Zwangsurlaub unter Palmen

Die Dominikanische Republik ist zum Domizil zweifelhafter Langzeiturlauber geworden. Im Norden der Karibikinsel ist ein ganzer Ort fest in deutscher Hand  ■ Von Klaus Martens

Zweimal in der Woche öffnen sich auf dem Flughafen von Puerto Plata die Luken der roten Tri-Stars aus Düsseldorf. Auch in diesem Jahr werden es fast 500.000 sein, die für knapp 2.000 Mark zwei Wochen lang in den riesigen Hotelanlagen am Strand der Karibikinsel verschwinden. „Die Dominikanische Republik ist eher eine Gefangeneninsel“, hatte mir jemand in Deutschland gesagt. Dann gab er mir die Mappe mit Schriftstücken und Dokumenten und forderte mich auf, schon am Flughafen von Puerto Plata darauf zu achten, wer aus der langen Schlange der Neuankömmlinge heraustritt und eigene Wege geht.

Während des Flugs kündigt der Mann neben mir an, daß er auf der Insel bleiben werde. Die vielen Dosen Bier, die er während des Flugs in sich hineinschüttet, steigern erheblich seine Bereitschaft, über sich Auskunft zu geben. Nach Long Beach will er. Dort kenne er auch Leute. Er komme aus der Nähe von Stuttgart, wo er einen Computerladen gehabt habe.

„Ich hab' 'ne Menge Geld verdient“, sagt er, „und dann nur noch Pech gehabt.“ Noch vor der Landung erzählt er von seinem Pech. Irgendwann kam man ihm wohl auf die Schliche seiner Schwarzimporte. Zollfahndung und Finanzamt und dann noch seine Freundin, die von ihm schwanger ist. Alles zusammen knapp 300.000 Mark Schulden. „Den Haftbefehl wollte ich nicht abwarten.“

Zwei Stunden später in Long Beach am Stadtrand von Puerto Plata. Schön ist es hier nicht. Eine vierspurige Straße schlängelt sich aus der Stadt entlang des Strands in Richtung Osten. Zur Küste hin reihen sich unzählige Buden, wo es Bier und Fast food zu kaufen gibt. Umsatz wird hier kaum gemacht. Die Urlauber bleiben in ihren Ghettos. Nur wenige kommen abends, weil die Straßenmädchen sehr schön und ganz billig sind. In den Buden wird auf deutsch geflucht. Ein Restaurant auf der anderen Straßenseite heißt Wienerwald, das daneben nennt sich Mozart. Zwei Männer in zerrissenen Hosen setzen sich gerade mit Rum randvoll gefüllte Gläser an den Mund. Das heißt, sie stürzen ihn in sich hinein, und während der eine sich kaum mehr auf dem Hocker halten kann, beschimpft der andere den Kellner und droht, ihm das inzwischen leere Glas an den Kopf zu werfen. Aus seinen Hosenbeinen rinnt Flüssiges und bildet unter seinem Stuhl eine gelbliche Lache. Die Betrunkenen sind Deutsche. Ohne zu bezahlen wanken sie zu einem Pritschenwagen, so einem, auf dem sich die Urlauber über die Insel fahren lassen können. Es braucht drei Anläufe, bis der Wagen endlich startet. Domingo, der dunkelhäutige Kellner, spritzt mit einem Schlauch die bepinkelte Terrasse ab. „Natürlich kenne ich die beiden“, sagt er. „Von denen gibt's hier 'ne Menge. Gleich um die Ecke, in den Kassettas, wohnen noch mehr. Vielleicht hundert Leute. Die meisten kommen aus Deutschland. Ein paar Schweizer und Österreicher sind auch dabei. Es kommen immer mehr, und keiner geht wieder weg. Alles Verbrecher“, sagt er noch. Aber dann winkt er ab. Mehr will er nicht sagen, und zur Erklärung streicht er mit seiner Handkante über den Hals.

Gleich um die Ecke, wo die Küstenstraße landeinwärts abbiegt, stehen kleine Hütten auf einem Grundstück, so groß wie ein Fußballplatz: die Kassettas. Vor jeder sitzen Menschen. Alle sprechen deutsch. Einer heißt Jochen und kommt aus Gummersbach. Seine Kneipe, sagt er, sei irgendwann nicht mehr gelaufen. Pachtschulden zuerst, über das, was dann kam, will er nicht sprechen. Jochen ist seit drei Monaten in Puerto Plata und sieht ziemlich fertig aus. Seine helle Haut verträgt die Sonne nicht. Die roten Haare hat er seit Tagen nicht gewaschen; sie kleben an seiner Stirn. Drei Monate und immer noch ohne Residencia, die Aufenthaltserlaubnis, die einer wie er nur illegal kaufen kann. Aber Jochen hat keinen Job und kein Geld. „Ich hab' mich beworben bei einem, der hat fünf Geländewagen und macht Tagesausflüge für Touristen. Karl Berner heißt der, auch ein Deutscher.“ Neben Jochen sitzt eine Dominikanerin, seine Freundin. Sie ist eine Schwarze, so eine, von denen die Einheimischen sagen, sie stamme wohl aus Haiti, dem verhaßten Nachbarstaat, wo alle viel schwärzer sind als in der Dominikanischen Republik. Sie ist vielleicht 20 Jahre alt und hat in einer der Kassettas ein Zimmer.

„Solang ich keinen Job habe, wohne ich bei ihr“, sagt Jochen. Das schwarze Mädchen versteht kein Wort.

Aus der Hütte kommt ein Mittvierziger, lichtes, blondes Haar, Franz heißt er und spricht hessischen Dialekt. Er kennt den Mann, der da eben vor dem Restaurant auf die Terrasse gepinkelt hat. „Christian trinkt ein bißchen viel, ist aber in Ordnung. Der repariert die Autos vom Berner.“ Auch Franz ärgert schon mal die Dominikaner, lieber noch die Dominikanerinnen. Neulich habe er eine Braut mit aufs Motorrad genommen, eines von den Mädels, die abends an der Küstenstraße stehen. „Danach hab ich ihr was gegeben, sah aus wie ein Travellerscheck. Als sie frech wurde, hab' ich sie zum Teufel gejagt.“ Jochen grinst zustimmend. Auch seine schwarze Freundin lacht. Sie versteht kein Wort. Gerade fährt ein Geländewagen vorbei. „Karl Berner“, murrt einer in sich hinein, und Franz sagt zu Jochen: „Da fährt deine Residencia.“

Das Haus von Karl Berner liegt in einer Villengegend, einen Steinwurf von den Kassettas entfernt. Auf dem Dach steht eine Satellitenschüssel von gigantischem Ausmaß. Das Haus ist mit einer Mauer vollständig abgeschottet. Auf der Mauer ist Stacheldraht gespannt, der elektrisch geladen ist. Berner hat sein Haus vor Jahren von einem Mann mit dominikanischem Paß gekauft. Sein Name: Germann Dorre. Der Paß hat die Nummer 50133. Germann Dorre aber heißt in Wirklichkeit Hermann Rapold, ist Schweizer und wird international gesucht wegen Hehlerei, Autodiebstahl, Betrug. Als im September 89 Eduard Zimmermanns „XY ungelöst“ Rapolds Fahndungsfoto den deutschen Fernsehzuschauern zeigt, flüchtet er in die Dominikanische Republik. Auch Rapold braucht eine Aufenthaltsgenehmigung, eine Residencia, und Berner besorgt sie ihm. Eine Kleinigkeit für Berner, denn seine Frau, eine dominikanische Rechtsanwältin, hat beste Kontakte zu Behörden und Polizei.

Ich frage ihn, ob er mir auch eine Residencia verkaufen könne. Rapold habe doch auch eine von ihm bekommen. „Der Rapold ja, den kenn' ich“, sagt er. Er habe ihn lange nicht mehr gesehen. Aber mit der Aufenthaltsgenehmigung habe er überhaupt nichts zu tun. Aber da ist die Erklärung von Rapold, in der er bestätigt, daß „Karl Berner, wohnhaft in Puerto Plata, calle Hermanos Spignilio, an der Fälschung meiner Residencia beteiligt war“. Berner liest die Erklärung und kriegt augenblicklich einen Wutanfall, will wissen, woher das Papier stammt. Er verdächtigt „das Pack in den Kassettas. Die kommen alle nur zu mir, um einen Job zu kriegen, und dann fahren sie mit besoffenem Kopf meine Touristen durch die Gegend.“ Berner hat es hier zu was gebracht. Täglich fahren seine Jeeps zu den Hotels und chauffieren die Touristen über die Insel.

Auf die Frage, wie das denn damals mit Gustav Ackermann gewesen sei, stürzt er aus dem Haus, steigt in einen seiner Jeeps und rast davon. Am Rande von Puerto Plata auf einer Anhöhe liegt der Friedhof. Hier hat sich seit Jahren kein Deutscher mehr sehen lassen. Aber alle kennen den Namen, der zu der kleinen Grabplatte gehört, die das üppig wachsende Grün längst überwuchert hat: Gustav Ackermann.

Im Dezember 1990 flog Ackermann zum letzten Mal in die Karibik. Bis dahin war der Schweizer Jahr um Jahr für ein paar Monate in Puerto Plata. In jenem Dezember brachte er eine Menge Geld mit: 50.000 Franken. Ackermann wollte bleiben und ein Haus kaufen. In der Villa von Berner mietete er sich ein und wurde krank. Typhus, diagnostizierte ein Arzt. Nach kurzem Krankenhausaufenthalt wohnte er wieder in seinem angemieteten Appartement. Ein Freund, der ihn besuchte, sagt, es sei ihm wieder besser gegangen. „Gustav saß am Tisch und aß wieder. Komisch war nur, daß er sich über den Beigeschmack im Essen beklagte. Einen Tag später war er tot.“ Eigenartig auch, daß der einheimische Arzt „Tod durch Herzstillstand“ attestiert habe und dennoch eine Obduktion anordnete. Doch sei die nie durchgeführt worden. Zehn Stunden nach seinem Tod wurde er begraben. „Für hiesige Verhältnisse völlig unnormal. Wegen des tropischen Klimas begräbt man hier die Toten zwar schnell, nicht aber am Todestag.“ Die 50.000 Franken tauchten nie mehr auf, wohl aber sein auffälliger Siegelring. Den trägt jetzt einer, der in Wiesbaden wohnt, dem Heimatort von Berner, und der habe auch mit Hilfe seiner dominikanischen Frau für die eilige Bestattung gesorgt. Mit einem Haftbefehl der Freiburger Staatsanwaltschaft fahre ich nach Juan Dolio. Hier betreibt Bernd eine Tauchschule. Von der DIWA, der Diving Instructor World Association, hat er vor kurzem einen Brief erhalten. Der Tauchlehrerverband wirft ihm Fälschung von Zeugnissen und Betrug an seinen Schülern vor.

„Wären Sie hier in Deutschland, hätte ich Ihnen längst die Tauchlehrerlizenz entzogen“, heißt es in dem Schreiben. Die Tauchkurse, die er veranstaltet, sind nichts wert, die Zeugnisse ungültig. Bernd ist seit fünf Jahren in der Dominikanischen Republik. Ich frage ihn, ob denn hier keiner was von Lukas Bernd weiß. Er stutzt, gibt aber sehr schnell zu, daß dies sein richtiger Name ist. Ich zeige ihm den Haftbefehl der Freiburger Staatsanwaltschaft, in dem ihm vorgeworfen wird, Aussiedler aus Rußland zum „Hauserwerb geworben“ und anschließend „um ihre Ersparnisse zum Kauf der Häuser geprellt“ zu haben. Lukas bleibt auffällig gelassen und erzählt, wie er sich mit der „vergleichsweise geringen Summe Geld“ (ca. 200.000 Mark) in die Karibik abgesetzt hat. Abgehauen sei er damals, weil man ihm in Deutschland nie die Chance gegeben hätte, noch einmal neu anzufangen. Einlochen lassen wollte er sich wegen dieser Geschichte natürlich nicht. Da sei ihm die Dominikanische Republik gerade recht gekommen. „Von hier wird keiner ausgeliefert, weil es mit der Bundesrepublik kein Auslieferungsabkommen gibt.“ Plötzlich steht Lukas auf und geht in eines der Nebenzimmer. Ohne ihn zu verstehen, kriege ich mit, daß er telefoniert, und als er wieder zurückkommt, fragt er, ob ich die Informationen aus den Kassettas von Puerto Plata habe. Noch ehe ich antworten kann, wettert er über die „Neider aus den Kassettas“. Nicht mal in Deutschland gebe es so viel Mißgunst wie hier. Er sei einer der wenigen, die es zu was gebracht haben, „und die in Puerto Plata gönnen einem so was nicht“. Bevor ich gehe, frage ich ihn noch, ob er gerade mit Berner telefoniert habe. Er hat.

Seit dem Treffen mit Berner und Lukas spricht keiner aus den Kassettas mehr mit mir. Wie jeden Nachmittag sitzen sie vor ihren Hütten, teilnahmslos und doch so, als warteten sie auf jemanden, der sie aus ihrer armseligen Langeweile holt. In Wirklichkeit wollen die meisten zurück nach Deutschland. Aber weil das in fast allen Fällen bedeuten würde, sich der Polizei zu stellen, bleiben sie.

Am Flughafen von Puerto Plata, kurz vor dem Rückflug, telefoniere ich mit dem Hotelier, bei dem ich eine Woche lang gewohnt habe. Die Polizei sei gerade hier gewesen, sagt er, und habe mich verhaften wollen. Irgend jemand hat mich wegen Hausfriedensbruch angezeigt.