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„Finale Schlappe“ für Anklage

■ Oberlandesgericht Celle: Göttinger Antifa darf nicht als kriminelle Vereinigung angeklagt werden

Hannover (taz) – „Weg mit den 129a/129-Verfahren gegen die Autonome Antifa!“ fordern Göttinger Autonome, Grüne und selbst Sozialdemokraten seit langem. Das Oberlandesgericht (OLG) Celle erhörte den Wunsch: Aus der dickleibigen Anklage der Celler Generalstaatsanwaltschaft gegen die „Autonome Antifa (M)“ hat das OLG jetzt die gravierendsten Vorwürfe gestrichen. Weder den Vorwurf, die Autonome Antifa (M) sei eine kriminelle Vereinigung nach Paragraph 129 des Strafgesetzbuches, noch den Vorwurf, die Antifa M habe durch Werbung für die RAF gegen den Paragraph 129a verstoßen, ließ der 3. Strafsenat des OLG zur Anklage zu. Lediglich vor dem Göttinger Amtsgericht will das OLG den Rest der Anklage verhandelt sehen, in dem 17 Göttinger Autonomen vor allem Verstöße gegen das Versammlungsgesetz und einigen auch Landfriedensbruch und Nötigung vorgeworfen werden.

Das sei eine „finale Schlappe“ für die Celler Generalstaatsanwaltschaft und die Staatsschutzabteilung des niedersächsischen Landeskriminalamts (LKA), höhnen die Autonomen. Vier Jahre lang hatte eine Sonderkommission des LKA die Szene systematisch durchleuchtet und aus dem Göttinger Demonstrationsgeschehen der Jahre 1991 bis 1994 eine den Staat nötigende kriminelle Vereinigung zu konstruieren versucht; rund 14.000 Telefonate wurden mitgeschnitten. Die Nötigung des Staates sah die Anklage dann gerade in jenem Deeskalationskonzept, auf das sich die Göttinger Polizei und die autonome Szene unterderhand verständigt hatten. Die Autonomen beanspruchten das Recht, mit schwarzen Skimützen oder Helmen zu demonstrieren. Die Polizei tolerierte dies, und die Demos blieben seit 1991 in der Regel friedlich.

Das OLG wägt besonnen: Die Straftaten der Angeklagten hätten im wesentlichen dazu gedient, das Grundrecht der Versammlungsfreiheit – wenn auch unter Regelverletzungen – in Anspruch zu nehmen. Dabei habe sich die Antifa (M) als gewisser Ordnungsfaktor etabliert.

Den Vorwurf der Werbung für die RAF hatte der Generalstaatsanwalt mit einem Plakat der Antifa (M) begründet, auf dem unter anderem der von der RAF zerstörte Knast von Weiterstadt abgebildet war und mit dem unter der Parole „Kampf der Klassenjustiz“ auf eine Diskussionsveranstaltung mit ehemaligen RAF-Gefangenen hingewiesen wird. Für die Einladung äußert das OLG in seinem Beschluß Verständnis: „Bei einer Veranstaltung zum Thema ,Kampf der Klassenjustiz‘ erscheint es sachgerecht, entlassene ehemalige RAF-Häftlinge einzuladen.“ Jürgen Voges

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