: Tragödie der Stellvertreter
■ Bedrückend: Die University Players mit Mamets „Oleanna“
Früher hätte die Geschichte zum Techtelmechtel geführt: Die junge Studentin Carol will mit ihrem Pädagogik-Professor über ihre schlechte Note sprechen. Sie ist hilflos, ungeduldig und wütend. John, der Karriere-Wissenschaftler, glaubt ihr Problemchen mit Common sense lösen zu können und doziert, tröstet, charmiert. Aber macht er ihr dabei auch ein Angebot auf notenbessernden Beischlaf?
Aus dieser zweideutigen Situation entwickelt sich in David Mamets Stück Oleanna, das in den USA der 90er Jahre spielt, eine Tragödie. Die University Players zeigten in ihrer Premiere am Montag die unversöhnlichen Positionen dieses gesellschaftlichen Konflikts, in dem es um die Trümmer einer verlorenen Moral geht. Im Bewußtsein allgemeiner Ungerechtigkeit startet Carol den Feldzug gegen John: den Angriff auf seine moralische Integrität mit einer Mischung aus zutreffenden und erfundenen Anschuldigungen, die bis zur Vergewaltigung reichen. Die Verfolgung mit den Mitteln der Political Correctness beginnt. Die Machtverhältnisse verkehren sich im Spiel der instrumentalisierten Worte. Keiner wird gewinnen.
David Mamets Stück wird von der Sprache getragen, oder genauer: von der Konfrontation der rhetorischen Angriffe. Sein Wortwitz überbrückt sogar psychologische Unglaubwürdigkeiten, wie etwa die Wandlung Carols vom Jeans-Mädchen zur ideologisch geschulten Anklägerin im Blazer.
Stefan Grunds Inszenierung ist nicht durch Humoriges gemildert - noch durch moralisierende Deutung verdaulicher bereitet. Bei aller unerträglichen Arroganz und Selbstgefälligkeit (wunderbar blasiert: Mark Lyndon), sind Johns Individualismus und sein Glaube an die Freiheit von Gedanke und Sprache sympathisch. Bei aller vulgär-ideologischen Roheit Carols (einfach überzeugend: Nora Farell) ist ihre Entrüstung plausibel.
Der Zuschauer ist Zeuge eines Stellvertretergefechts - und wird in Beklommenheit entlassen. Schade, daß der Verlag den University Players die weitere Aufführung untersagt hat. Hilmar Schulz
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