: Mehrhundertfach irisierend
■ Die Jahresausstellung der Hochschule für bildende Künste ist ein Besuch wert
Schrille Schreie beendeten die klagenden Eröffnungsreden der Jahresausstellung der Hamburger Kunsthochschule. Mit dieser Kurzperformance kommentierte die Künstlerin Lori Siebmann die ausführlich angesprochene mißliche Lage zwischen neunzehnprozentiger Budgetkürzung als Rahmenbedingung und endlosem internem Professorenstreit. Doch solchen, der Lehrverantwortung und dieses reichen Staates gleichermaßen unwürdigen Fakten soll hier nicht nochmals Raum gegeben werden. „Was wären wir schließlich ohne die Studenten?!“ gab einer der Professoren in Festlaune zum Besten.
Und so gilt es, auf die Fülle interessanter, ironischer und intelligenter Kunst zu verweisen, die allen Widrigkeiten zum Trotz dort erstellt wird. Zwischen der Spielwiese des Grundstudiums und der jungen Kunst einerseits, den Produktproben des Designs und den Utopien der Architekten andererseits zeigt sich in diesen Tagen ein Kreativpool der Öffentlichkeit, dessen Fülle erfreut und dem allzu direkte Zitate gerne nachgesehen werden.
Aufgrund der Klassenstruktur geben die Professorennamen immer noch eine leidliche Richtschnur für die Art der Kunst: Formale Präzision bei Franz Erhard Walther, Technik-reflexive Inszenierungen bei Claus Böhmler, Auseinandersetzung mit der Alltagskultur bei Bernhard Johannes Blume, Simulationen bei Guillaume Bijl, Malerei bei Gotthard Graubner, Körpererfahrungen und erotische Erforschungen in den Grundklassen. Bei Gerhard Rühm sind zum letzten Male vor seiner Pensionierung poetisch-reduzierte Arbeiten zu sehen.
Als Nachtrag zur Ausstellung der Klasse bei BP im Mai weist Wolfgang Oelze darauf hin, daß der Ölmulti einen Tag nach der Eröffnung seinen kritisch auf die Struktur der Hauptverwaltung bezogenen Beitrag genervt entfernen lies. Es gibt also immer noch Reibungsflächen bei Kunst im sozialen Raum. Bei Marina Abramovic, die ja bekanntlich dem Obskurantismus in allen modischen Spielarten huldigt, geht es harmonischer zu. Eine ihrer Schülerinnen erweist dem historischen Verehrungsanspruch Reverenz: sie hat eine lebensgroße antike Mondsichel-Madonna vom Altar geholt und zentral im Raum positioniert. Ach ja.
Mit den beschützenden und sadistischen Gefühlen spielt deutlicher der „Teddy-Automat“ von Christoph Ebener und Uli Winters. Nach Einwurf einer Münze kann entschieden werden, ob die Maschine das arme Stofftier grauslich foltert oder nicht. Weiter seien als Beispiele unterschiedlichster Arbeitsweise erwähnt: Martin Obliers „Gegenüberstellungsübungen“, eine Leerraum-Besetzung zwischen bestehenden Gebäuden und Texten; die radikal individuelle biochemische Versuchsanordnung von Oliver Ross; Christoph Ebeners todernst inszenierte, ironische Naturkunde mit Kunststoff-Herbarium und TV-Bonsai oder die Leistengalerie aus in die Senkrechte gekippten Bücherrahmen für 67 Kunstbücher von Ali Hashemi.
Der Zeit am meisten voraus ist Christian Jankowski. Er organisierte am Vorabend der Jahresausstellung ein formidables Festessen, bei dem alle Walther-Schüler professionell um 25 Jahre älter geschminkt wurden und inmitten ihrer ausstellungsfertigen Klasse von der Zukunft auf ihre einstige Studentenzeit weise zurückblickten. Abschließende Empfehlung: sich ohne vorgefasstes Programm durch das Haus treiben lassen und seine individuellen Überraschungen finden. Denn was besseres könnte das mehrhundertfach irisierende Spektrum einer von fast jeder Vorgabe befreiten Kunst in diesem Rahmen anbieten? Hajo Schiff
Lerchenfeld 2, Averhoffstr 38, Wartenau 16; heute und morgen 10-19, Sa 10-18 Uhr.
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