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Die neue Vielfalt

■ Nach zehn Amtsjahren gibt Friedrich Nowottny morgen das Zepter des WDR-Intendanten an Fritz Pleitgen ab

Wenn Friedrich Nowottny morgen im Großen Sendesaal des WDR als Intendant verabschiedet wird, dann wird Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Johannes Rau sicherlich, sprachmächtig wie immer, das Ende einer Ära beschwören. Nowottny seinerseits wird – wie schon in etlichen Abschiedsinterviews – bescheiden dafür plädieren, daß man von ihm („mit Blick auf meine Wegstrecke“) sagt: „Der hat in schwierigen Zeiten keinen schlechten Job gemacht.“ Schwierig war sie in der Tat, die Wegstrecke von 1985 bis 1995. Seit Nowottny seinerzeit, nach 1.000mal „Bericht aus Bonn“, für eine erste Amtszeit gewählt wurde, hat sich die Medienlandschaft radikal verändert, und das nicht gerade zugunsten der Öffentlich-Rechtlichen.

Von Beginn an befand sich der Intendant der größten ARD-Anstalt in einer Art Stellungskrieg mit der privaten Konkurrenz, die dem WDR, wie auch den anderen Landesrundfunkanstalten, immer mehr Verluste einbrachte: an Akzeptanz, an Reichweite und damit auch an Werbeeinnahmen. Heute, bei einem Marktanteil des Ersten von unter 15 Prozent, scheinen die Zeiten, in denen man als Marktführer noch satte 45 Prozent hatte, fast vergessen.

Um wenigstens die verbliebenen Zuschauer in Zukunft zu halten, muß sich Fritz Pleitgen, im März vom WDR-Rundfunkrat mit großer Mehrheit zum neuen Intendanten gekürt, jetzt erst mal um die Landschaft draußen kümmern. Im Unterschied zu Nowottny, der regelmäßig die „Orientierungs- und Identifikationsfunktion qualitätsorientierter Vollprogramme“ thematisierte, geht Pleitgen davon aus, daß Akzeptanz, Erfolge oder Mißerfolge einzelner Programme „immer mehr vom Nutzer aus definiert“ werden.

Dementsprechend werde das klassische Modell des „einen Programms für alle“ in Zukunft wohl „endgültig verschwinden“. Pleitgen jüngst auf dem Kölner Medienforum: „Dazu fächert sich die Gesellschaft kulturell zu heterogen auf.“ Für ihn soll sich zumindest das öffentlich-rechtliche Radio, für das er beim WDR eineinhalb Jahre als Hörfunkchef zuständig war, als „ein permanent verfügbares, gleichwohl von kommerziellen Erwägungen weitgehend freies Abfrageangebot profilieren“.

Auf die neue Vielfalt der Geschmäcker will Pleitgen dennoch mit viel Service reagieren. Mit der von ihm verantworteten Hörfunkstrukturreform, bei der fünf Radioprogramme seit Jahresbeginn neu gestaltet wurden, versucht Pleitgen das schon umzusetzen: In drei Programmen gibt's, garniert mit Musik für jeweils unterschiedliche Zielgruppen, Information und Lebenshilfe en masse. Die programmliche Neuausrichtung verband Pleitgen auch gleich mit einer Organisationsreform: Fachredaktionen, die bisher unterschiedliche Programmplätze bedienten, werden jetzt denjenigen Wellen zugeordnet, denen sie am meisten zuarbeiten.

Den Trend zum Special Interest nicht verpassen

Darüber hinaus sollen die Lifestyle-Wellen von eigenverantwortlichen „Wellenchefs“ geführt werden. Der Diskussionsprozeß über dieses Reformpaket ist indes „noch offen“, so WDR-Sprecher Jürgen Bremer. Entscheiden wird letztlich, zusammen mit Pleitgen, der bisherige Moskau-Korrespondent der ARD, Thomas Roth, der jetzt in Köln neuer Hörfunkdirektor wird.

Auch im TV-Bereich will der WDR der rasanten Ausdifferenzierung der Fernsehgesellschaft gerecht werden. Er hat deshalb eine Entwicklungsgesellschaft als GmbH gegründet, deren einzige Aufgabe darin besteht, die finanziellen, rechtlichen und organisatorischen Voraussetzungen für Special-Interest-Programme auszuloten. Die aktuellen programmlichen Szenarios laufen bislang auf eine Integration ganz unterschiedlicher Ratgeberangebote hinaus – von der Hobbythek des Jean Pütz bis zur Stiftung Warentest.

Nowottny kann sich sogar vorstellen, daß der WDR hier Minderheitsgesellschafter wird – neben anderen, „die ihre Produkte dort verkaufen wollen“. Mögliche Allianzen soll Bernd Frohnhoff als Geschäftsführer der Entwicklungsgesellschaft erkunden. Eingekauft hat man ihn wohl wegen seiner Erfahrungen als Bereichsleiter Unternehmensentwicklung bei RTL und als Marketing-Direktor bei Vox.

Eine weitere Integrationsleistung des WDR peilt der neue Intendant unter dem Arbeitstitel „Funkhaus Europa“ an. Mit einem bundesweiten „interkulturellen Integrationsprogramm“ würde Pleitgen gern die „multikulturelle Gesellschaft mit sich selbst im Gespräch halten“. Allerdings mußte er unlängst zugeben, daß eine solche Multikultiwelle (wie sie der SFB schon hat) mangels Frequenzen aktuell nicht auf der Tagesordnung steht. Peter Hanemann

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