: Was, bitte schön, ist Urlaubsgeld?
■ Mehrere Gewerkschaften konkurrieren um die Angestellten im Software-Bereich
Berlin (taz) – Die Gehälter werden frei nach Gusto der Geschäftsleitung gezahlt. Es gibt weder Weihnachts- noch Urlaubsgeld. Und natürlich halten sich nur Versager an die 40-Stunden-Woche. Trotzdem sind die Angestellten froh, überhaupt einen festen Job in dem kleinen Berliner Software- Unternehmen gefunden zu haben. Denn „in der Branche müssen sich immer mehr Kollegen als freie Honorarkräfte verdingen“, berichtet Klaus Hermann, Industriesoziologe beim IG-Metall-Vorstand in Frankfurt. Obwohl mehrere Gewerkschaften in der Software- Branche um Mitglieder werben, bleibt der High-Tech-Bereich weitgehend tarifpolitisches Niemandsland.
Im Bereich „Software, Service und Systeme“ zählt die Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen (HBV) 5.000 Unternehmen mit rund 130.000 Beschäftigten im Inland. Die meisten Firmen sind in keinem Arbeitgeberverband, nur etwa 20 Prozent hielten sich an Tarifverträge, berichtet Michael Jäkel, zuständiger Sekretär beim HBV-Bundesvorstand. Vor allem in den kleineren Software-Firmen sind die Angestellten oftmals auf ihr persönliches Verhandlungsgeschick angewiesen, wenn es ums Geld geht.
Wo die Arbeitgeber keinem tarifpolitisch aktiven Verband angehören, scheint es auch den Beschäftigten wenig sinnvoll, sich einer Gewerkschaft anzuschließen. Zumal nicht ganz klar ist, welcher: Die IG Metall galt ursprünglich als zuständig für die Software-Ableger der großen Hardware-Produzenten, die Gewerkschaft HBV fühlte sich für die Rechenzentren und EDV-Beratungsfirmen zuständig. Mit dem Haustarifvertrag beim IBM-Konzern versuchte die DAG in der Branche Fuß zu fassen. Die Postgewerkschaft und die IG Medien schließlich melden im Bereich Telekommunikation und Multimedia Ansprüche an. Aber „es scheint, als habe der Mitgliederschwund bei den Gewerkschaften den Konkurrenzgedanken doch um einiges vergrößert“, wird in der HBV-Zeitschrift Ausblick bekrittelt.
Kein Wunder: Die HBV klagt über einen Organisationsgrad von nur drei bis vier Prozent in EDV- Beratungsunternehmen, Rechenzentren und Multimedia-Firmen. Selbst die IG Metall kommt bei IBM in Stuttgart nur auf rund zwölf Prozent.
Für viele Software-Angestellte erscheint es müßig, darüber zu streiten, ob die 36-Stunden-Woche der IG Metall oder die 38-Stunden-Woche der DAG die sozialere Lösung sei. Denn Überstunden gehören fast schon zur Branchenkultur. Die Soziologen Peter Noller und Klaus Ronneberger vom Institut für Sozialforschung in Frankfurt/Main befragten EDV-ExpertInnen: 26 Prozent der Frauen und Männer ackerten mehr als 50 Stunden in der Woche.
„Manche schreiben die Überstunden auf, manche auch nicht“, erzählt Betriebsrat Axel Porst vom kleinen Münchner Software-Unternehmen „Interface-Connection“. Was über 20 Stunden Überschuß im Monat hinausgeht, fällt auf Nimmerwiedersehen in die „Schnippelkiste“ (Branchen-Jargon) und wird nicht abgebummelt. Auch bei IBM schieben die Angestellten „Hunderte, Tausende von Überstunden vor sich her. Soviel Freizeit können die gar nicht mehr nehmen, um das auszugleichen“, sagt Kurt Schibrani, IG-Metall-Betriebsrat bei IBM in Böblingen.
Nicht nur bei den „Mehrstunden“ macht die harte Wirklichkeit tarifliche Regelungen zunichte. Auch bei der Frage nach allgemeingültigen gehaltsmäßigen „Einstufungen“ tun sich die Betriebe schwer. Als „wegweisend“ lobt die DAG ihren IBM-Haustarifvertrag. Die Beschäftigten werden hier nicht nur nach dem Ausbildungsgrad und der konkreten Tätigkeit, sondern auch nach den analytischen Leistungen, dem Verantwortungsgrad und „Problemlösungs-Level“ eingestuft. Gar nicht so einfach: An der persönlichen Einstufung aller MitarbeiterInnen tüftelt man bei IBM bis heute.
Die IG Metall verachtet das IBM-Regelwerk als „Billigtarif“. Eine kürzlich anberaumte Konferenz der Gewerkschaft zu IBM allerdings wurde ohne triftigen Grund abgesagt – die Metaller seien sich ihrer Hausmacht bei IBM eben nicht mehr sicher, unkte die Konkurrenz von der DAG.
Der Wettbewerb in der Branche – auch unter den Beschäftigten – ist knallhart. Kein Wunder, daß die traditionellen Sozialleistungen großer Industrieunternehmen vielen Software-ExpertInnen aus kleineren Betrieben schon als fremde Welt erscheinen. „Urlaubsgeld kriegen wir“, erklärte einer der EDV-Fachmänner der taz- Reporterin. „Wenn wir in die Ferien fahren, wird uns das Gehalt selbstverständlich weitergezahlt!“ Barbara Dribbusch
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