: „I am a big boss of the church“
In Hamburg wird heute der 26. Evangelische Kirchentag eröffnet. Hier residiert Maria Jepsen, die weltweit einzige protestantische Bischöfin. ■ Aus Hamburg Torsten Schubert
Einem philippinischen Seemann erklärte sie ihr Amt mit den Worten: „I am a big boss of the church.“ Und wenn Maria Jepsen in ihrem schwarzen Talar mit den Insignien der Bischofswürde – einer goldenen Kette und buntem Besatz – die Kanzel einer Kirche hinaufschreitet, getragen vom Gesang der Gemeinde, wirkt sie tatsächlich wie eine große Kirchenchefin. Schweigend richten die Gläubigen ihre Augen auf die einzige Bischöfin der Welt.
„Dann bin ich am weitesten von den Menschen entfernt.“ Die 50jährige Theologin hat sich daran gewöhnt, bei öffentlichen Auftritten einer Menge gegenüberzustehen, die in ihr vor allem die Kirchenautorität sieht. „Viele stellen mich auf einen hohen Thron.“ Doch ein Machtmensch mag sie nicht sein. „Ich arbeite mit anderen Mitteln, teile meine Macht.“ Entscheidungen zu begründen und zu diskutieren, darin sieht Maria Jepsen keine Schwäche. Im Gegenteil: „Solange mir die Leute hart etwas ins Gesicht sagen, ist das ein Zeichen von Normalität.“
Ihr Hamburger Büro an der sechsspurigen Ost-West-Straße, unweit der Sankt-Michaelis-Kirche, ist zweckmäßig eingerichtet. Schreibtisch, Regale, ein Besuchertisch und Stühle. Daß hier eine Bischöfin ihren Amtsgeschäften nachgeht, ist höchstens an den Bibeln im Regal zu erkennen. „Mein Arbeitstag beginnt gegen acht Uhr und endet oft erst abends um zehn.“ Einen halben Tag in der Woche hat sie frei, meist Samstag vormittag, dann kauft sie ein.
Als Frau im Bischofsamt ist sie auch noch nach drei Jahren umstritten. Manche Kritiker werfen ihr vor, daß sie „vollen Nonsens glaubwürdig rüberbringen kann“. Das Bibelwort „Das Weib schweige in der Gemeinde“ machte die Runde. Doch ein Paradiesvogel in der Voliere der evangelischen Kirche ist sie nicht mehr, längst haben sich Gläubige und Funktionäre an das weibliche Gesicht mit den ruhigen Augen und den grauen Haaren gewöhnt. Sie wollen wissen, was sie von dieser Bischöfin erwarten dürfen, wofür Maria Jepsen steht.
Die Theologin legt den rechten Zeigefinger auf die Lippen und sieht durch das Fenster auf einen trüben Tag. „Ich stelle mir eine neue Form der Frömmigkeit vor.“ Die soll, wünscht Jepsen, an Deutlichkeit „nichts zu wünschen übriglassen“.
Eine Bischöfin also, die den christlichen Glauben radikalisiert? Maria Jepsen möchte gleichgeschlechtlichen Paaren den kirchlichen Segen nicht länger verweigern und setzt sich für eine liberalere Drogenpolitik ein. So was predigt sie auch von der Kanzel, denn das Bischofsamt gibt ihr Sicherheit. Früher habe sie sich zuviel an Männern orientiert. „Jetzt bin ich verpflichtet, öffentlich zu sagen, was ich vor fünf Jahren nicht gesagt hätte.“ Reicht das aus, um den Menschen den Glauben an die Kirche zurückzugeben?
Ein bißchen weckt Maria Jepsen den Verdacht, mit ihren Aussagen auf der etablierten Seite der Gesellschaft zu stehen und sich nicht allzusehr vorzuwagen. Vieles bleibt vage. „Jedes Amt hat seine bestimmten Aufgaben und Möglichkeiten, engt ein. Manchmal denke ich, es müßte etwas gemacht werden, aber ich darf es nicht.“ Dann suche sie sich möglichst jemanden von der Basis, der die Idee an ihrer Stelle vorbringt. „Meine Äußerungen schlagen gleich ganz andere Wellen.“ Sie könne oft nur durch ihre Anwesenheit die richtigen Signale setzen, ohne sich persönlich einzubringen.
Maria Jepsen bringt jedenfalls volle Kirchen. Bei einem Festgottesdienst zum 1.150. Geburtstag der niedersächsischen Gemeinde Ramelsloh müssen viele Schaulustige stehen, weil das Gestühl des Gotteshauses nicht ausreicht. „So voll war die Kirche seit hundert Jahren nicht mehr“, sagt einer der örtlichen Feuerwehrmänner. „Die Leute sind ja ganz wild auf die Frau.“ Schade finde er nur, daß die Bischöfin nicht länger beim Fest bleiben könne, aber ihr Fahrer habe ihm ihre Terminliste gezeigt. Drei engbeschriebene Seiten. „Sie ist schon in Ordnung“, sagt der Feuerwehrmann seltsam unbeteiligt.
Ihre Predigt ist engagiert, wenn auch nicht mitreißend. Sie fordert, die Kirche müsse weniger Folklore als Sauerteig sein, „missionarischer, manchmal so scharf wie eine Speerspitze“. Dabei steht sie in der engen kupferfarbenen Kanzel über den Gläubigen und unter einem Baldachin. Ein Bischofs- Sandwich, den Gläubigen zum Fest serviert.
In der Männerrunde der örtlichen Honoratioren ist die Bischöfin der Farbklecks in der Welt der Nadelstreifenanzüge. Sie trägt ein rotes Kostüm. Die Dorfgewaltigen wollen etwas von der Hamburger Großstadtpolitik hören, Maria Jepsen gibt Auskunft. Auf ein Gespräch mit den Bewohnern läßt sie sich nicht ein, muß dringend zur Einweihung einer Kirche nach Altona. Die Gläubigen verzeihen es ihr.
Trotz der Distanz zu den einfachen Menschen hat die Bischöfin nicht das Gefühl, häufig von der Basis entfernt zu sein. „Ich bin gerne dort, wo ich nicht unbedingt begrüßt werde.“ Da höre sie dann auch deutliche Worte. „An manchmal muß ich hart schlucken.“ Bewußt macht sie unangemeldete Besuche in Einrichtungen und Gemeinden. „Sonst ist alles vorbildlich sauber und gleicht eher einer Vorführung.“ Maria Jepsen ist neugierig und schaut gerne hinter die Kulissen, zum Ärger der Verantwortlichen, die vielleicht Konsequenzen befürchten. Ihre Chefin hat andere Gründe: „In Alltagskleidung kann ich mich mit den Leuten am besten unterhalten, weil sie mich nicht erkennen.“ Gern legt sie dafür ihre Amtsautorität ab und wird Maria. So geht sie auch mit ihrem Mann – der sich als Pastor beurlauben ließ, als sie seine Vorgesetzte wurde – an der Alster spazieren.
An ihrem Beruf genießt Maria Jepsen die Vielfalt. „Ich kann täglich die Ebene zu neuen Menschen überschreiten.“ Im Grunde beginne es schon morgens, wenn sie sich überlege, was sie anziehen müsse. „Das hängt natürlich ganz von den Terminen ab.“ Arbeit und Privatleben ließen sich bei ihr jedenfalls nicht mehr trennen, denn „viele Veranstaltungen besuche ich aus Interesse“. Durch die Fülle ihrer Verpflichtungen habe sie Gelassenheit gelernt, früher habe sie sich mehr Gedanken um die einzelnen Themen gemacht. „Jetzt konzentriere ich mich auf Begegnungen, die sich lohnen.“ Dazu zählt sie ihre Treffen mit Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth und der Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts, Jutta Limbach. „Daraus haben sich feministische Fragen ergeben, zum Beispiel: Wie geht es uns Frauen in bestimmten Ämtern? Wo sind wir noch immer auf dem Männergleis?“ Geplant sei eine Art Vernetzung von Frauen in leitenden Positionen. „Aber nicht nach dem Schema der Männerbünde, um sich gegenseitig zu protegieren, sondern um sich in Gesprächen persönlich und offen auszutauschen.“
Es sei doch so, daß bestimmte Kreise sich freuten, wenn die Medien über erfolgreiche Frauen herfallen. „Jede von uns hat da ihre Erfahrungen“, sagt sie. Am liebsten würde sie einen guten Teil berechtigter Kritik an ihr – wie den Streit um ihre überdimensionierte Dienstvilla – unter der Rubrik „frauenfeindlich“ abbuchen. Denn: „Männer können sich mehr herausnehmen, ohne Konsequenzen fürchten zu müssen.“ Maria Jepsen will nicht gleiches Recht im Unrecht, sie wehrt sich dagegen, von Männern ausgebremst zu werden. „In Gremien, in denen ich die einzige Frau bin, passiert es mir, daß meine Vorschläge mit teilweise dummen Bemerkungen abgelehnt werden.“
Das führt zu Differenzen zwischen der Kirche und ihren eigenen Ansprüchen. „Die Kirchengesetze sind zwar zum Teil ein hilfreicher Rahmen, aber manchmal auch erschütternde Barrieren.“ Die Bischöfin spricht vom „Koloß Kirche“, den sie bewegen und verändern möchte. „Dabei darf die Institution nicht zum Interessenverein verkommen – sie muß Kirche bleiben mit den Grundlagen des Glaubens und des Evangeliums.“
Manchmal habe sie das Gefühl, für gesellschaftliche Fragen benutzt zu werden. „Da kneife ich nicht, aber ich muß das Problem überblicken.“ Am wichtigsten sei für sie, miteinander zu reden, gerade dann, wenn es schwerfalle, sich ehrlich die Meinung zu sagen. „Ich bin sehr konservativ im Sinne von traditionsbewahrend.“ Erhalten wissen möchte sie den demokratischen Staat, „auch wenn die Frage der Demokratie nicht geklärt ist“. Die bedeutendsten Tugenden sind für sie Verantwortlichkeit und Ehrlichkeit. „Jeder muß sich von seinen Mitmenschen in die Pflicht nehmen lassen.“
Diplomatisch oder taktisch möchte Maria Jepsen auf keinen Fall sein. Ihr Bischofsamt holt sie jedoch immer wieder ein. So hält sie zwar ihren Fahrer an, den Dienstwagen „schöpfungsbewahrend“ höchstens bis Tempo 130 zu bringen, fährt auch selbst nie schneller. Das offizielle Kirchentagsplakat, das sehr an ein Autobahnschild erinnert und damit auch in Zukunft freie Fahrt für den Autoverkehr signalisiert, konnte sie allerdings nicht verhindern. Obwohl sie „erst dagegen war“. Inzwischen findet sie es gar nicht mal so schlecht. „Unser Plakat hat ein Antiplakat von Umweltgruppen provoziert, die ein eigenes Programm auf dem Kirchentag anbieten. Das ist viel wirksamer, als etwas zu verbieten.“
Bischöfin Maria Jepsen balanciert anscheinend zwischen allen Stühlen und sagt dabei selbstbewußt von sich: „Provokation gehört zu meiner Arbeit.“ Eine nur funktionierende Bischöfin sei nicht das, was das Evangelium wolle. Allerdings weiß sie auch, daß sie durch die hohen Anforderungen ständig in Gefahr ist, ihr Amt nur noch zu verwalten. „Manchmal muß ich listig sein, um mir einiges vom Hals zu schaffen.“ Und natürlich, damit ihr die Männeropposition in der Kirche nicht in den Rücken fallen kann. Für viele ist der kleinste Reformschritt schon ein höllischer Marathonlauf.
Maria Jepsen bleibt gelassen. Sie hat den „Zeitgeist“ auf ihrer Seite, und es wird nur eine Frage von vielleicht wenigen Jahren sein, bis ihre Kritiker endgültig verstummen werden. Sie kann warten, schließlich ist sie auf Lebenszeit zur Bischöfin gewählt worden.
Auf dem Kinderkirchentag, der den heute beginnenden Kirchentag der Erwachsenen quasi halboffiziell einläutete, wird die Bischöfin einfach mit „Hallo, Maria!“ begrüßt. Die Kinder beachten sie nicht, sie singen und winken und amüsieren sich prächtig. Neben Maria Jepsen sitzt in der ersten Reihe der katholische Weihbischof von Hamburg. Beide machen die Spiele für die Kinder ein bißchen steif mit, sind so viel Spontaneität nicht mehr gewöhnt. „Jetzt schauen wir auf unsere Hände“, ruft ein Sänger in die Manege – und alle schauen auf ihre Hände. Leise mögen sich die beiden Bischöfe dabei über die Einheit der Kirche unterhalten. „Was könnt ihr noch mit euren Händen machen?“ Die Kinder greifen und klatschen. „Hände können auch lieb sein.“ Das Zelt im Stadtpark wölbt sich vom Lärm der über 2.000 Kinder. „Jetzt streichelt alle mit einer Hand euren Nachbarn.“
Nein, so weit geht die Einheit der Kirche denn nun doch noch nicht. Die Hände der Bischöfe bewegen sich nicht mehr. Maria Jepsen ist keine Revolutionärin.
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