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Unterm Strich

Der tägliche Christo, diesmal starring Helmut Kohl: Letzterer blieb nämlich stur und bei seiner Entscheidung, sich den Reichstag in der Hülle nicht ansehen zu wollen („ich sehe ihn mir nicht an“), wie er auf einer Pressekonferenz in Berlin nochmals bekräftigte, und das, obwohl die Berliner Christo und Jeanne Claude nach anfänglicher Skepsis (wie man so sagt) mittlerweile geradezu abgöttisch lieben und die beiden vor ihrer Verhüllung halbtägige Autogramm-Marathonsessions geben müssen, nach denen sie erschöpft ins Hotel abzuckeln. Kohl sieht wohl in seiner prinzipientreuen Verblendung nicht, daß das Rot-Grün in die Hände arbeitet. Populistischer und mehr auf der Höhe der Zeit gab sich – kennt den noch jemand? – Barzel: „Ich bin überwältigt.“ Der Reichstag sei in dieser Form „ein ästhetisches Kunstwerk und einfach schön, zu dem ich Christo gratuliere“. Kanther, Autominister Wissmann und Bundeslandwirtschaftsminister Jochen Borchert wurden auch gesichtet, über etwaige

Äußerungen ist aber nichts überliefert, während Michael und Katharina Rutschky es „voll proll“ fanden und damit „in Ordnung“. Der allgemeine parlamentarische Trend geht ganz klar von Kohl weg und hin zu Barzel und Rutschky. Man plädiert sogar für eine Verhüllungsverlängerung, obwohl Christo und Jeanne-Claude gar nicht damit einverstanden sind und sich auf den Standpunkt stellen, das würde die Einmaligkeit der Kunst kaputtmachen und außerdem zuviel kosten. FDP-Generalsekretär Guido Westerwelle zum Beispiel will um jeden Preis verlängern und ruft private Sponsoren zur Geldvergabe auf. Indes wurde am Mittwoch morgen über dem Gebäude ein Bundeswehrhubschrauber mit einem Begleithubschrauber des Bundesgrenzschutzes gesichtet. Ein „Spitzenpolitiker der CDU“, wurde vom Christo-Team vermutet. Doch Kohl? Der heimlich Reichstag gucken wollte? Das volle haptische Erlebnis kann er so allerdings ohnehin nicht haben, das kriegt man nur, wenn man ganz nah rangeht und plötzlich merkt, daß dieser Stoff wie billige Boutiquendekoration aus den Siebzigern aussieht. Von ferne ist es weißer Riese, von nahem ist es Glam Rock.

Kunst wird es in Zukunft auch auf der Zugspitze zu sehen geben, auch das eine Form der Land-art (im weitesten Sinne). Wer auf den 450 Quadratmetern Ausstellungsfläche, die nach dem Brand in 2.964 Meter Höhe entstanden sind, installiert oder hängt, soll

nach dem Willen der Betreiber, der Bayrischen Zugspitzbahn AG mit „der beeindruckenden Umgebung in Wechselwirkung treten“. Ein Holzbildhauer macht den Anfang, danach soll es „wechselnde Präsentationen zeitgenössischer Kunst“ geben.

Pearl Jam, die Band, die aus Neil Youngs Söhnen bestehen könnte, ist seit der Kooperation mit dem als „Godfather of Grunge“ verehrten Meister der kunstvoll gezüchteten Kotelette (siehe auch Kasten oben) vom Pech verfolgt. Bei ihrer Tour durch die US of A regnete es immerzu, in Salt Lake City so heftig, daß das Konzert ausfallen mußte, dann mußte Sänger Eddie Vedder wegen schwerer Magengrippe von der Bühne direkt ins Krankenhaus. Dann auch noch Ärger mit dem Veranstalter. Inzwischen ist die Tour, die als „heißeste Show des Sommers“ angekündigt wurde, abgebrochen worden.

Abgesagt auch die Europatour von Lionel Hampton, dem „König des Vibraphons“. Am Mittwoch erlitt Hampton in New York einen Schlaganfall. Zum Glück keinen sehr schweren, aber jede zukünftige Tourtätigkeit ist stärkstens in Frage gestellt. Hampton ist über achtzig, das exakte Alter kennt keiner so genau.

Nicht mehr wie bisher neun, sondern fünf Jurymitglieder werden in Zukunft über das Berliner Theatertreffen richten bzw., was ihre vornehmste Aufgabe ist, die Auswahl der jeweils im Mai zu sehenden Stücke treffen. Man sah sich zu dieser Schrumpfung gezwungen, nachdem es in diesem Jahr zu drastischen Etatkürzungen (wie man so sagt) von 3,3 Millionen auf 1,9 gekommen war. Außerdem werden die Mitglieder jetzt vom Kuratorium der Berliner Festspiele berufen. Von 1996 bis 1998 sind dabei: Gerhard Jörder (Freiburg), Dieter Kranz (Berlin), Sigrid Löffler (Wien), Michael Merschmeier (Berlin) und Andreas Müry (Frankfurt/M.).

Ist Schwulsein doch abendfüllend? Am 7. Juli jedenfalls wird in Köln das weltweit erste Symphoniekonzert eines ausschließlich aus homosexuellen Musikern und Musikerinnen bestehenden Orchesters stattfinden, Name: Christopher Street Orchester, Stärke: 60 Personen. Auf dem Programm: Werke von Darius Milhaud und Jacques Offenbach (u.a.). Stolz ist das im Frühjahr 1994 gegründete Orchester auch auf seine Rollenverteilung: „Die Holzbläser sind zu 90 Prozent schwul, das Blech ist zu 90 Prozent lesbisch, und bei den Streichern ist die Besetzung gemischt.“

Harald Juhnke wird einen Trinker spielen! Für die Verfilmung von Hans Falladas autobiographisch geprägtem Roman „Der Trinker“ ist man mit einem solchen Ansinnen an ihn herangetreten, und Juhnke soll spontan ja gesagt haben. Gedreht wird im brandenburgischen Neuruppin. Die Verfilmung ist nach Ansicht des Regisseurs Tom Toelle ein Zeichen gegen den Trend des „Fast-food-Fernsehens“.

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