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Deutschland vor neuer Mülldiplomatie

Chancen für ein Totalverbot für Giftmüllexporte aus der EU stehen wieder besser / Auch Wirtschaftsministerium will inzwischen mitziehen / Nur BDI mauert noch  ■ Von Andreas Bernstorff

Deutschland war in den achtziger Jahren und bis zum Jahr 1992 der größte und skrupelloseste Giftmüllexporteur weltweit. Das deutsche Abfallrecht erlaubte den Müllschiebern, auch noch den schwersten Giftcocktail zu „Wirtschaftsgut“ umzuwidmen. Man brauchte nur einen Partner im Süden oder östlich von Polen, der die Verwertungs- oder Recyclingabsicht bescheinigte.

Doch die jahrelange intensive Kampagne gegen diese skrupelose Praxis hat mittlerweile erstaunlich viel bewirkt. Seit Ende 1992 geben die Bundesländer keine Exportgenehmigungen mehr für Giftmülltransporte in die Dritte Welt und nach Osteuropa. Und eine neue EU-Verordnung verbietet seit Mai 1994 auch förmlich den Giftmüllexport „zur Beseitigung“ in Nicht- OECD-Staaten. Weiterhin erlaubt sind nur die „Recycling“-Projekte fern der Heimat. Auf „illegale Abfallverbringung“ steht in Deutschland jetzt Gefängnis. Müllexporte haben deutlich abgenommen.

Die Vertragsstaaten der Basler Konvention zur Kontrolle weltweiter Giftmüllgeschäfte gingen 1994 in Genf noch weiter. Exporte von Giftmüll in Nicht-OECD- Staaten, auch „zum Recycling“, sollen ab Januar 1998 generell verboten sein. Zwar haben alle EU- Staaten dem Abkommen offiziell zugestimmt, aber hinter den Kulissen versuchten nicht nur deutsche Firmen, den Beschluß gleich wieder zu kippen: „Gefährliche Abfälle“ seien nicht praktikabel definiert, hieß es da. Bilaterale Staatsverträge könnten doch garantieren, daß in den Importstaaten keine Schäden verursacht werden, das Totalverbot werde immense Zusatzkosten für die deutsche Industrie verursachen.

Vor allem der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) agiert gegen die Konvention. Ein Dortmunder Verein, „Gesamtverband Metalle e.V.“, führt dem BDI die Feder, dieser dem Bundeswirtschaftsminister, und dieser kungelt Staatsverträge mit Weißrußland, Bulgarien und Südafrika aus. Gewinn, sprich eingesparte Entsorgungskosten, für die deutsche Volkswirtschaft: vielleicht zehn, vielleicht ein paar mehr Millionen Mark – echt peanuts. Und dafür soll ein völkerrechtlich bedeutsames Umweltabkommen ausgehebelt werden?!

In der Wirtschaft hat sich der Wind inzwischen gedreht: Deutsche Entsorgungsplaner haben gegen den Widerstand der Umweltbewegung Überkapazitäten zur Müllbehandlung von bis zu 30 Prozent aufgebaut – und die wollen jetzt bedient werden. Noch 1994 hat Greenpeace Klaus Töpfer gequält mit Rücktransporten deutschen Giftmülls aus Ägypten, Indonesien, Rumänien, Ukraine, Ungarn und Albanien. Heute reißen sich Verbrennungs- und Recyclinganlagen und Deponiebetreiber um Giftmüll und betreiben das Greenpeace-Geschäft der vergangenen Jahre: Exporte zu verhindern.

Auch die großen Verbände, VCI, DIHT und die Entsorger haben sich längst aus der Opposition gegen Exportverbote verabschiedet. Und die Beamten der Bundesumweltministerin Angela Merkel sehen auch nicht mehr recht ein, warum sie die Exporte zum Recycling decken sollten und dann darauf warten, daß Greenpeace den nächsten Misthaufen aus Übersee vor die Bonner Türen kippt.

Im letzten Monat kam auch im Bundeskabinett endlich die mülldiplomatische Wende. Das FDP- geführte Wirtschaftsministerium stimmte folgender Strategie zu: Deutschland wird sich für eine komplette Umsetzung des Genfer Beschlusses einsetzen, verlangt aber Präzisierungen in den Stofflisten. Erste Gelegenheit, diese neue Politik auch durchzusetzen, ist der EU-Umweltministerrat heute und morgen. Unsichere Kandidaten sind dann nur mehr Frankreich und die Briten; London bleibt hoffnungslos verbohrt.

Kämpfen lohnt sich: Das Europäische Parlament ist seit vier Jahren auf unserer Seite, die EU- Kommission seit Ende April 95. Die Kosten der Rücktransporte erreichen bisher zirka 20 Millionen. Gründe genug für Angela Merkel, in Luxemburg auf Greenpeace und die Inlandsrecycler zu hören: keine Exporte in arme Länder.

Wirtschaftlich ist ohnehin klar: Deutschland kann international nur gewinnen durch vorbildliche abfallvermeidende und giftfreie Technologien, die weltweit kopierbar und auch verkäuflich sind.

Andreas Bernstorff leitet die Giftmüllkampagne von Greenpeace

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