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■ Der beste Riechkolben der Niederlande arbeitet als:Leichenschnüffler vom Dienst

Den Haag (taz) – Der Mann durchstreift aufmerksam Wiesen und Felder. Manchmal stutzt er, betrachtet aufmerksam eine besonders grüne Stelle. Dann sticht er mit einem langen Eisenrohr in den Boden und schnüffelt an dessen Öffnung. Nicht selten findet er auf diese Weise das Grab eines illegal unter die Erde gebrachten Menschen. Wo Leichenhunde und renommierte Ärzte versagen, tritt „Harry the nose“, bürgerlich Leutnant Harry Jongen, auf. Tausende Tote, vor allem aus Kriegszeiten, hat der Leiter des Erkennungsdienstes bei den niederländischen Landstreitkräften inzwischen ausfindig gemacht.

Doch auch für die Polizei des Landes wittert Jongen mit seinem hochsensiblen Riechkolben. In Epe suchte er nach den Leichen von Babys, in Limburg zuletzt nach vermißten Opfern der berüchtigten Bande von Venlo.

Der Armee-Leutnant ist sich seiner Sache jedesmal hundertprozentig sicher, und die vorgefundenen Beweise sprechen für ihn. „Bei der Leichensuche gehe ich in Mordfällen immer nach demselben Verfahren vor. Erst denke ich darüber nach, wo ich als Mörder die Leiche versteckt hätte. Mit meinem gesunden Verstand schaue ich mir dann die Umgebung an. Es verändert sich zum Beispiel die Vegetation an Stellen, wo eine Leiche verscharrt liegt“, sagt Harry Jongen.

Wochenlang durchstreifte er mit trainierten Polizeihunden und Verdächtigen die Provinz Limburg. Insgesamt 23 Verdächtige müssen sich jetzt im größten Mordfall der niederländischen Justizgeschichte für bislang sieben Morde verantworten. „Leichen liefern Humus“, erklärt Jongen seinen Erfolg. „Dadurch grünt die deckende Rasen- oder Weidefläche stark. Oder es schießen dort wegen des Kalziums, der dann im Boden steckt, Brennesseln empor.“

Die zwanzig Suchaktionen verliefen bis auf den Fund einiger loser Knochen jedoch ohne Erfolg. Im Bodenreich machte „Harry the nose“ in Venlo ein Reh ausfindig; das war dann aber auch schon alles. „Irrtümer sind allein möglich bei den Kadavern größerer Tiere. Das Rohr treibe ich erst in den Grund, wenn ich mir einer Stelle sicher bin. Am Widerstand spüre ich sofort, ob ich getroffen habe. Den Unterschied zwischen einer Wurzel, einem Stück Holz oder einer Leiche zu bemerken, ist dabei eine Frage des Gefühls. Das steckt nun einmal in mir. Dann rieche ich an der Rohrspitze. Jede Leiche, wie stark sie auch schon verwest ist, kann ich riechen.“ Nicht ganz ohne Stolz berichtet der Militär, es selbst mit den gemeinhin besten Schnüffelnasen, den Hunden, aufnehmen zu können. Die Hundestaffel der Polizeischule in den Niederlanden werde von ihm mit ausgegrabenen Leichenteilen oder Erde zu Trainingszwecken versorgt. Aber auch dann geschehe es, daß die Hunde nicht die richtige Nase haben. Anfang des Jahres sei Jongen nach Rotterdam gerufen worden. Der vermißte Körper lag unter einer dicken Betonschicht verborgen, wie sich später herausstellte. Während die Hunde nicht „anschlugen“, hatte Jongen längst die Fährte aufgenommen. Löcher, in den Beton eingelassen, bestätigten seine Vermutung.

Seit 26 Jahren steht Leutnant Harry Jongen beim niederländischen Militär in Diensten. Am nützlichsten vielleicht kam sein sinnliches Werkzeug 1993 bei Suchaktionen nach Kriegsopfern im früheren Jugoslawien zum Einsatz. Ein internationales Team erhielt von niederländischer Seite Unterstützung. Mit dabei: „Harry the nose“. „Als die Mannschaft erfolglos wieder nach Hause aufbrechen wollte, suchte ich stechend und riechend weiter. Sämtliche 19 Vermißten konnten wir so doch noch befreien.“ Harald Neckelmann

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