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Die Angst zählt

■ Debatte um innere Sicherheit in Neukölln / Abnehmende Zahl der Straftaten wirkt auf Anwohner nicht beruhigend

Wie der Zufall manchmal so spielt. Während am Dienstag abend die ganze Stadt von der spektakulären Geiselnahme in Zehlendorf in Atem gehalten wurde, diskutierten zur gleichen Zeit etwa vierzig Neuköllner zum Thema „Innere Sicherheit – Schutz vor Kriminalität“. Nicht nur Wolfgang Wieland, innenpolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen, bedauerte, daß Innensenator Dieter Heckelmann (CDU) nicht an der Diskussion im Gemeindesaal der Evangelischen Kirchengemeinde Magdalena teilnehmen konnte.

Mit 40 Grad Fieber versuchte dieser vergeblich, die Viren seines Infektes unter die Geiselnehmer zu streuen. Auch Staatssekretär Kuno Böse, der ihn vertreten sollte, blieb der Bürgerversammlung fern. Wieland erkannte den Infekt „als höhere Gewalt“ an und trug die Enttäuschung, nun doch nicht mit Heckelmann streiten zu können, mit Fassung.

Ganz im Gegensatz zu den Neuköllnern. Die waren gekommen, um über ihre Ängste vor Überfällen, Autodiebstahl im großen Stil, illegalen Zigarettenhandel und die ominöse Krake Mafia zu reden. Doch die positiven Statistiken, die ihnen Justizsenatorin Lore Maria Peschel-Gutzeit (SPD) über einen Rückgang bei Einbrüchen und Raubtaten lieferte, stellte sie keineswegs zufrieden. Auch deren Hamburger Mundart, mit der sie das Wort Statistik so schön spitz rüberbrachte, entschädigte die verängstigten Neuköllner nicht. Ein Mitglied der Bürger- und Stattpartei beklagte das Fehlen eines Polizeibeamten auf dem Podium, der die „Verschönerungen“ der Justizsenatorin widerlegen könnte.

Doch wie es der Zufall ein zweites Mal wollte, meldete sich ein Kriminalhauptkommissar aus Neukölln. „Ich habe einen erheblichen Überblick über die Kriminalität in Berlin“, sagte er. Alle Blicke richteten sich erwartungsvoll auf ihn. Der bärtige Mann kam dann auch so richtig ins Reden, doch sein „Überblickswissen“ behielt er letztendlich für sich. Auch Wieland, der zwar zu Beginn der Veranstaltung gesagt hatte, daß er bei Peschel-Gutzeit „Beißhemmungen“ habe, wollte sich nicht mit Statistiken zufriedengeben. „Gegen Ängste haben Statistiken nur begrenzten Wert“, bellte er in Richtung Justizsenatorin.

Peschel-Gutzeit gab sich alle Mühe, den Neuköllnern klarzumachen, daß Hütchenspieler und illegale Zigarettenhändler nichts mit „eigener Sicherheit“ zu tun hätten. Wieland, sichtlich genervt von dem Vertreter der Bürger- und Stattpartei und seiner Forderung, der Senat solle dafür sorgen, daß mehr positive Meldungen in die Medien kommen, versuchte, diffuse Änste vor der Mafia zu relativieren. Aus seinen „Erfahrungen als Kneipengänger und Pizzaesser“ wisse er, daß nicht alle Pizzerien erpreßt werden. Und daß sich spektakuläre Verbrechensmeldungen nun mal besser verkaufen, liege in der Natur der Menschen und Medien. „Bild wird nicht schreiben: Heute keine Frau im Tiergarten überfallen“, sagte er.

Genau! Dienstag nacht hatte die Bild-Zeitung nämlich sage und schreibe neun Reporter am Ort der Geiselnahme, um die Angst vor Verbrechen so richtig zu schüren. Barbara Bollwahn

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