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Özdemir, „der Dolch in unserem Rücken“

„Hürriyet“ hetzt gegen Grünen-Politiker  ■ Von Rüdiger Hartmann

Berlin (taz) – Hürriyet heißt zu deutsch „Freiheit“; es ist die auflagenstärkste türkische Tageszeitung in Deutschland. Mit der Freiheit der Meinung ist es in dem nationalkonservativen Blatt allerdings nicht weit her: Der Leiter der Hürriyet-Auslandsausgabe betreibt in seinen Kolumnen aus Istanbul einen Propagandakrieg gegen den Grünen-Bundestagsabgeordneten Cem Özdemir und seit einer Woche auch gegen die tageszeitung.

Anlaß war ein Interview Özdemirs in der taz, in dem behauptet wurde, der Kolumnist Ertug Karakullukcu sei unter anderem auch dem türkischen Geheimdienst verpflichtet – eine Behauptung, die Özdemir inzwischen dementiert hat und die die taz richtigstellte. Trotzdem ließ es sich Karakullukcu nicht nehmen, eine massive Kampagne gegen Özdemir und die taz zu starten. Zuerst wurde die taz als „die Zeitung der RAFler“ und als „Sprachrohr der PDS“ vorgestellt, um dann in einer Fußnote die Behauptung „Zeitung der RAFler“ – wohl aus Angst vor juristischen Schritten – zurückzunehmen. Die taz hat inzwischen juristische Schritte eingeleitet.

Nach seiner Wahl in den Bundestag wurde Özdemir in Hürriyet zunächst gefeiert. Als er jedoch wiederholt von der offiziellen türkischen Regierungslinie abwich, begann Karakullukcu in seiner ständigen Kolumne Özdemir anzugreifen. Am 16. Dezember 1994 schrieb er unter der Überschrift „Der Dolch in unserem Rücken“: „Was könnte bitterer sein, als sein eigenes Vaterland zu verpfeifen?“ Dabei bezog sich der Kolumnist auf die erste Rede Özdemirs im Bundestag, in der er die Verhaftung kurdischer Abgeordneter kritisiert hatte.

Am 7. Januar 1995 schrieb Karakullukcu diesmal unter der Überschrift „Schon wieder der Fall Cem“: „Özdemir kann oder will folgende Realität einfach nicht begreifen: In der Türkei klagen normale Bürger weder über Menschenrechtsverletzungen noch über Demokratie(defizite), denn sie haben keinerlei Probleme damit. Diejenigen, die diese Themen problematisieren, sind nur die Handlanger der PKK (...) Das alles führt selbstverständlich dazu, daß das türkische Volk fragt: Auf wessen Seite steht dieser Özdemir? Etwa auf der Seite derer, die die Türkei spalten wollen?“

Jeder Kritiker der offiziellen türkischen Politik gerät offenbar in das Schußfeld des berüchtigten Kolumnisten. Obwohl Hürriyet am 22. November 1994 ausschließlich wegen der Kolumnen Karakullukcus vom Deutschen Presserat gerügt wurde, setzt er seine Hetztiraden ungehindert fort.

So beschimpfte er am 21. Mai 1995 („Die Schlange türkischer Abstammung“) alle Türken in Deutschland, die die Menschenrechtsverletzungen in der Türkei kritisierten, als Hirnprostituierte, Scheintürken, niedere Kreaturen, Separatisten und Provokateure. Dabei bezog sich die Überschrift unmißverständlich auf Özdemir, der sich zuvor gegenüber türkischen Presseleuten als „deutscher Abgeordneter mit türkischer Abstammung“ bezeichnet hatte.

Damit nicht genug: Hürriyet machte auch den Onkel Özdemirs in Deutschland ausfindig und ließ ihn in der Ausgabe vom 11. März 1995 über den mißratenen Neffen klagen, dabei wurde Özdemirs Kindheit aufgerollt. In der vergangenen Woche setzte der Kolumnist über Özdemir und zwei JournalistInnen – unter dem Vorbehalt „Was wäre, wenn ich behaupten würde, daß ...“ – diffamierende, sexistische Gerüchte in die Welt, nach dem Motto: „Wenn ich sie mit Schlamm beschmeiße, bleibt sicher etwas an ihnen kleben.“

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