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Und redet. Und redet. Und redet.

■ "Hunger nach Sinn": Ein TV-Portrait über den dctp-Gründer Alexander Kluge (23 Uhr, West 3)

Der Film beginnt, als wollte hier jemand ins Guinness-Buch der Rekorde: Seit 1959 8.260 Seiten in 32 Büchern, seit 1966 23 Filme, seit 1985 520 Millionen TV-Zuschauer bei 681 Sendungen. Der Übermensch, der hier vorgestellt werden soll: der deutsche Filmregisseur, Schriftsteller und Fernsehunternehmer Alexander Kluge. In dem dreiviertelstündigen WDR- Film „Hunger nach Sinn“ portraitiert Maximiliane Mainka einen der wichtigsten Drahtzieher in der deutschen Medienszene – und gleichzeitig einen der unterschätztesten und unbekanntesten.

Wie viel Einfluß Kluge hat, wissen nur die wenigsten Fernsehzuschauer, und daran wird auch dieses Portrait wenig ändern. Zwar wird Kluge in der Einleitung ein „mächtiger Mann“ genannt, aber wie viel er beim deutschen Privatfernsehen mitzureden hat, bleibt im dunkeln: Der Film, der sich ästhetisch eng an Kluges eigene Fernsehsendungen „Prime Time“ und „10 to Eleven“ anlehnt, läßt Kluge im wesentlichen selbst reden. Und reden. Und reden.

Daß Kluge ein eloquenter Mann ist, weiß jeder, der schon einmal mit ihm zu tun hatte: „Ich erzähle doch sowieso immer dasselbe“, erklärt er selbstironisch. Frau Mainka, die mit ihrem Portraitpartner per du ist, betätigt sich als Stichwortgeberin und interpunktiert Kluges Vorlesungen mit einem Dauerfeuer aus „hm“, „ja?“ und „ach!“. Wieso Kluge heute für über zwanzig Stunden Sendezeit pro Woche im deutschen und Schweizer Privatfernsehen verantwortlich ist, erfährt man – wenn überhaupt – nur aus Kluges eigenen verschachtelten Ausführungen, die ihn als Vorkämpfer für Meinungsvielfalt und Gegenöffentlichkeit im deutschen Privatfernsehen dastehen lassen.

Kluge hatte schon relativ früh erkannt, welches Entwicklungspotential im deutschen Kommerz-TV lag. Der Unterzeichner des Oberhausener Manifests („Opas Kino ist tot!“), hatte sich schon als Kino- Regisseur kulturpolitisch betätigt und Einfluß auf die Entwicklung der deutschen Filmförderung ausgeübt. Ab Anfang der 80er Jahre engagierte er sich, inzwischen ein Virtuose auf der Klaviatur der Kulturbürokratie, der Gremien und Ausschüsse, als Lobbyist in eigener Sache: Er nahm an den Anhörungen zum NRW-Rundfunkgesetz teil und erreichte, daß die nordrhein-westfälische SPD in ihren Medienstaatsvertrag eine Klausel aufnahmen: die Kommerzsender, die in Nordrhein- Westfalen eine Lizenz wollten, mußten sogenannte „Kulturfenster“ freihalten – der „Bildungsablaß für die Privaten“, wie es Jürgen Büssow, der medienpolitische Sprecher der NRW-SPD, damals nannte. Zähneknirschend willigten RTL und Sat.1 ein, und Kluge war gleich wieder zur Stelle: Zusammen mit der japanischen Werbeagentur Dentsu und dem Spiegel- Verlag gründete er dctp („Development Company for Television Programs“), die den Sendern mit anspruchsvollem Programm aushalfen.

Als 1993 Vox auf Sendung ging, erhielt dctp eine eigene Sublizenz. Heute ist er via dctp unter anderem für alle Spiegel-Sendungen verantwortlich, außerdem für „News & Stories“ bei Sat.1, „Prime Time“ und „10 to Eleven“ bei RTL, das „Mitternachtsmagazin“ bei Vox und eine Sendung fürs neue Schweizer Kommerz-TV. Mehr als drei Stunden Programm produziert Kluge wöchentlich nur mit ein paar Technikern in seinem Münchner Studio – das ist mehr als irgendein Redakteur sowohl bei den Öffentlich-Rechtlichen wie auch bei den Privatsendern von sich sagen kann. Damit verdient er ganz hübsch – laut Süddeutscher Zeitung „mehr als 100.000 Mark pro Woche“.

Da aber auch ein Übermensch wie Kluge nur 24 Stunden am Tag arbeiten kann, recycelt er einmal aufgenommenes Material bis zum Überdruß. Regelmäßige Zuschauer seiner Sendungen warten schon gespannt auf immer wiederkehrende, mittlerweile familiäre Bilder: Ein Gespräch mit Gorbatschow, der Bonner Hirnforscher Linke oder Heiner Müller, einige von ihnen in Kluges Küche aufgenommen, tauchen immer wieder auf.

Von all dem erfährt man in „Hunger nach Sinn“ nichts. Statt dessen erzählt Kluge, wie sehr er seine Mutter geliebt hat, daß er Godard bewundert und einen Film im Imax-Format drehen will. Woher er bloß dafür noch die Zeit nehmen will? Tilman Baumgärtel

Morgen zeigt der WDR um 23 Uhr Kluges Spielfilm „Die Artisten in der Zirkuskuppel: ratlos“ (1968).

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