: Operation Stadtbahn: Narkose verlängert
■ Die S-Bahnsanierung zwischen Zoo und Ostbahnhof dauert länger und wird teurer / Munitionsfunde und Fehlplanungen
„Es dauert länger, bis die Stadtbahn aus der Narkose erwacht“, vermeldet seit Anfang dieser Woche der Baumaulwurf von den Plakatwänden. Und das nicht ohne Grund: Die Sanierung des S-Bahnviadukts zwischen Bahnhof Zoo und Ostbahnhof wird mehr Zeit und Geld als ursprünglich geplant kosten. Mit der Fertigstellung der 8,8 Kilometer langen S-Bahntrasse rechnet die Deutsche Bahn AG erst im Spätsommer 1996. Vorgesehen war die Inbetriebnahme der Strecke für die Stadtbahnen ursprünglich ein halbes Jahr früher.
Außerdem werden sich die Kosten für das 250-Millionen-Mark- Projekt zur Modernisierung der S-Bahngleise, Brücken und Bahnhöfe um etwa 10 bis 15 Millionen Mark erhöhen, sagte gestern der Berliner Bahnchef Werner Remmert. Die drei S-Bahnhöfe Jannowitzbrücke, Bellevue und Tiergarten blieben länger geschlossen, Fahrgäste müßten bis zum Abschluß der Baumaßnahmen mit dem Schienenersatzverkehr Vorlieb nehmen.
Die Ursachen für die Verzögerungen sowie die Mehrkosten liegen nach Ansicht Remmerts in „nicht verhersehbaren Problemen“. Zum einen hätten Munitionsfunde den Abtransport von 92.000 Tonnen Schotter, 26.000 Schwellen und Gleisen zeitlich behindert. Zum anderen müßten Teile des Viaduktbereichs neu vermessen werden, weil Bauunterlagen und Dokumente fehlten.
Hinzu kommt, daß die Bahnbauer nicht sorgfältig genug planten: Statt das siebzig Jahre alte Viadukt genau zu prüfen, stellt sich nun heraus, daß sein Zustand „vielfach schlechter ist, als angenommen“, so Projektleiter Arthur Franz. Zwei Brücken – am Reichstagsufer und die Brücke Alt- Moabit – müßten neu gebaut werden, für etliche der insgesamt 35 Brückenkonstruktionen seien statische Nachberechnungen nötig. Franz: „Das kostet Zeit und Geld.“ Franz kalkulierte dafür weitere 5 bis 6 Millionen Mark.
Verzögerungen gibt es deshalb auch bei der Modernisierung der parallel zur S-Bahn verlaufenden Fernbahngleise. Die Restaurierungsarbeiten der Fernbahngleise sowie der Bahnhöfe Friedrichstraße und Alexanderplatz seien „ohne Zeitverzögerungen nicht zu machen“, bedauerte Werner Remmert. Diese Baumaßnahmen könnten frühestens Ende 1997 abgeschlossen sein. Für Berlin-Reisende bedeutet dies, daß ihre Zugfahrten sechs Monate länger am Bahnhof Zoo beziehungsweise am Ostbahnhof enden. Zwischen beiden Haltepunkten geht seit 1994 nichts mehr, weil die S-Bahn auf den Fernbahngleisen fährt.
Aber auch hier wurde bei der Planung geschlampt: So müssen die Abstände der Fernbahngleise neu berechnet werden. Da zwischen zwei aneinander vorbeifahrenden ICE-Zügen lediglich ein Abstand von 2,5 Zentimeter frei bliebe, so Franz, „müssen wir nun zur Sicherheit auf größere Distanz gehen“. Ein IC-Fahrgast, der seinen Kopf aus dem Fenster hielte, könnte diesen verlieren.
Im Zuge der Stadtbahnsanierung werden auch die Bahnhöfe Friedrichstraße und Alexanderplatz umgebaut. Hier läuft ebenfalls nicht alles nach Plan. Vor allen der Bahnhof Friedrichstaße müsse wegen der „maroden Bausubstanz“ total entkernt und umgestaltet werden, sagte Franz. Kein Hausarzt helfe hier, nur noch der Spezialist, meint dazu der Baumaulwurf. Und der Patient sowie die Fahrgäste leiden. Rolf Lautenschläger
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen