piwik no script img

Genetik statt Kondomkunde

■ Studie: Noch immer werden Jugendliche im Sexualkundeunterricht kurz gehalten

Wie benutze ich ein Kondom? Ist Selbstbefriedigung normal? Bin ich mit 17 noch zu jung, um mit meinem zu Freund schlafen? Was ist Homosexualität? Fragen über Fragen, mit denen Jugendliche im Sexualkundeunterricht noch immer allein gelassen werden.

Das ist jedenfalls das Ergebnis eines Forschungsprojektes der Universität Bremen, das den Einfluß schulischer Sexualerziehung auf das Wissen von Jugendlichen und ihre Einstellung zur Aids-Präventation untersucht hat. Unter der Leitung von Professor Petra Milhoffer interviewte die Erziehungswissenschaftlerin Dr. Renate-Berenike Schmidt 50 SchülerInnen zwischen 16 und 18 Jahren mit einem Abstand von eineinhalb Jahren, um die Entwicklung der Jugendlichen zu beobachten.

Das Ergebnis ist niederschnetternd: Anstatt Themen zu behandeln, die den SchülerInnen unter den Nägeln brennen, referieren die LehrerInnen in Biologie lieber über Genetik oder die Hypophyse, jene Gehirndrüse, die für den Hormonhaushalt von Bedeutung ist. Allenfalls lassen sich die Lehrkörper noch zu einer Diskussion über den Abtreibungs-Paragraphen 218 hinreißen. Das war's. In der 11. bis 13. Klasse – wenn es am wichtigsten wäre – wird das Thema Sexualität so gut wie nicht mehr behandelt.

Homosexualität wird oft nur im Zusammenhang mit Aids erwähnt. Die Schüler und Schülerinnen lernen nur, daß Homosexualität unter Männern ein besonders hohes Risiko einer HIV-Infektion mit sich bringt. Zwar wissen die SchülerInnen auch, daß sie sich durch Kondome vor der Krankheit schützen können, doch in der Praxis hapert es. Technische Probleme bei der Handhabung werden im Unterricht nicht besprochen – der Unterrichtsstoff ist eher abstrakt gehalten. Ein hölzerner Penis, über den die Schüler ein Kondom rollen könnten, hat Seltenheitswert. Eher unsicher im Umgang mit dem Glibber-Gummi, lassen die Jugendlichen das Kondom mitunter deshalb lieber in der Tasche stecken. Zwar wird beim ersten Geschlechtsverkehr heutzutage häufiger ein Kondom benutzt als es früher der Fall war, aber die Jugendlichen steigen sehr schnell auf die Pille um.

Die Angst vor der Immunschwäche Aids treibt aufgrund der mangelnden Information seltsame Blüten. „Ein Jugendlicher war zunächst richtig panisch, nachdem er ohne Kondom mit einem Mädchen geschlafen hatte. Als er dann keinen Haarausfall bekam, beruhigte er sich wieder und verzichtete auf den Aids-Test“, erzählt Dr. Renate-Berenike Schmidt. Gerade bei der Aidsaufklärung läge noch einiges im argen.

„Die Jugendlichen verfügen über eine solides Halbwissen“, resümiert Dr. Renate-Berenike Schmidt. Was sie wissen, haben sie jedoch eher aus der Jugendzeitschrift „Bravo“ als von den LehrerInnen erfahren.

Die wiederum haben einen schweren Stand. Zwar steht ihnen genügend Unterrichtsmaterial zur Verfügung, doch ansonsten müssen sie selbst sehen, wie sie das Thema an den Mann oder die Frau bringen: Auf Fortbildungsseminaren steht das Thema nicht auf dem Programm, sagt die Wissenschaftlerin. Um nicht mit hochroten Kopf vor den SchülerInnen zu stehen, wenn es Gelächter gibt, beschränken sie sich lieber auf die Hypophyse – da kann nichts schiefgehen.

Dabei hat die Untersuchung gezeigt, daß die Jugendlichen unbedingt wissen wollen, ob ihre Wünsche, Bedürfnisse und Ängste „normal“ sind, und ob sie im sexuellen Beisammensein denn auch alles „richtig“ machen.

„Die Sexualerziehung an den Schulen ist seit Mitte der 70er Jahre in einen Dornröschen-Schlaf versunken“, moniert Dr. Schmidt. „Die Lehrer müssen wieder lernen, mehr auf das zu hören, was die Schüler wollen. Sie müssen sich wieder trauen, Themen aufzugreifen, auch wenn gelacht wird und die Schüler albern werden.“ Denn hinter dem Gelächter verberge sich neben der Verlegenheit vor allem eins: Interesse. kes

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen