: Beliebt wie Fußball und Capoeira
■ Morgen beginnt das privat finanzierte Discover-Festival im Tempodrom, u. a. mit den Blocos Afros
In diesem Jahr habe man den Jazz mit einbezogen, erläutert der künstlerische Leiter Frank Abraham das „Risikospiel“, das die „kleine“ Agentur Transatlantico von morgen bis zum 30. Juni mit dem Discover-Festival im Tempodrom veranstaltet. Immerhin hat man die beiden Vorgängerfestivals „Africa meets America“ (1993) und „Fiesta Brasiliana“ (1994) in diesem Sommer damit auf eine Woche aufgemotzt. Wenn hierbei jedoch von „Black Music“ als Schwerpunkt die Rede ist, dann hat das weniger mit der afroamerikanischen Musiktradition zu tun als mit den Sounds und Tänzen der Blocos Afros — brasilianischer Kulturgruppen, die in den Armenvierteln Salvadors an der Reafrikanisierung des Karnevals arbeiten. Sie sollen mittlerweile für die schwarzen Jugendlichen ähnlich attraktiv wie Fußball oder Capoeira sein. Bands wie Timbalada und Olodum (beide 28. 6., 19 Uhr) werden im Rahmen von Discover diese Szenen repräsentieren. Olodum, Ende der 70er Jahre als Afrobloc, als schwarze Karnevalsorganisation, gegründet, wartet alljährlich beim Karneval von Bahia mit panafrikanischen Themen auf, ihre Trommeln und Kostüme sind in Grün, Rot, Gelb und Schwarz gehalten. Sie verehren Nelson Mandela und Samora Machel, bereiten die antike Geschichte Ägyptens und Madagaskars in ihren Liedern auf und thematisieren die aktuellen Probleme der afrobrasilianischen Bevölkerung.
„Wir sind eine Gruppe von Schwarzen und Mischlingen, und wir wollen Zutritt und Mitarbeit von Weißen. Wir wollen nicht unsererseits einen schwarzen Rassismus aufbauen“, sagt Jorge Luiz Fernandez, Direktoriumsmitglied von Olodum, unter dessen Namen längst nicht nur die Band firmiert, sondern ein Verein von 3.000 Mitgliedern, eine Fabrik für Karnevalsbedarf, Werkstätten, Läden, ein Verlag und eine alternative „Kreativ-Schule“ für 350 Kinder, die zum Teil aus den Gagen der Band finanziert wird.
„World Music“ klingt zahnlos und wabbelig
Der „Mastermind“ der Timbalada-Band, Carlinhos Brown, der seinen Godfather-Nachnamen von seinem afroamerikanischen Vorbild übernommen hat, verweigert sich der Rolle des perkussiven Exoten im World Music Business ganz entschieden. Für ihn ist „World Music ein aggressives Etikett für alle Musiken der Welt — solange sie nicht amerikanisch sind. Der Ausdruck World Music klingt wie eine zahnlose, wabbelige Sache, wie eine Sache der Armen. Das hat mit unserer Musik nichts zu tun.“ Zweifellos muß ein rein kommerzielles Festival wie Discover mit zugkräftigen Highlights aufwarten, wenn es gegenüber den zahllosen kleinen Subventionsfestivals bestehen will. Sponsorengelder fließen zudem nur spärlich und rechnen sich selten gegenüber dem höheren Aufwand, den ein solches Festivalprojekt verschlingt. Zu dieser Mainact-Kategorie gehören eindeutig Musiker wie Gilberto Gil (27. 6., 19 Uhr) und Youssou N' Dour (29. 6., 20 Uhr), die beide in Berlin ihre diesjährige Europa-Tournee beginnen. Im Jazzkontext gibt es zum Festivalauftakt zunächst zwei bewährte Dancefloor-Acts aus der Heimat, Tab Two und Jazzkantine (23. 6., 19 Uhr) sowie Soul grooves aus dem Former-United-Kingdom der Nach-Acid-Phase mit Incognito, die hier ihre gerade erschienene CD „One Hundred And Rising“ vorspielen werden (30. 6., 19 Uhr). Berlin-Premiere hat auch das ambitionierte Crossover-Projekt Buckshot LeFonque, das derzeitige Pseudonym für die kommerzielle Seite des Saxophonisten Branford Marsalis, welches früher einmal bereits von Cannonball Adderley für ähnliche Zwecke verwendet wurde.
„Es ist kein Jazz, kein HipHop“, kommentiert Marsalis zwar die Buckshot-LeFonque-CD, die er zusammen mit DJ Premier fertigte. Aber wenn das darauf enthaltene „Some Cow Fonque“ live nur halbwegs so gut kommt wie von CD, dann hat es sich schon gelohnt, sich Samstagabend vor der Abendkasse zu schlängeln. Wer allerdings nicht auf Reichstags-Voyeurismus und den Folgen steht, sollte sich besser im Vorverkauf eindecken... Christian Broecking
Discover-Festival vom 23.6. bis 30.6. im Tempodrom, In den Zelten, Tiergarten
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