piwik no script img

Spazieren in der Ferne statt vor der Haustür

■ Der Verkehrsplaner Hans-Henning von Winning ist gegen niedrige Bahnpreise

taz: Die Bahn ist stolz auf über zwei Millionen verkaufte „Schöne-Wochenende-Tickets“ in drei Monaten – doch Sie halten das Angebot für fragwürdig. Warum?

Winning: Es ist eine grundsätzliche ökonomische Überlegung: Solange Verkehr zu billig ist, wird er übernutzt. Daß das für den Autoverkehr gilt, ist uns allen klar. Aber wir müssen uns daran gewöhnen, auch beim öffentlichen Verkehr so zu denken. Nur bei angemessenen Preisen werden die Leute sparsam mit dem Gut „Mobilität“ umgehen.

Doch offensichtlich locken die niedrigen Preise des Schönen-Wochenende-Tickets neue Kunden an. Das heißt doch, daß auf den Straßen weniger Autos fahren.

Wenn's so wäre, wäre es ja schön. Aber die meisten, die ein Schönes-Wochenende-Ticket kaufen, werden ihre Autofahrten eben nicht reduzieren. Bisher sind sie vielleicht am Samstag mit dem Auto ins Gebirge gefahren und am Sonntag vor der Haustür spazierengegangen. Und jetzt, weil die Bahn so schön billig ist, fahren sie weiter am Samstag Auto und am Sonntag legen sie zusätzlich hundert Kilometer mit der Bahn zurück, damit sie irgendwo anders spazierengehen können.

Wir kennen diese Entwicklung aus unterschiedlichen Städten – aus Zürich, aus Lindau, aus Schaffhausen. Immer dann, wenn Städte ihren öffentlichen Verkehr verbessert und verbilligt haben, sind damit mehr Leute gefahren. Doch trotzdem fahren die Leute nicht weniger Auto, sondern zusätzlich mit der Bahn. Und deshalb ist meine Forderung, langfristig alle Subventionen im Verkehr abzubauen. Dann kämen wir sicher auf einen Preis fürs Autofahren, der vielleicht viermal so hoch ist wie heute. Und beim öffentlichen Verkehr würde ein Preis herauskommen, der etwa doppelt so hoch ist wie im Moment.

Doch gerade unter den Autogegnern werden Sie damit nicht auf Begeisterung stoßen. Viele träumen immer noch vom Nulltarif im öffentlichen Nahverkehr.

Die meisten Leute wollen eben gerne etwas geschenkt haben. Aber billige Bahnpreise sind doch ein zweifelhaftes Geschenk. Denn wenn sie vom Staat finanziert werden, geht das ja nur über Steuern. Also zahlen die billigen Bahnkarten letztlich alle – auch Radfahrer und Fußgänger. Mein Vorschlag ist dagegen, daß diejenigen, die Bahn fahren wollen, auch die gesamten Kosten dafür tragen.

Halten Sie höhere Bahnpreise für sozial akzeptabel?

Ich will die Sozialpolitik nicht abschaffen. Ich will eine Sozialpolitik, die denen zugute kommt, die es nötig haben. Das ist bei niedrigen Bahnpreisen ja gerade nicht der Fall. Denn davon profitieren auch diejenigen, die normale Preise zahlen könnten. Besser wäre also eine direkte finanzielle Unterstützung derjenigen, die aus sozialen Gründen sonst nicht mehr Bahn fahren könnten. Interview: Felix Berth

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen