: „Nichts für Leute aus dem Ausland“
Beim bosnischen Sturm gegen die Serben um Sarajevo sind UNO und Presse unerwünscht ■ Aus Kiseljak Erich Rathfelder
Der Posten reagiert harsch. „Hier ist Kriegszone, da können Sie nicht weiter“. Und er deutet auf den Horizont in Richtung Sarajevo, das von hier aus gerade 15 Kilometer entfernt hinter dem nächsten Hügel in einem Talkessel liegt. Als sollten seine Worte bestätigt werden, sind mehrere dumpf klingende Schläge zu hören. Es ist die Artillerie der kroatisch- bosnischen Miliz HVO, die hier an diesem Frontabschnitt zusammen mit den bosnischen Regierungstruppen zur Befreiung Sarajevos angetreten ist. Offenbar werden von diesen nahegelegenen Stellungen der HVO die serbischen Positionen um die Sarajevo vorgelagerten Kleinstädte Vogosca und Ilidza beschossen.
Es ist nichts zu machen. Näher dürfen die Journalisten nicht an die Frontlinie heran. Der Posten bleibt hart, auch nachdem er alle nötigen Papiere und Presseausweise studiert hat. „Wir haben strikte Anweisungen, niemanden in die Kriegszone zu lassen. Das gilt für Journalisten, UNO-Mitarbeiter und die militärischen Beobachter.“ In einem nahe gelegenen Café sitzen einige Soldaten der HVO und schmunzeln. „Das ist nichts für Leute aus dem Ausland“, sagt einer. „Wir befreien Sarajevo selbst.“
Und damit gibt der Mann, der am Abend wieder an der Front sein wird, die Stimmung nicht nur in der kroatisch dominierten Region um Kiseljak an. Auch in den von der bosnischen Armee kontrollierten Zonen Zentralbosniens wird die Rede des bosnisch-herzegowinischen Präsidenten Alija Izetbegović, die er am Donnerstag abend gehalten hat, zustimmend zitiert. „Wir befreien jetzt Sarajevo“, sagt eine Frau in Kladanj, die mit ihrem kleinen Kind im Arm Zwiebeln aus ihrem Garten nach Hause schleppt. Ihr Mann sei auch dabei, er sei erst vor einigen Tagen mobilisiert worden. Sie habe Angst um ihn, doch bleibe nichts anderes übrig, als jetzt anzugreifen. „Die UNO wird das niemals tun, also müssen wir jetzt selbst ran. Sollen denn die Menschen in Sarajevo ewig eingesperrt bleiben?“
Kladanj, das im Tal der Bosna liegt, ist 20 Kilometer von Visoko entfernt – dem Ort, wo die Truppen der bosnischen Armee sich konzentriert haben, da es nahe der bisherigen Frontlinie liegt. Auch hier ist an ein Durchkommen an die Front nicht zu denken. Systematisch sind alle Straßen abgesperrt. Der Unterschied zu dem kroatischen Posten ist nur, daß die bosnisch-muslimischen Soldaten höflich und zuvorkommend sind. Überall sind Vorsichtsmaßnahmen für etwaige Gegenmaßnahmen der Serben getroffen. „Wir fürchten, daß sie mit Raketen antworten“, erklärt der Wirt eines Cafés, „diese Splitterbomben, wie sie in Zagreb und Tuzla eingesetzt waren.“ Die Tische und Stühle sind von der Straße weggeräumt. Nur in den Innenräumen wird der bosnische Kaffee gereicht. „Ab heute morgen kam der Aufruf, sich möglichst wenig im Freien zu bewegen.“
In der Tat sind heute auf der sonst relativ belebten Straße von Kladanj nach Zenica nur wenige Autos anzutreffen. An dem grünlich schimmernden, wegen der Regenfälle der letzten Woche angeschwollenen reißenden Fluß vermitteln die Angler und Radler ein friedliches Bild. Doch allgemein herrscht eine gespannte Ruhe, die manchmal durch das Dröhnen von Militärfahrzeugen, die mit hoher Geschwindigkeit die Straße entlangdonnern, unterstrichen wird. In der Großstadt Zenica sind nur wenige Passanten unterwegs. Die Leute haben den Aufruf ihrer Regierung, in ihren Wohnungen zu bleiben, offenbar weitgehend befolgt.
Auch am Hauptquartier der bosnischen Regierungsarmee in Zenica herrscht Ruhe. Das Kommandozentrum ist offenbar verlegt worden. Niemand will sich sprechen lassen. „Warten Sie ein paar Tage ab“, bedeutet ein Presseoffizier. Nur wenige Bekannte sind in der Stadt, die meisten sind für die Armee mobilisiert. Der Pressemensch Fikret ist mit einer Spezialaufgabe betraut. Er hat nur wenig Zeit, und eigentlich dürfte er überhaupt nichts sagen. „Nur soviel: Wir greifen von drei Seiten den serbischen Belagerungsring um Sarajevo an. Von Breza im Nordosten, von Visoko und Kiseljak im Norden und vom Berg Igman im Westen. Unsere Offensive im Treskavica-Gebirge geht ebenfalls voran. Wir können vielleicht die Enklave Goražde erreichen.“
Die Aktion zur Befreiung Sarajevos hätte eigentlich viel später, erst im August stattfinden sollen, erklärt Fikret. „Wir sind aber durch den Aufmarsch der britischen Truppen dazu gezwungen worden.“ Wurde mit dem Aufmarsch der britischen, französischen und niederländischen Schnellen Eingreiftruppe in Bosnien die Aktion der bosnischen Armee und der HVO forciert? „Die Angreiftruppen wollen zwar einen Korridor nach Sarajevo sichern, aber sie wollen auch die Kontrolle darüber. Sie hätten Sarajevo dann vollständig in der Hand.“ Und das könne die bosnische Regierung nicht zulassen, denn die UNO habe sich zu oft als zu nachgiebig und als erpressbar gezeigt. „Sie haben ja in den letzten Monaten sogar die Namenslisten der Besucher Sarajevos an die Karadžić-Serben weitergegeben.“ Letztlich wollten sie die bosnische Armee in Sarajevo entwaffnen.
Im Tal der Lasva, wo die Städte Vitez und Travnik liegen, herrscht ebenfalls gespannte Ruhe. Hier beherrschen UNO-Fahrzeuge das Straßenbild. Denn in Vitez ist die größte Basis der britischen UNO- Truppen anzutreffen. Schützenpanzer und Lastwagen bewegen sich in beiden Richtungen. „Die Unprofor ist aktiv“, lacht ein Tankwart. „Wer weiß, warum die wieder rumfahren, die machen doch sowieso nichts.“
Verärgerung ist auch ins Gesicht von Major Betty Dawson geschrieben. „Unsere Bewegungsfreiheit ist ernsthaft eingeschränkt. Die bosnische Armee hat 28 Kontrollpunke um das Kriegsgebiet geschaffen. Sarajevo ist seit heute auch für uns völlig abgesperrt.“ Die britischen UNO-Truppen würden wie alle UNO-Truppen abwarten. Wenn die Stellungen in und um Sarajevo herum jedoch von irgendeiner Seite, auch von der bosnischen, angegriffen würden, wären diese Truppen angewiesen, zurückzuschießen, erklärt die britische Soldatin.
Im Fernsehen des Pressebüros erscheint das Gesicht des bosnischen Serbenführers Radovan Karadžić. Fahl ist er, und die Nervosität steht ihm ins Gesicht geschrieben. Sein sonst überbordendes Lächeln ist verschwunden. „Wir werden Vibosca niemals aufgeben!“ erklärt er trotzig. Unter Journalisten werden Wetten angenommen: Die Schätzungen, wann Sarajevo befreit wird, reichen von drei Tagen bis zu drei Monaten.
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