■ Hafenstraßenrundfahrt: Kleine Chronik
1936: Die Nazis werfen ein Auge auf die billigen Gründerjahre-Mietskasernen zwischen Reeperbahn und Elbe. Die Brutstätte von Kommunisten und Sozialisten soll ausgeräuchert werden. Großdeutsche Architekten erhalten den Auftrag, die schmuddelige Front St. Paulis zur Elbe zeitgeistig umzuwandeln. Erste Planskizzen werden gefertigt. Der Stadtstaat beginnt Häuser anzukaufen.
1950: Die Stadtrepublik Hamburg will das alte St. Pauli auslöschen. Eine Glitzerfassade an der Elbe soll vom neuen Geist einer demokratischen Wirtschafts- und Wachstumsoffensive künden. Der Hausankauf geht weiter. Ende der 60er Jahre, die ersten Architektenentwürfe sind fertig, wird das Vorhaben auf Eis gelegt.
1981: Die Wohnungsnot grassiert. Junge Linksradikale sickern in leerstehenden öffentlichen Wohnraum an der Hafenstraße ein. Da die Stadt zwischen legalen Altmietern und illegalen Besetzern dank raffinierter Solidarisierungseffekte nicht unterscheiden kann, scheitern Räumungsvorhaben. 1983 erhalten die BewohnerInnen befristete Mietverträge.
1986: Die Stadt will ihre auf Eis gelegte Glitzerfassade endlich verwirklichen. Die Häuser müssen weg. 5.000 Bereitschaftspolizisten werden erst durch Barrikaden, Vermittler und schließlich einen Schwenk des damaligen Bürgermeisters Klaus von Dohnanyi gestoppt. Eine städtische Sozialstiftung wird Besitzer und Vermieter.
1988: Henning Voscherau wird Stadtchef. Seine Parole lautet: „Nun ist es genug!“ Die Sozialstiftung muß die Häuser an eine Hafrenrand GmbH abtreten. Der Auftrag: Erst Räumungstitel, dann Abrißbirne.
1994 vollzieht Voscherau einen grundlegenden Kurswechsel. Die Hafenstraße erhält ein Jahr Bewährung. Die renommierte patriotische Gesellschaft von 1765 und eine Vielzahl hochrangiger Vertreter des Stadt-Establishments organisieren hinter den Kulissen einen Weg des Dialogs.
1995: Ende der Bewährungsfrist. Voscherau verkündet zum Jahreswechsel: „Räumung oder Privatisierung.“ Sein wichtigster Berater, Stadtentwicklungssenator Thomas Mirow, begibt sich auf einen zähen Drahtseilakt zwischen Hardlinern in der SPD und Hafenstraßenplenum.
Juni 1995: Eine Lösung zeichnet sich ab. Eine neu zu gründende Genossenschaft aus renommierten Bürgern und Vertretern der St. Pauli Genossenschaft (Hafenstraßen-Genossenschaft) könnte die Häuser der Stadt abkaufen und sanieren. Florian Marten
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen