: Ewig staubet das Magnesium
Grauenhafte Sportarten, mit denen uns das Fernsehen quält (VII): Versuch über einen moralisch sehr integer watschelnden Gewichtheber namens Manfred ■ Von Albert Hefele
Vor langer, langer Zeit, als unsereins noch jung war, galten Männer, die möglichst schwere Teile in die Luft stemmen konnten, als Respektspersonen. Wenn sie, vom Training kommend, den Biergarten betraten, herrschte einen Moment lang Stille. Diese Schultern, diese Arme, diese dicken Beine. Diese viel zu kleinen Trainingsanzüge. Bedeutungsvoll nickten sich jung und alt zu: das sind Kerle. Da kannst du dir eine Scheibe von abschneiden. So war das damals. Etwas später hatten dann aber schon die Studenten das Sagen, und jeder, der mehr Muskeln angehäuft hatte, als nötig waren, um ein Kursbuch zu lupfen, war plötzlich ein Revanchist und Kriegsverbrecher.
Heutzutage zeigen sich auch fortschrittliche Individuen ohne Scheu im Kraftraum. Damen und Herren schnaufen einträchtig unter der Eisenfron und bekennen sich zum gestählten Körper. Aufgeblähte österreichische Bodybuilder werden gar als Schauspieler bezeichnet, Rabauken- und Rüpelsportarten haben Hochkonjunktur. Kabarettisten und Literaten drängeln am Ring und lassen sich schamlos mit jemandem wie „Jacketkrone“ Thust fotografieren. So ändern sich halt die Zeiten wieder: Starke Burschen sind gefragt, kein Zweifel. Trotzdem kräht kein Hahn mehr nach unseren früher so respektierten Gewichthebern. Warum denn das? Die besten von ihnen könnten mit der einen Hand Henry Maske und mit der anderen Axel Schulz stemmen. Außerdem: Gewichtheber sind moralisch integer, weil sie niemand verhauen müssen. Eigentlich ist das Gewichtheben eine ideale Kombination von unmäßiger Kraft und Gutmenschentum. So gesehen ist es ein außergewöhnlich wunderschöner Sport.
Bedauerlicherweise hat er aber gegenüber dem Boxen einen nicht zu unterschätzenden Nachteil. Es tut sich nicht sehr viel. Dem eifrig nach Sensationen spähenden Zuschauer bietet sich zwar eine imponierend weitläufige Bühne, die darauf stattfindende Aufführung fällt jedoch deprimierend mager aus.
Große Leere. Im Sinne des Wortes. Links zwei Ziersträucher, rechts zwei Ziersträucher. Ein großer Aschenbecher. Bei wichtigen Anlässen: zwo Fernsehkameras. Sie sind auf den Heberboden gerichtet. Er muß was aushalten, denn was ein gestandener Heber ist, stemmt schon seine vier, fünf Zentner. Und – läßt sie wieder fallen. Auf den Heberboden. Meistens, wie gesagt, tut sich nichts. Dann: taps, taps, ein dicker Herr im Trainingsanzug fummelt an der Langhantel. Die aussieht, als wöge sie eine Tonne. Riesige, dicke Eisenscheiben, von denen die oben erwähnten Studenten nicht mal eine vom Boden hätten bewegen können. Taps, taps, der dicke Herr ist wieder weg. Nur die Digitaluhr blinkt und das rote Licht an einer Kamera leuchtet. Der dicke Herr ist derweil hinter die Bühne geeilt. Dorten steht, wie ein verstocktes Kind, der Gewichtheber im Bademantel. „Ich will aber nicht auf den Heberboden“, scheint er zu greinen. Die ihn umgebende Herrenschar blickt vorwurfsvoll. Man wedelt mit dem Handtuch. Man nickt aufmunternd. Er muß. Viele dicke Herren sind des Gewichthebers Schicksal. Na gut.
Bademantel aus. Die Gewichtheberkleidung besteht aus einem Trikot und festen Schuhen (Heberschuhe), außerdem aus einem breiten Angebergürtel, offiziell: damit man sich keinen Bruch hebt. Wenn der Gewichtheber sich nun endlich auf die Bühne begibt, tröpfelt spärlicher Beifall. Meistens sieht eh keiner zu. Außer in Bulgarien, die haben bekanntlich sonst nichts.
Hektik an den Fernsehkameras. Endlich Bewegung. Ernst und trotzig blickend watschelt der Sportler, nennen wir ihn Manfred, zu dem großen Aschenbecher. Der natürlich keineswegs ein Aschenbecher, sondern ein Magnesiumbehälter ist, aus dem es der Heber nun beeindruckend stauben läßt. Freudig zoomt der Kameramann. Unser Manfred blickt auf einmal ganz verträumt, als hätte er Raum und Zeit vergessen, möchte ewig in das hübsch staubende Magnesium patschen. Von den mager besetzten Rängen wehen feine Schnarchlaute herüber. Dann zischeln die dicken Herren von hinter der Bühne: die Pflicht ruft. An die Hantel!
Traurig läßt Manfred vom Magnesium ab und wankt zu seinem Eisenhaufen. Er wirkt nicht begeistert, er legt die Stirne in schwere Falten. Dabei soll Sport doch Spaß machen. Manfred überlegt. Einfacher Griff? Klammergriff? Offener Griff? Nicht einfach, denn ein falscher Griff, ein Ausrutscher, und Manfred ist Mus. Wie auch immer, das Ding muß in die Höhe. Also wickelt er in Gottes Namen irgendwann energisch die Finger um die Stange, Blick zur Decke: hau ruck! Man kann gar nicht hinsehen. Diese trompeterhaft geblähten Backen, diese abgeknickten Handgelenke! Man hört förmlich die Knie krachen, fühlt die Wirbelsäule bersten. Und doch, irgendwie kriegt es der Mensch in die Höhe.
21, 22, 23. Ufff! Und – Rummms! – absetzen. Da freut sich unser Manfred, da strahlt sein runder Kopf. Wie schnell er auf einmal ist. Nur weg hier! Wie ein eiliger Pinguin zappelt er hinter die Bühne, zu den Kollegen. Die sich kaum halten können vor Begeisterung. Und sich wie ein Haufen konspirativer Teddybären diebisch vergnügt auf die dicken Schultern klopfen.
Der Kameramann schwenkt zum Zierstrauch, im Zuschauerraum lagert man sich bequemer. Bis zum nächsten Heber ist noch viel Zeit.
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