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Imaginärer Architekt

■ Die Kunsthalle zeigt Entwürfe Hermann Finsterlins, der zeitlebens nicht einen seiner Pläne realisieren konnte

Wie Kritzeleien, die Telefonzeichnungen gleichen, sich in Architektur verwandeln können, das zeigt eine kleine, leicht zu übersehene Ausstellung in der Hamburger Kunsthalle. Sie präsentiert Zeichnungen, Aquarelle, Bücher und kleine Objekte des Künstlers Hermann Finsterlin, die der Sammler Siegfried Cremer dem Haus zusammen mit einem Teil seiner Kollektion von Fluxus und Nouveaux Realistes als Leihgabe überließ.

Hermann Finsterlin gilt in der Kunstgeschichte als imaginärer Architekt. 1887 in München geboren, studierte er Chemie, Physik und Medizin, Philosophie und auch noch Indologie. Erst mit 26 Jahren begann er sich an der Akademie mit Malerei zu befassen. So umfassend vorgebildet, erstrebte er für den Rest seines Lebens das Gesamtkunstwerk aus Wort und Bild, Ton und Bau. Ende 1918 träumte er sich in farbig gekurvte Grotten und entwarf Traumhäuser, deren Skizzen er nicht viel später auf Einladung von Walter Gropius auf der „Ausstellung für unbekannte Architekten“ in Berlin und Weimar zeigte. Doch kurz nach dem Krieg gibt es keine Möglichkeiten zur Realisierung, es bleiben Utopien.

Finsterlin schließt sich der von Bruno Taut geleiteten „gläsernen Kette“ an, beteiligt sich an deren Visionen von einem ganz anderen, neuen Bauen. Zwei Jahre standen die zwölf Mitglieder des elitären Kreises, unter ihnen Hans Scharoun, in geheimem Briefwechsel über ihre bewußt imaginäre und sakralisierte Architektur. Mit „kosmischen Spielen“ trug Finsterlin zu deren teils kristalliner, teils organischer Architektur bei. In Aquarellen entstehen aus wolkigen, schwellend plastischen, insektenhaft geschuppten und sexuell aufgeladenen Formen surrealistische Häuser für Künstler und Klöster. Daneben sind kleine Holzmodelle ebenso Spielzeug wie Rüstzeug des phantasievollen Architekten: Da trägt eine Schnecke eine Moschee auf dem Rücken, und die nur wenige Zentimeter großen „Didyms“ nehmen zwischen Manierismus und Bauhaus die Tradition der Formdurchdringungen reiner geometrischer Körper wie Kegel und Zylinder auf. Nach 1926 ändert sich sein Interesse, Malerei und schriftstellerische Arbeit überwiegen gegenüber den Architekturphantasien.

Der Architekt, der nie im Leben auch nur einen Bau realisierte, sah erst in den 70er Jahren eine Annäherung an seine Bauideen: Das aufgefächerte Opernhaus in Sydney und das asymmetrische Dach des Münchner Olympiastadions waren ganz nach seinem Geschmack. Finsterlin erstrebt in seiner Kunst eine „naturgesetzliche Ästhetik“, manche Aquarelle scheinen vage an leicht skizzierte Naturformen früher Beuys-Zeichnungen zu erinnern. An Selbstbewußtsein fehlte es Finsterlin nicht: „Abstrakte Kollegen sehen in mir den kommenden Mann, weil ich absolut totale Malerei, Architektur und Dichtung mache“, sagt Finsterlin noch 1961, zwölf Jahre vor seinem Tod. Alles entsteht ihm aus gegenstandslosen Farb- und Linienspielen, auch eben Architektur. Etwas von dieser Leichtigkeit kann heutigen, in ihre Vorschriften gezwängten Architekten nur wärmstens ans Herz gelegt werden. Hajo Schiff

Hamburger Kunsthalle, bis 16. Juli, Katalog: 16,– Mark.

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