piwik no script img

Tierrechte

■ betr.: „Militant ohne Lederjacke“, taz vom 16. 6. 95

Im oben genannten Artikel wurde über die Organisierung der Autonomen TierrechtlerInnen im Mainzer Bundesverband der TierbefreierInnen berichtet. Da sich aus dieser Formulierung für die Staatsschützer leicht der gefällige Paragraph „Bildung einer kriminellen Vereinigung“ stricken läßt, teilen wir mit, daß wir lediglich für die Presse und Sozialarbeit zuständig sind. Eine aktive Beteiligung an Tierbefreiungen oder ähnlichen Aktionen gibt es bei uns aus juristischen Gründen nicht. Markus Schaak, Bundesverband

der TierbefreierInnen, Mainz

Alle TierrechtlerInnen und VeganerInnen rot angestrichene FaschistInnen? Oder doch nur pubertäre RebellInnen? Na ja, auf jeden Fall, „militant ohne Lederjacke“. Ich bin echt enttäuscht, denn ein bißchen mehr Objektivität habe ich von Euch schon erwartet. Aber schließlich kommt „erst das Fressen und dann die Moral“ (Brecht), und wenn es um das leckere Schnitzel und den warmen Wollpulli geht, ist der Feind schnell ausgemacht. Irgendwie nicht ganz p.c., oder? Tina Schulte, Essen

[...] Tierrechtler haben recht in ihrer Auffassung, daß jede Form der Unterdrückung und Ausbeutung zu bekämpfen sei, auch wenn es sich bei den Opfern „nur“ um Tiere handelt. Bei der Begründung ihres Anliegens geraten sie aber leider oft in eine Falle, die sie als Gefangene der herrschenden anthropozentrischen Ideologie ausweist, gegen die sie antreten wollen.

In der ideologischen Falle sitzen sie immer dann, wenn wie kürzlich der Moderator in einem TV-Gespräch eine Tierrechtlerin fragt, wie sie sich verhält, wenn sie von Mücken gestochen wird. [...] Der angewendete Trick des Fragers, auf den Tierrechtler hereinfallen, besteht in der anthropozentrischen Sichtweise, daß der Mensch als „Krone der Schöpfung“ einsam die eine Hälfte des animalischen Lebens auf der Erde repräsentiert, während jenseits davon alles andere zu den „Tieren“ zählt, wobei es gleich ist, ob es sich um unsere nächsten tierischen Verwandten, die Bonabos aus Zentralafrika oder um Zecken handelt.

Die Bezeichnung „Tiere“ umfaßt eben eine Unzahl von Lebewesen, die untereinander nur wenige gemeinsame Merkmale aufweisen, während zum Beispiel höherentwickelte Säugetiere und Menschen fast das gesamte Spektrum der genetischen Merkmale gemeinsam haben. Je mehr sich Wissenschaftler bemühen, etwas darüber herauszufinden, desto mehr Übereinstimmungen auch in den Bereichen des Fühlens und der Empfindungen zwischen Menschen und „Tieren“ stellen sich heraus, wobei die Übereinstimmungen zunehmen, je näher uns diese Tiere in entwicklungsgeschichtlicher Hinsicht sind. So ist uns eine Katze näher als eine Maus, obwohl wir über deren Empfindungsfähigkeit nicht viel wissen und über die Katze nur aufgrund der mit ihr möglichen Interaktionen und der Beobachtung ihres Verhaltens entsprechende Schlüsse ziehen können. Auffällig ist in diesem Zusammenhang, daß die tierische Psyche um so unauffälliger zu sein scheint, je gleichgültiger Menschen ihr gegenüberstehen, und sich um so differenzierter zeigt, je mehr Sensibilität und Verständigungswillen einem Tier entgegengebracht wird. Das vorausgesetzt, ist zu entdecken, daß jede einzelne Katze eine ausgeprägte Persönlichkeit hat, die sie so unverwechselbar macht, wie ein Mensch dies verglichen mit einem anderen ist. Ob das für Mücken auch zutrifft, ist unwahrscheinlich, zumindest aber reine Spekulation.

Wenn das Zentralnervensystem als materialisierte Repräsentanz der Komplexität tierischer Psyche zugrunde gelegt wird, dann können wir folgern, daß es auch eine Hierarchie der tierischen Bewußtseinsformen gibt. Da das Nervensystem auch des Menschen bis auf das entwicklungsgeschichtlich junge Großhirn nicht anders als bei vielen Säugetieren und in wichtigen Teilen auch nicht weiter als bei Amphibien entwickelt ist, haben wir wenig objektive Gründe, uns über die Tiere zu stellen. Und was unsere, auch im Vergleich zu uns nahestehenden Tieren enorme, im Großhirn repräsentierte Denkfähigkeit betrifft, aus der wir eine naturgegebene Herrschaft über alles andere Leben auf der Erde ableiten, so ist dazu zu sagen: Es gibt nur wenige Menschen, bei denen dieses Potential nicht zur Befriedigung der gleichen Triebe und Impulse genutzt wird, von denen auch die Tiere umhergetrieben werden. Allerdings mit dem Unterschied, daß viele solcher Motive bei Menschen nicht mehr einfach als solche zu erkennen sind. Zum Beispiel kann die Eloquenz eines intellektuellen Sprechers nicht ohne weiteres als äffisches Imponiergehabe und Dominanzstreben identifiziert werden, wenn er andere, ethisch höher bewertete Absichten vortäuscht. Ist es also vertretbar, Grundrechte für Tiere einzufordern und gleichzeitig eine Hierarchie anzuerkennen, bei der bestimmte Lebewesen uns so nah sind, daß deren absichtliche Tötung als Verbrechen gewertet werden muß, und andere, sozusagen am unteren Ende der Hierarchie befindliche, wie zum Beispiel Parasiten und lästige Insekten, so zu sehen, daß sie ohne Skrupel beseitigt werden können? Kann ich also als Tierrechtler die meine Katze peinigenden Flöhe vernichten? Oder gelten gleiche Rechte für beide, wobei allerdings die Katze zu leiden hätte, die Flöhe aber nicht? An diesem Beispiel werden hoffentlich die Unterschiede deutlich. Für mich habe ich entschieden, daß ich für Tierrechte eintrete, auch wenn ich mit der Fliegenklatsche für Hygiene sorge.

Auch andere Auffassungen aus Tierrechtskreisen sind meines Erachtens nicht haltbar. So wird generell die Haltung von Tieren abgelehnt, außer wenn sie geschützt werden sollen. Es gibt aber viele Menschen, deren einziger Partner ein Tier ist und die ohne das Tier allein wären. In solchen Lebensgemeinschaften kommt sicher Mißbrauch des Tieres vor, aber viel häufiger besteht eine für Mensch und Tier vorteilhafte Symbiose. Ein Tier ist meistens nicht so wählerisch: Es wird zum Freund, wenn es freundlich behandelt wird.

Leute, die für Tierrechte eintreten, möchten irgendwann Erfolge sehen. Das kann aber nur eintreten, wenn ihr Anliegen nachvollziehbar ist. Wer an ein moralisches Problem nur mit Gefühl, aber ohne Logik herangeht, wird sich von der Lösung eher entfernen als ihr näherkommen. Klaus Braunert, Kropp

[...] In einigen Punkten teile ich Jürgens Meinung nicht. Zum Beispiel seine Pauschalverurteilung aller Tierschützer. Er hat seine – radikalen – Methoden, andere Menschen haben andere. [...]

Wenn er von der Möglichkeit eines selbstbestimmten Lebens für Tiere spricht, so kann ich dem auch nicht zustimmen. Erstens ist es sehr zweifelhaft, ob Tiere frei entscheiden können (kann es der Mensch?), und zweitens ist es einfach völlig unmöglich, Tieren volle Freiheit zu geben, ohne die ganze Zivilisation über den Haufen zu werfen. Ich glaube nicht, daß wir Menschen wieder soweit zu unseren Wurzeln zurückgehen können. Allein schon wegen der Unzahl von Menschen, die die Erde bevölkern.

[...] Mich würde auch interessieren, wie Jürgen „Ökologie“ definiert. Sein Statement zu diesem Thema veranlaßt mich zum Rätseln. Meiner Ansicht nach profitieren Mensch und Tier von der „sogenannten Ökologie“.

Ich persönlich praktiziere Ökologie, indem ich auf einem biologisch-dynamisch bewirtschafteten Bauernhof arbeite. So wie hier mit Tieren (Rindern, Milchkühen und Hühnern) umgegangen wird, habe ich nicht das Gefühl, bei Ausbeutung mitzuhelfen. Die Tiere haben viel Platz (40 Hektar für insgesamt 11 Kühe, einen Stier und zur Zeit 9 Kälber sowie 24 Hühner) und werden das ganze Jahr über nicht eingesperrt, es sei denn, ein Tierarzt kommt o.ä. Unser Kater scheint mit seinem Leben als zweimal täglich gefüttertes Halbhaustier auch ganz zufrieden zu sein. Ich behaupte, daß es den Tieren in Freiheit (nach Jürgens Vorstellung) nicht so gutgehen würde!

Darum habe ich auch keine Probleme damit, Eier und Käse zu essen und Milch zu trinken. Natürlich weiß ich, daß nicht jedeR an biologisch-dynamisch erzeugte Lebensmittel rankommen kann, aber das ist ein anderes Thema. [...] Uwe Rennschmied, Wales

[...] Nervig ist, daß die Autorin des Artikels schon im Vorspann behauptet, die Tierrechtsbewegung sei „superlinks“. Warum? Ich bin Tierrechtler, ohne links, geschweige denn „superlinks“ zu sein. Mich treibt vielmehr meine christlich-ethische Weltanschauung. Die Autorin hat in ihrem Interview auch nur einen kleinen Teil der Tierrechtsbewegung, nämlich die Autonomen Tierrechtler, zu Wort kommen lassen. Mit manchem, was dieser Tierrechtler gesagt hat, stimme ich überhaupt nicht überein.

Auch der Leserbrief nervt. Wiederholt werden hier die üblichen linken Schimpfkanonaden auf alle Tierrechtler, die ja in Wirklichkeit Faschisten seien. Und mal wieder wird uns um die Ohren gehauen, daß ein geistiger Wegbereiter der Tierrechtsbewegung, Peter Singer, sich für die Tötung von Schwerstbehinderten ausgesprochen hat. Zum einen ist Singer nur einer von vielen Eltern der Tierrechtsbewegung, zum anderen stoßen seine Thesen auch in der Tierrechtsszene auf heftigen Widerspruch. Gerade weil ich als Tierrechtler gelernt habe, jedes (auch das tierische) Leben als gleichberechtigt und damit lebenswert einzustufen, könnte ich einer Tötung von Behinderten niemals zustimmen. [...] Wolfgang Leist, Lübstorf

[...] Daß die sogenannte „Siegener Linke“ derart aggressiv und intolerant gegenüber Newcomern in der politischen Szene auftritt, zeugt von selektiver Solidarität, die sich niemand mehr bei der heutigen Politikverdrossenheit leisten sollte. Unverständlich war und ist, daß sich linke Gruppierungen vehement für Menschenrechte einsetzen, aber vor der politischen Thematisierung der Tierrechte zurückschrecken.

Sollte es die Angst vor „Sentimentalität“ sein, die unter anderem Massentierhaltung, Qualzüchtungen, Tierversuche und Jagd mit Totschlagfallen in der Hausfrauen- und Bambi-Ecke stehen läßt? Rainer Schmitt, Betzdorf,

Klaudia Wittine, Kirchen

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen