stabilisierung gespannt werden, sondern auf Wind reagieren können), dann wird auch unserer Kultur eins übergezogen. Für die Zeit von zwei Wochen wird uns – bei aller Perfektion und Ästhetisierung – etwas übergehängt, das die monumentale, hochkulturelle Architektur zeltartig unter sich begraben wird. Im Gespräch mit Andre Müller beschrieb kürzlich Christo seine Biographie als Migrant und schloß: „Ich bin Fremdling auf dieser Welt. Dieses Fremdsein ist Kern unserer Arbeit.“

Der verhüllte Reichstag also das teuerste und faltenreichste Zelt eines Nomadenpaares? Es wäre gelungen, wenn die Tatsache zum mentalen Dauerfundament werden könnte, daß Architektur unterwegs entstanden und Fremdsein Arbeit ist. Oder, um es mit dem Architekten Toyo Ito zu sagen: „Es geht also darum, ein relativ dauerhaftes System in einem instabilen Kontext zu finden ... Nirgends findet sich ein Fundament, auf das sich Architektur stützen könnte.“ Vielleicht so: relativ – instabil – fundamentlos – dann könnte es schön werden!

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